Im Messias-Business

Eventkritik Papst-Kritiker Hans Küng stellte in Berlin sein neues Jesus-Buch vor. Beistand bekam er dabei von dem Ex-Ministranten Thomas Gottschalk

Leere Gotteshäuser, verwaiste Gemeinden, Austritte und fehlender Nachwuchs – die römisch-katholische Kirche bezahlt für ihre Gegenwartsverweigerung einen hohen Preis. Ginge es nach dem Theologen Hans Küng, sähe die Institution wohl einiges sympathischer aus. Küng ist gegen das Zölibat, für die Ökumene und die Gleichberechtigung der Frau in der Kirche. Er stellte schon vor 40 Jahren das kirchliche Verbot der Antibabypille infrage.

Wegen zahlreicher Streitschriften liegt der römisch-katholische Priester und emeritierte Theologie-Professor seit Jahrzehnten mit Rom über Kreuz. An diesem Montagabend stellt er sein neues Buch in einem Berliner Kino vor, das den gleichen Namen trägt wie das widerchristliche Machtzentrum im Neuen Testament: Babylon. Das Buch heißt einfach Jesus. Darin schreibt Küng, dass die Kirche heute anders aussähe, würde sie sich an der historischen Person Jesus orientieren: „Entscheidend ist, was Jesus getan hätte.“ Küng hat dafür die Schriften des Neuen Testaments studiert, um nicht einen Gott auf Erden, sondern einen Menschen zu beschreiben, der am Kreuz gestorben und dessen Leichnam vergraben worden sei. „Alles andere ist Schwachsinn!“

Küng sagt, dass Jesus Ehebrecherinnen in Schutz genommen habe und die Sexualmoral der Kirche eine andere wäre, „wenn Jesus wiederkäme“. In den 1960er Jahren gehörte Küng dem von Papst Johannes XXIII. einberufenen Zweiten Vatikanischen Konzil an, das die Kirche modernisieren sollte. Schon vorher hatte er ein Reformprogramm entwickelt, dessen Umsetzung noch heute einer katholischen Revolution gleichkäme.

Jesus aus dem Felsengrab

Nach seinem Auftakt führt Küng seinen Gast ein, der das anschließende Gespräch moderieren soll. Thomas Gottschalk steigt über eine in die Bühne eingelassene Treppe empor. „Wie Jesus aus dem Felsengrab“, ulkt Gottschalk selbst. Vor einigen Wochen noch hätte das Bild gut gepasst: Die ARD hatte den Moderator mit den güldenen Engelslocken und der katholischen Sozialisation als Messias auserkoren, das siechende Vorabendprogramm im Ersten zu retten: Ödnis zu Quote statt Wasser zu Wein. Bisher hat das nicht funktioniert.

Er komme gerade aus dem Fernsehstudio, es gebe da so eine neue Sendung mit ihm, sagt Gottschalk, „von der Sie offensichtlich noch nichts gehört haben“. Die rund 350 Zuhörer im Saal goutieren die Selbstironie mit vornehm-zurückhaltendem Lachen. Gottschalk hätte genau so gut sagen können: „Hier hab’ ich mehr Zuschauer als eben vor dem Fernseher saßen.“ Über das maue Zuschauerinteresse scherzt er gerne bei öffentlichen Auftritten. Es soll aussehen, als kratze es ihn nicht, als stehe er drüber. Ein Messias halt.

Eine Stunde zuvor saß Küng selbst noch bei Gottschalk Live im nahegelegenen Humboldt Carré neben Rudi Völler, der auch mal als Messias gefeiert wurde. Auf der Bühne lobt Ex-Ministrant Gottschalk nun die Verständlichkeit von Küngs Buch, fürchtet aber Gottes Zorn, wenn er dem Kirchenkritiker folge: „Bin ich dann immer noch auf dem Boden der Una Sancta“, der heiligen Kirche, fragt er. „Ohne weiteres“, meint Küng. Denn statt dem christlichen Fundamentalismus zu huldigen, solle man sich schlicht an Jesus Christus orientieren. „Mehr ist nicht verlangt.“

Hier sieht der 83-Jährige auch das unentschuldbare Fehlen der Kirche: Es gebe einen Kontrast zwischen Jesus und dem prunkvollen Auftreten der kirchlichen Organisation, des in Gewänder aus dem Barock gekleideten Papstes: „Was hat das noch mit Jesus von Nazareth zu tun?“

Küng bezeichnet sein Buch als Gegenentwurf zur zweiteiligen Jesus-Biografie Benedikts, zu deren zentralen Bestandteilen die Auferstehung Jesu zählt. Während des Konzils in den 60er Jahren waren Küng und Joseph Ratzinger befreundet. Den Bruch mit „B16“, wie der Kritiker Papst Benedikt XVI. gerne höhnisch nennt, beschrieb Küng in einem früheren Buch: Während er Reformer blieb, wurde Ratzinger zum Verteidiger kirchlicher Dogmen. Kein Wunder, dass Küng, dem 1979 nach Kritik am Dogma der Unfehlbarkeit von Rom die Lehrerlaubnis für katholische Theologie entzogen wurde, seine Probleme hat mit dem deutschen Restaurationspapst.

Wie in der DDR

Küng verglich Benedikt in der Vergangenheit schon mal mit Wladimir Putin und bescheinigte ihm im kirchlichen Umgang mit den Missbrauchsfällen an Kindern eine aktive Beteiligung am Vertuschungssystem. An diesem Abend lässt er meist verbale Milde walten, auch wenn er einmal Rom mit der DDR vergleicht. Es herrsche ein System des Zwangs, in dem alle das Gleiche glauben und predigen müssten.

Wenig Hoffnungen hat er für schnelle Reformen, auch der Nachwuchs sei heute oft „auf Restaurationslinie“. Gottschalk versucht es mit Lockerheit und fragt, ob die Kirche denn noch die Kurve kriegen werde. „Vermutlich wird das Elend noch größer werden“, antwortet Küng ernst – und ruft zu zivilem Ungehorsam auf, wie er von der Pfarrerinitiative Österreich geübt wird: Dieser Zusammenschluss spricht von einer „römischen Verweigerung einer längst notwendigen Kirchenreform“ und wendet sich unter anderem gegen die Verurteilung von Homosexuellen und Geschiedenen.

Obwohl das Publikum im Babylon-Kino weder aus Ungläubigen, noch aus glühenden Anhängern Benedikts besteht, sondern an einer aufgeklärten und modernen Kirche durchaus interessiert scheint, ist die Veranstaltung bereits nach einer knappen Stunde vorbei. Eine Diskussion mit dem Publikum gibt es nicht. Thomas Gottschalk habe noch nicht gegessen, entschuldigt Küng.

Das ist das Zeichen für die Autogrammjäger, die Bühne zu stürmen, um Gottschalk die Bücher von Küng signieren zu lassen. Der verhinderte TV-Messias schreibt ins Jesus-Buch. Er sei als Kritiker unbequem, hatte Küng zuvor noch gesagt und ein Jesus-Exemplar hochgehalten. „Aber dafür habe ich ja einen hinter mir.“

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