In dieser Angelegenheit sollte ausnahmsweise einmal Einvernehmen demonstriert werden: Anlässlich des 70. Jahrestages der antijüdischen Pogrome vom November 1938 und als Reaktion auf die hohe Zahl antisemitischer Straftaten im heutigen Deutschland wollte der Bundestag ein parteiübergreifendes Signal aussenden. Seit Monaten hatte eine Arbeitsgruppe, der Vertreter aller Fraktionen angehören, über eine entsprechende Beschlussvorlage beraten. Es sei dabei, so heißt es aus dem Umfeld des Gremiums, vergleichsweise "konstruktiv" zugegangen. Parteipolitische Abgrenzungsrituale wären dem Ziel des Antrags ohnehin nicht angemessen.
Und so las sich denn auch eine Entwurfsfassung vom 26. September: Alle Bundestagsfraktionen forderten darin, den Kampf gegen Antisemitismus zu verstärken und das jüdische Leben in Deutschland besser zu fördern. Als ganz praktisches Ergebnis sollte "die Stelle eines Bundesbeauftragten" eingerichtet werden, der als Ansprechpartner für Initiativen fungiert und regelmäßig Berichte über den virulenten Antisemitismus in der Bundesrepublik vorlegt.
Auf symbolische Wirkung angelegt
Man mag Zweifel hegen, ob ein solcher Aufruf und ein solches Amt etwas daran ändern können, dass im Schnitt jede Woche ein jüdischer Friedhof in diesem Land geschändet wird. Aber es sollte ja auf die symbolische Wirkung ankommen.
Inzwischen geht von der Debatte um den Antragstext ein Signal der ganz anderen Art aus: Teile der Unionsfraktion im Bundestag wollen das gemeinsame Papier lieber scheitern lassen, als mit der Linkspartei zu kooperieren. Bereits im September hatte die CDU-Spitze den Bann über die Partei verhängt und das "uneingeschränkte" Tabu jeglicher Zusammenarbeit mit der DDR-Vergangenheit der Linken begründet. Das ist nicht nur vor dem Hintergrund real existierender Bündnisse in ostdeutschen Kommunen ein Ansinnen, das die Öffentlichkeit für dumm verkauft, sondern auch angesichts der CDU-Geschichte.
Dessenungeachtet zieht die Union nun erneut diese Karte. Anfang Oktober brachte die Union überraschend eine neue Fassung des Antisemitismus-Antrags ins Spiel. Die Linksfraktion tauchte darin nicht mehr als Mit-Urheberin auf. Knapp eine Woche darauf lag bereits ein weiterer Entwurf auf dem Tisch, in den die Union einen Satz eingefügt hatte, dessen einziger Zweck nur darin bestehen konnte, die Linkspartei auf Distanz zu der Vorlage zu bringen: "In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass Israel von der DDR nie anerkannt worden ist, jüdische Unternehmer in der DDR enteignet wurden und aus der DDR fliehen mussten, und die DDR wie 1973 unter Bruch des geltenden Kriegsvölkerrechts Waffen an Feinde des Staates Israel wie Syrien lieferte."
Die Vizepräsidentin des Bundestages und Linkspartei-Abgeordnete Petra Pau nannte die Formulierung "böswillig und ahistorisch" - und erhielt dabei von Experten Rückendeckung. Der SPD-Abgeordnete Gert Weisskirchen, der als erster Kandidat für die Stelle des Bundesbeauftragten gilt, sprach von einer "gewollten Verschärfung" durch CDU und CSU. Der Zentralrat der Juden warnte, die Chance auf einen gemeinsamen Entwurf nicht für "Wahlkampfgezänk" aufs Spiel zu setzen. Die Union, so die einhellige Meinung, solle sich einen Ruck geben und den "blamablen" Widerstand gegen den Antrag aufgeben. Die grüne Fraktionsvorsitzende Renate Künast schrieb an ihren Unionskollegen Volker Kauder, er möge "dringend" dafür sorgen, "dass Abgeordnete Ihrer Fraktion ihre Aktivitäten gegen die gemeinsame Initiative einstellen".
Dass die Initiative nicht von der Union in toto, sondern von bestimmten Politikern torpediert wird, konnte man ahnen, als in den Medien zu lesen war, dass die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann "erst vor wenigen Wochen" in der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe durch ihren Parteikollegen Philip Missfelder ersetzt worden sei. Connemanns Büro zeigte sich auf Anfrage "sehr erstaunt" und wollte "dazu gar nichts sagen". Das Büro von Missfelder erklärte dem Freitag, entsprechende Meldungen seien "definitiv falsch", Connemann habe weiter die Federführung für die Union in dieser Frage inne.
Daran war jedoch kaum noch zu glauben, als sich der Chef der Arbeitsgruppe Innen der Unionsfraktion, der CSU-Abgeordnete Hans Peter Uhl, in die Diskussion einschaltete. Uhl pfiff seine Fraktionskollegin nun mit der Äußerung zurück, die Union halte "es für Heuchelei, wenn sich die Linke heute als Vorkämpfer gegen den Antisemitismus geriert". Nun musste es erst recht danach aussehen, dass Connemann einen Kompromiss mit der Linkspartei verhandelt hatte, der von der Fraktionsspitze nicht gewollt war. Die CDU-Frau hatte zuvor, hieß es von Teilnehmern, in den "sehr kompromissorientierten" Gesprächen auch nicht versucht habe, die DDR-Geschichte "da reinzutragen".
Ausweitung der Konfrontationszone
Inzwischen spielt die Union auf Zeit. "Ein Antrag zum Thema Antisemitismus mit entsprechendem Inhalt müsste zunächst in der dafür zuständigen Arbeitsgruppe Innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion behandelt werden", sagt Uhl. Die Innenpolitiker würden sich "mit dem Thema erstmals am 11. November 2008" befassen.
Damit ist klar, dass der Antrag nicht mehr zum Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 eingebracht werden kann. "Bei gutem Willen", hoffte die Linkspartei-Abgeordnete Pau vor wenigen Tagen, "sollte es aber in diesem Jahr noch möglich sein".
Derzeit scheint eine einvernehmliche Lösung indes unwahrscheinlicher denn je. Zwar haben die Grünen eine Fassung vorgelegt, in der die umstrittene DDR-Passage gekürzt ist. Den maßgeblichen Unions-Innenpolitikern ist an einer Einigung aber gar nicht gelegen, eher wird die Konfrontationszone noch ausgeweitet. Wenn es sein müsse, ließ sich CSU-Mann Uhl zitieren, werde man die Entschließung gegen Antisemitismus eben "ohne die Linke und gegebenenfalls auch ohne die Grünen verabschieden".
Aber welches Signal soll dann noch von einem solchen Antrag ausgehen?
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