Haben Sie mal jemanden auf den Namen Chris Dercon angesprochen, der ein paar Meter jenseits des Berliner S-Bahn-Rings wohnt? Das Experiment könnte etwas darüber erzählen, wie der hauptstädtische Kulturbetrieb um sich selbst rotiert. Und dass die Intendanz eines Theaters eine Frage ist, die zwar umso wichtiger erscheint, je größer die dieser Spielstätte zugeschriebene Bedeutung ist. Dass aber Bedeutung auch nur, sagen wir: Ansichtssache ist.
Ein Kultursenator wird sich so nicht aus der Affäre ziehen können. Das Scheitern eines Intendanten ist auch dann Angelegenheit des zuständigen Landesministers, wenn er an dessen Bestellung nicht beteiligt war. Als Klaus Lederer 2016 in Berlin dieses Amt antrat, war Dercon bereits im Rennen. Eine vergiftete Personalie, Lederer musste sie schlucken.
Dem 1974 in Schwerin Geborenen konnte das nicht leichtfallen. Die Linkspartei war mit Slogans in den letzten Berlin-Wahlkampf gezogen, deren Botschaften nicht nur eine gewisse Verpflichtung innewohnte, sondern die auch durchaus radikal interpretiert werden konnten: Die Stadt gehört allen. Freilich haben nicht alle die gleiche Meinung darüber, was gut und was schlecht ist für diese Stadt. So wurde auch Dercon zum Streitfall – und Lederer, der im Wahlkampf leidenschaftlich von Neuanfang gesprochen hatte, sah plötzlich für eine kleine, wortgewaltige Szene, die die Volksbühne „zum Eigentum aller Menschen“ erklärt hatte, wie der große Betonkopf aus.
Dass sich andere durchaus berechtigt fragten, wessen Interessen mit der Besetzung der Volksbühne 2017 und anderer Symbolpolitik vertreten wurden und ob es angemessen ist, gleich die ganze Stadtgesellschaft für das eigene Theater in Anspruch zu nehmen, ist das eine. Das andere ist, dass Lederer in einer Art Ausweitung der Kampfzone bisweilen auf generelle Weise ins Kreuzfeuer geriet: als kulturlinker Intellektueller im Regierungsamt.
Warum? Lederer personifiziert eine urbane akademische neue Linke, die gern einmal in den Verruf gerückt wird, alte Prinzipien zu verraten. Das galt für den noch jungen Reformsozialisten, der in der alten PDS nicht mehr die Schützengräben der Vergangenheit akzeptieren wollte. Er gehöre „zum Alternativflügel der PDS“ hat er einmal gesagt, 1992 trat er ein – in die Basisorganisation „Torpedokäfer“. Wie passend: So hieß damals eine Kneipe in der Dunckerstraße, der Name spielte auf den Franz Jung an, über dessen abenteuerliches Leben am Schnittpunkt von Kultur und Politik einmal jemand schrieb, „vielschichtiger, widerspruchsvoller, anregender“ seien nur wenige andere gewesen.
Als Lederer 2005 in der Hauptstadt Linkspartei-Chef wurde, nannte ihn eine Zeitung „Vorsitzender neuen Typs“. Auch das war treffend, aber nicht alle in seinem Landesverband lachten. Dort bekam er das ganze Unbehagen an der durchwachsenen Bilanz des rot-roten Senats ab. Ausgerechnet der Jurist, der über die Privatisierung im Wassersektor promoviert hatte, musste sich nun für eine falsche Politik der Privatisierungen rechtfertigen.
Auch heutzutage hört man den Verratsvorwurf, er wird aber eher in einem klassenpolitischen Kostüm auf die Bühne geschickt. Lederer gehört in diesem Szenenbild zu einer „kosmopolitischen“ Schicht, die sich von den Interessen der Arbeitenden entfernt haben soll. Die Aussagekraft ungelenker Holzschnitte sei dahingestellt, die politische Wirkung der damit verbundenen Zuschreibungen wird man aber nicht unterschätzen dürfen.
In der Linkspartei gefällt sich mancher schon länger darin, den Namen Lederer wie eine Definition alles Schlechten im Munde zu führen. Bisweilen steckt Hass darin. Es gehört zu einem Klaus Lederer aber dazu, dass er sich dem nicht durch abwiegelnde Floskeln zu entziehen sucht, sondern den Konflikt eher noch auf die Spitze treibt. Ob nun in Landesgremien der Linkspartei, in denen er seit 2000 zu Hause ist, oder im Bundesvorstand.
Das hat manche Gegnerschaft vertieft, ihm aber offenbar auch Anhänger eingebracht. Die Linkspartei in Berlin wächst. Es sind gerade Jüngere, die kommen. Sie kommen sicher nicht, weil sie einen linken Landesminister des Karrierismus zeihen wollen. Vielleicht schon eher, weil da jemand sogar Emotionen zeigt, was im politischen Betrieb nicht eben üblich ist. Man muss sich den Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters von Berlin bloß einmal live anschauen, am besten, wenn es ein für die Linkspartei eher schwieriges Terrain ist. Mehr Stirnfalten und händeringendes Werben darum, die eigenen Widersprüche zu politisieren, statt in lauter Rhetorik darüber hinwegzugehen, ist kaum möglich.
Ein Ossi, ein schwuler Ossi zumal, ein Landesminister im schwarzen Kapuzenpulli – so einer als beliebtester Politiker in der Doppelhauptstadt, das dürften zum Start der rot-rot-grünen Landesregierung nicht viele erwartet haben. Lederer hätten im Leben andere Wege offengestanden. Seine Dissertation ist mehrfach ausgezeichnet worden, wer sich mit ihm über Stadtpolitik unterhält, muss damit rechnen, auch eher unbekannte Zitate von Marx oder Gramsci zu hören. Da steckt dann weniger Koketterie drin als bei anderen, die dafür in Stiftungen oder Akademien bezahlt werden. Es ist eher ein Zeugnis davon, dass eine gewisse Lust an der theoretischen Widerspruchsbearbeitung nicht an den Grenzen des Roten Rathauses aufhören muss.
In Sachen Dercon hat Lederer nicht viel falsch gemacht. Als die geerbte Fehlkonstruktion einstürzte, nahm er, der aus seiner Ablehnung Dercons nie einen Hehl gemacht hatte, den Gescheiterten in Schutz – was die, die ihn einst ins Amt hievten, stets unterlassen hatten. „Er gibt den klugen Berlin-Versteher“, hat eine Regionalpostille über ihn geschrieben. Das sollte wohl ein bisschen kritisch klingen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.