Der Freitag: Malikah, Ihr Künstlername ist der arabische Begriff für Königin. Steht das symbolisch auch für ein modernes arabisches Selbstbewusstsein?
Malikah: Die Absicht von Rap ist es, den Menschen eine Aussage zu vermitteln. Eine Königin spricht im Interesse der Menschen. Außerdem bin ich in meinem Flow und meinem Auftreten kraftvoll – und Kraft wird durch eine Königin repräsentiert.
Sie bezeichnen sich als Hardcore- Rapperin, in Ihren Texten geht es um die Ermächtigung der Frau.
Ich rappe sehr energisch, viele vergleichen meinen Stil mit einer Maschinenpistole. Ich verkörpere die Rolle der starken, insbesondere arabischen Frau. Es gibt in vielen arabischen Ländern starke, selbstbewusste, moderne Frauen – aber in vielen leider auch nicht. Ich spreche deshalb über die Teilhabe der Frau an der Gesellschaft.
Treffen da nicht zwei Kulturen aufeinander: das selbstbewusste und unabhängige Auftreten der Rapperin und das traditionelle Rollenbild der Frau in der arabischen Gesellschaft?
Es gibt ein großes Missverständnis zwischen dem, wie der Islam die Frauen sieht und wie es die Gesellschaften in arabischen Ländern tun. Der Islam bestärkt und ermutigt die Frau. Was sie hemmt und einschränkt, ist nicht die Religion, sondern die Kultur. Diese sagt arabischen Frauen: Zieh dich nicht so an, verhalte dich, wie man es dir sagt. Die wahre arabische Frau ist aber selbstbewusst, gebildet, stark und stolz.
Inwiefern ermutigt der Islam denn die Frau?
Der Islam sagt nicht, dass Frauen einen Schleier tragen müssen, das ist eine persönliche Entscheidung. Er sagt: Kleide dich anständig, damit dich die Leute respektieren – was überall in der Welt selbstverständlich ist. Der Ehemann muss die Familie versorgen, die Frau kann wählen, ob sie arbeiten will. Verliert eine Frau ihren Mann, müssen ihr Vater oder ihre Brüder sie nach islamischem Recht fi- nanziell unterstützen, damit sie ihr Selbstwertgefühl behält.
Dadurch begibt sie sich doch aber in eine neue Abhängigkeit.
Sie kann arbeiten gehen, das ist ihre eigene Entscheidung. Der Islam verbietet es nicht. Arbeiten und lernen, nach Wissen streben und sich weiter entwickeln, da-rum geht es. Ich glaube, dass der Islam missverstanden und falsch ausgelegt wird – vom Westen, aber auch in der arabischen Welt –, um Frauen unterdrücken zu können.
Was halten Ihre Eltern eigentlich davon, dass Sie rappen?
Als ich mit Rap anfing, war ich 15. Meine Eltern waren absolut dagegen, sie hatten all die stereotypen Frauenbilder aus den USA im Kopf. Ich hab es trotzdem gemacht, HipHop begann zu jener Zeit im Libanon zu erblühen. Als wir die ersten Auftritte in Clubs bekamen, verdeckte ich auf der Bühne mein Gesicht. Beirut ist sehr klein, jeder kennt jeden. Das tat ich ein Jahr lang, bis ich meinen Eltern erklärt habe, dass ich etwas mitzuteilen habe und nicht nackt auf die Bühne gehe. Mein Vater sagte: Solange es deine Noten nicht beeinflusst, kannst du es machen.
Damals schrieben Sie Ihre Texte noch in Englisch.
Ja, es gab noch keinen Arabic HipHop. 2006 brach dann der Krieg mit Israel aus. Ich habe ihn nicht unmittelbar erlebt, weil ein anderer Teil der Stadt bombardiert wurde. Die Bomben flogen aber über uns hinweg, nach dem Einschlag bebte die Erde. Es gab diese ständige Angst. Ich kann mich daran erinnern, als Kind im Bürgerkrieg in Schutzbunker gegangen zu sein, aber die Erfahrung des Krieges als Erwachsene war etwas Neues für mich.
Deshalb rappten Sie fortan auf Arabisch?
Ich war sehr betroffen, Menschen starben, mein Land wurde zerstört. Ich wollte ein Lied schreiben und begann damit auf Englisch. Es ist im Libanon kein Privileg, zur Universität zu gehen, die meisten Menschen wachsen bilingual auf. Dann habe ich aber realisiert: Wir haben eine wunderschöne, sehr starke Sprache. Ich bin stolz auf dieses Erbe. Ich schrieb "Ya Lubnan" ("Gemeinsamer Libanon") also auf Arabisch und verliebte mich in die Worte. Sprache ist Identität.
Sie sind in Marseille geboren, wie kamen Sie in den Libanon?
Meine Mutter stammt aus Algerien, mein Vater ist Libanese. Sie trafen sich in Algerien. Nach ihrer Heirat lebten sie im Libanon, aber meine Mutter wusste, dass die Situation schwierig ist: Mit einem libanesischen Pass würde es für ihre Kinder später einmal schwer, zu reisen. Also brachte sie mich und meine Brüder in Marseille zur Welt, damit wir einen französischen Pass bekamen.
Sie ist nur für die Geburten nach Frankreich gereist und danach zurück in den Libanon?
Ja. Wir haben Verwandte in Marseille, es gibt ja viele Algerier in Frankreich. Es war ein Trick und ich danke ihr jeden Tag dafür. Ein europäischer Pass gibt dir leider als Mensch einen Bonus. Ich habe aber nie in Frankreich gelebt.
Jetzt leben Sie in Dubai – auch keine typisch arabische Stadt. Wie fühlen Sie sich dort?
Ich habe immer Heimweh. Ich bin sehr anhänglich und patriotisch. Ich mag Kultur und Traditionen. In Dubai ist alles sehr neu, sauber und gut organisiert. Ich komme aus einem Land, in dem es laut ist und ein gewisses Chaos herrscht, das ich sehr mag. Schließlich bin ich so aufgewachsen. Mir blieb aber keine andere Wahl, im Libanon gibt es heute keine Jobs.
Woran liegt das?
Die Korruption ist sehr weit verbreitet. Du kommst nicht weit, wenn du nicht die richtigen Leute kennst. Es gibt auch kaum freie Stellen. Und selbst wenn du Kontakte hast, ist das Einkommen immer noch sehr niedrig. Ich verdiene in Dubai 2.700 Dollar, für den gleichen Job bekäme ich im Libanon 600 Dollar – die Lebenshaltungskosten sind aber die gleichen.
Hardcore-Rap ist untrennbar mit Wut verbunden. Sie sind gut gebildet, haben im Ausland studiert, arbeiten in Dubai bei einer internationalen Werbeagentur. Wie erklären Sie Ihre Wut?
Die Wut basiert nicht auf den persönlichen Lebensumständen. Ich kann nicht über Diebstahl und Gewalt auf den Straßen rappen, denn das gibt es hier nicht, die Straßen sind sehr sicher. Unsere Wut richtet sich gegen die Korruption, die Regierung, gegen die Kriege. Unsere Wut ist größer als die eines Gettos. Wir sind nicht besorgt, weil jemand mein Telefon klaut. Wir sind besorgt über Menschen, die uns bombardieren und töten. Wenn du über große Probleme wie den Krieg im Irak sprechen willst, musst du gebildet sein. Du musst deine Geschichte kennen und warum das alles passiert. Wer die Strippenzieher in diesem großen Spiel sind. Denn letztlich sind wir alle ja nur Teil eines großen Spiels, das keiner von uns wirklich versteht.
Bildung als Waffe?
Genau. Einzig Wissen, das Lesen vieler Bücher und die Analyse verleihen dir die Glaubwürdigkeit, über solche Themen zu sprechen. Als arabischer Rapper musst du gebildet sein. Denn wir sprechen nicht nur darüber, was bei uns untereinander passiert, wir reden über ein größeres Bild. Wir haben eine größere Wut als jeder andere, weil über Araber überall auf der Welt ein sehr negatives Stereotyp verbreitet worden ist, das uns nicht gerecht wird: nämlich das der Terroristen.
Wie treten Sie diesem Stereotyp entgegen?
Wenn du in ein arabisches Land gehst, egal welches, wird dir mit Liebe und Respekt begegnet, dafür verbürge ich mich. Wenn Menschen, die uns nicht kennen, ein negatives Bild entwerfen, werden wir natürlich wütend. Wenn ich in den USA bin und Leute verhalten reagieren, weil ich Araberin bin, schockiert mich das. Selbst wenn Moslems oder Araber für die Terrorakte verantwortlich gewesen sein sollten, bedeutet das nicht, dass Millionen von Moslems und Arabern potenzielle Selbstmord-attentäter sind.
Sie sagten eben: Selbst wenn es Moslems gewesen sein sollten. Was meinen Sie damit?
Oh, das ist vielleicht alles nur eine große Verschwörungstheorie, in der es darum geht, dass Moslems und Araber ein Image bekommen sollen: Arabs are the new black. Ich persönlich glaube nicht, dass Araber all das taten, wofür sie beschuldigt wurden. Aber wir haben dazu beigetragen, dieses Stereotyp zu etablieren. Durch Araber, die in Frankreich Autos angezündet haben – und natürlich durch radikale Islamisten.
Sie behandeln dieses Stereotyp auch in Ihren Texten.
Ich bin eine stolze Muslima. Wir sollten stolz auf unser Erbe sein, egal wo wir herkommen. Wir sollten dem Westen zeigen: Seht her, wir sind coole Leute! Ihr könnt von uns lernen, genau wie wir von euch.
Der Libanon ist liberaler als andere Länder in Nahost. Profitieren Sie als Künstlerin hier nicht sehr von einer in der Region seltenen Meinungsfreiheit?
Diese Meinungsfreiheit trägt eine Maske, wie vermutlich überall auf der Welt. Sie lassen dich reden, worüber du willst, aber wenn du zu weit gehst, werden sie handeln. Ja, wir haben das Privileg, das aufgeschlossenste Land in der arabischen Welt zu sein. Wir sind kein muslimisches Land, es gibt viele Religionen, diese Vielfalt verleiht eine gewisse Stärke. Hinzu kommt die gute Bildung. Wir Rapper verpacken trotzdem vieles zwischen den Zeilen. Ich bin nicht dumm, ich weiß, wenn ich Namen nenne, können sie mich festnehmen.
Um einem damit Angst zu machen?
Ja, sie lassen dich wissen: Du bist zu weit gegangen. Im Libanon geht es noch, in Syrien und Ägypten ist es schlimmer. Wenn ich in Syrien bin, passe ich sehr genau auf, was ich sage. Bei den Shows sind Leute vom Geheimdienst im Publikum. Selbst wenn ich dort etwas über die libanesische Regierung sage, könnten sie es als Kritik an Syrien verstehen. Dann bekomme ich Probleme.
Der Geheimdienst scheint auch im Libanon Konzerte zu besuchen. Der Sänger Zeid Hamdan wurde festgenommen, weil er in einem Song Präsident Michel Sulaiman kritisiert hat.
Zeid gab einem Radiosender in Israel ein Interview und sprach über das Leben im Libanon. Unsere Regierung fürchtet das. Als sie davon Wind bekam, behielt sie ihn im Auge. Dann hörten sie den Song, in dem Zeid den Präsidenten zum Rücktritt auffordert – und nahmen ihn fest. Sie haben ihn nicht geschlagen, sie haben ihn gut behandelt, ihn befragt und zwei Tage da behalten. Es ist nicht schön, aber Normalität.
In anderen Ländern der Region haben wir 2011 den Arabischen Frühling verfolgt. Welche Rolle spielt HipHop bei dieser Demokratisierung der arabischen Welt?
Eine große. HipHop bildet und regt zum Nachdenken an. In unseren Texten sagen wir den Menschen: Ihr müsst nicht unter diesen Umständen leben. Ihr habt das Recht, aufzustehen. Ihr habt das Recht, eine andere Regierung zu fordern. HipHop hat das in Ländern wie Ägypten besonders unter jungen Menschen vermittelt.
Ist die politische Bedeutung von Rap in der arabischen Welt also vergleichbar mit den Ursprüngen des Rap in den USA?
Definitiv! HipHop ist keine Musik zum Tanzen, sondern es geht um Bildung. Seine Aufgabe ist es, im Namen der Leute zu den Leuten zu sprechen, über ihre Probleme und ihr Leben. Entschuldigen Sie die Wortwahl: Bitches und Drogen – wen kümmert das? Die afroamerikanische Community nutzte Rap, um auf ihre Lebensumstände aufmerksam zu machen. Es ist nur normal, dass er auch zu uns kam, denn bei uns gibt es viel zu sagen.
Sie sprachen bereits das Positive an der religiösen Vielfalt im Libanon an. Doch wegen des Glaubens gab es auch einen langen Bürgerkrieg im Land.
Im arabischen Nationalstaat Großsyrien waren die arabischen Länder nicht getrennt. Juden, Muslime und Christen lebten in Harmonie. Als die Kolonialmächte alles aufteilten, begann die Differenzierung. Und Religion hat emotional einfach einen sehr starken Wert. Menschen sind bereit, dafür zu töten. Durch die kolonialistische Aufteilung wurden wir geschwächt und kämpften gegeneinander. Dieser Kampf ist noch nicht beendet, viele definieren sich noch immer über ihre Religion. Die junge Generation denkt zwar nicht so. Aber wir brauchen dringend die Trennung von Staat und Religion.
Viele im Westen beobachten die Demokratisierung in den arabischen Ländern auch mit gewissen Ängsten. In Tunesien hat eine islamistische Partei die ersten freien Wahlen gewonnen.
Die Muslimbrüder sind ein Problem. Wir sind besorgt, weil sie den Koran falsch wiedergeben und vom Islam ein falsches Bild schaffen. In Momenten der Unsicherheit suchen die Menschen Zuflucht in der Religion. Viele glauben, wir alle seien glücklich wegen des Arabischen Frühlings, aber wir sind eher beunruhigt: Was passiert in Ägypten, Tunesien, Libyen? Wir sind zurzeit schwach, es wäre leicht, bei uns Chaos zu verursachen. Diese Unsicherheit ist ein großes Problem.
Das Gespräch führte
Malikah heißt eigentlich Lynn Fattouh. Sie wird 1986 in Marseille als Tochter einer Algerierin und eines Libanesen geboren und wächst in Beirut auf. Als Kind erlebt sie dort die letzten Jahre des Bürgerkriegs zwischen arabischen Nationalisten und westlich orientierten Christen. Der Krieg fordert in 15 Jahren rund 90.000 Todesopfer.
Als Jugendliche gewinnt Malikah einen Rap-Wettbewerb im libanesischen Fernsehen. Sie erhält ihren ersten Plattenvertrag bei Emi Arabia und tourt durch viele arabische Länder. Unter anderem tritt sie auch im Vorprogramm von Snoop Dogg auf. Sie setzt aber nicht nur auf eine Musikkarriere, sondern studiert auch Marketing in Montreal und Beirut. Anfang 2011 zieht sie nach Dubai, wo sie für die internationale Werbeagentur Saatchi & Saatchi arbeitet.
2011 beteiligt sie sich am Projekt "Translating HipHop" des Goethe-Instituts. Daraus entsteht die multinationale Rap-Gruppe Lyrical Roses, der unter anderem die Berliner Rapperin Pyranja angehört. Malikah selbst gilt heute als erfolgreichste Rapperin Arabiens. TL
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