Raus aus der großen Koalition

Wandel durch Anerkennung Hessen bietet jetzt der SPD die letzte Chance, um noch vor der Bundestagswahl 2009 das Verhältnis zur Linken zu normalisieren

Dem Vernehmen nach wollen die CDU-geführten Regierungen im Saarland, in Thüringen und wohl auch in Sachsen vier Wochen vor der für Ende September 2009 geplanten Bundestagswahl die Bürger über neue Landtage abstimmen lassen. Entsprechende Nachrichten machten am vergangenen Wochenende die Runde - just zu dem Zeitpunkt, da im hessischen Lollar die Linkspartei den Weg für die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung freimachte.

Das eine hat mehr mit dem anderen zu tun, als es auf den ersten Blick scheint. Die Frage der Wahltermine wird von den Parteien mit allerlei strategischen Überlegungen befrachtet. Der SPD wäre es lieber, in den drei Ländern würde am Tag der Bundestagswahl gewählt. Denn dann ist in der Regel die Wahlbeteiligung höher, wovon traditionell die Sozialdemokraten profitieren. Die Union dagegen setzt auf getrennte Urnengänge, weil sie dank einer vergleichsweise treuen Anhängerschaft einen Vorteil aus einer niedrigeren Beteiligung zieht, die für Landtagswahlen charakteristisch ist.

Nun gilt allerdings auch in der CDU eine Art des demokratischen Zentralismus, weshalb die Terminfrage nicht ohne den Segen der Bundesspitze beantwortet werden wird. Die wiederum hat ebenfalls ihr strategisches Interesse an einem elektoralen Doppelschlag im kommenden Herbst: Angesichts des erwarteten Ausgangs im Saarland und in Thüringen würde in der heißen Wahlkampfphase die Frage der Kooperation mit der Linkspartei verschärft, was die SPD kurz vor der Bundestagswahl zusätzlich unter Druck setzen könnte.

Das Spiel über Bande beherrscht die Union inzwischen im Schlaf: Man beschwört die "rote Gefahr", zeiht die Sozialdemokraten des Steigbügelhaltens und inszeniert sich als letzter Garant der politischen Stabilität. Erfolgreich sein kann die verstaubt-antikommunistische Masche aber nur solange, wie die SPD an ihrem Nicht-Verhältnis zur Linkspartei festhält. Im Osten darf koaliert werden, im Westen sollen die Länder entscheiden - aber bitte richtig. Ein Flügel setzt auf Normalisierung, ein anderer auf Kontaktsperre. Ein sozialdemokratischer Tanz um den heißen Brei, der mit historisch niedrigen Umfragewerten bezahlt wird.

Die SPD begeht einen Fehler, wenn sie versucht, die unbekömmliche Mahlzeit teelöffelchenweise aus der Welt zu schaffen. Längst ist die Partei übersättigt von einem Problem, das gar keines sein müsste. Inzwischen hat man das wohl auch im Willy-Brandt-Haus erkannt - zieht aber noch die falschen Schlüsse daraus. Zum Parteitag der hessischen Linken wollte sich die SPD-Spitze am liebsten gar nicht äußern. Er sei "nicht gewillt, diese Diskussion weiterzuführen", erklärte Generalsekretär Hubertus Heil. Gerade so, als ob die Sozialdemokraten allein bestimmen könnten, worüber man sich im politischen Berlin das Maul zerreißt.

Dabei bietet Hessen jetzt die letzte Gelegenheit zum Kurswechsel. Dazu dürfte Andrea Ypsilanti nicht länger als peinliche Verwandtschaft verleugnet, sondern müsste als Vorreiterin anerkannt werden. In der Kinderstube des Fünfparteiensystems müssen sich alle nach neuen Spielpartnern umsehen. Die Union agiert dabei viel souveräner, eine Koalition mit den Grünen wie in Hamburg gilt fast schon als selbstverständlich. Warum nicht auch eine rot-rote Zusammenarbeit? Mehr Entgegenkommen als beim Parteitag der hessischen Linken demonstriert, kann man derzeit nicht erwarten. Die Genossen haben signalisiert, einer Ministerpräsidentin, einer Regierungsmannschaft und einem Haushalt zuzustimmen. Dass sie ihre realpolitische Offerte sich selbst mit einigen radikaleren Forderungen schmackhafter machen, stellt keine Hürde dar.

Die Union spielt über Bande, die SPD tanzt um den heißen Brei

Oskar Lafontaine hat in Lollar erklärt, dass die Linken "mit einem Stimmenanteil von 5,1 Prozent nicht die gesamte Politik bestimmen können". Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass von dem Eingeständnis, sich in einer Regierung den Mehrheitsverhältnissen gemäß einordnen zu müssen, abgerückt wird, wenn die fusionierte Partei 15 Prozent bekommen sollte. Selbst auf Bundesebene würde gelten, was der Linksparteichef seiner Partei in Hessen eingeschärft hat: Ohne eine neue Regierung wären die eigenen Wahlversprechen "nur Schall und Rauch".

Gleiches gilt aber auch für die SPD. Einmal angenommen, was da derzeit von Sozialdemokraten an Forderungen erhoben wird, ist ernst gemeint. Dann muss die Frage erlaubt sein, in welcher Konstellation die Partei einen gesetzlichen Mindestlohn, die soziale Staffelung von Stromtarifen oder die Wende in der Bildungspolitik umzusetzen gedenkt. Wenn man auf Bundesebene, wie Fraktionschef Peter Struck erklärt hat, demnächst ein "sozialeres Bündnis" anstrebt, warum will die SPD dann bei einer Koalition mit Grünen und FDP stehen bleiben, statt einen Schritt weiterzugehen?

Auf die Liberalen sollten die Sozialdemokraten ohnehin nicht setzen. Von der zwar langsamen aber stetigen Annäherung zwischen SPD und Linken in Hessen beeindruckt, haben diverse CDU-Größen die amtierende Bundesregierung längst zur Altlast erklärt. Den Bruch während der Legislatur riskiert die Union zwar nicht, sonst würde die Selbstinszenierung als Stabilitätsfaktor Schaden nehmen. Nach der Wahl 2009 aber ist Schluss, wenn es die Ergebnisse zulassen. Mit der Losung "Raus aus der Koalition" will Fraktionschef Volker Kauder in den Kampf ziehen und die FDP wird das damit verbundene Angebot annehmen. Auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller hat erkannt, dass die schwarz-rot Liaison "ihre Berechtigung verloren" hat. Und CDU-Vize Christian Wulff drohte für den Fall einer Tolerierung in Hessen, im nächsten Jahr einen Richtungswahlkampf zu eröffnen.

Darüber müsste bei der SPD eigentlich eitel Freude herrschen. Eine bessere Chance wird die Partei nicht bekommen, sich aus dem Jammertal sinkender Umfragewerte zu befreien. In einem Lagerwahlkampf könnte sie glaubhafter die soziale Karte spielen und trotzdem die Mitte umwerben. Befreit von der bodenlosen Debatte um das Verhältnis zur Linken würde sie in die politische Offensive zurückkehren. Die Linkspartei hingegen wäre in einen Klärungsprozess gezwungen, den sie sonst in sicherer Erwartung von vier weiteren Jahren in der Opposition auf die lange Bank schieben würde. Und über Themen wie die Energie- und Bildungspolitik ließen sich auch die Grünen mit ins Boot holen.

All das heißt noch lange nicht, dass es wirklich zu einem Mitte-Links-Bündnis kommt. Die Wähler könnten im Herbst 2009 ganz anders entscheiden, und je nach Ergebnis dann auch die Parteien. Wie viele Optionen sie dabei haben, wird aber jetzt festgelegt. Die SPD hat es in der Hand, mit einer frühen Anerkennung der Linken als bundespolitisch akzeptabler Kraft ihren Spielraum auszuweiten. Sonst bleibt ihr am Ende womöglich wieder nur die Rolle als Juniorpartner der Union. Und das kann die SPD nicht wollen.

Fast zwei Drittel der Deutschen rechnen derzeit damit, dass es ab Herbst 2009 keine große Koalition mehr gibt. Die Frage ist: Wie viele hoffen es?

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