Alles und nichts wie gehabt

Gaza/Israel Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: Die Spirale der Gewalt im Nahen Osten lässt sich mit militärischen Mitteln einfach nicht lösen
Ausgabe 32/2014
Perspektive? Ein Palästinenser steht auf den Überresten eines Wohnhauses
Perspektive? Ein Palästinenser steht auf den Überresten eines Wohnhauses

Bild: THOMAS COEX/AFP/Getty Images

Irgendwann, eher früher als später, wird auch dieser Krieg in Gaza definitiv für beendet erklärt, aber nicht wirklich vorbei sein. Dann dürfte es in israelischen Stellungnahmen heißen, die militärischen Ziele wurden erreicht, die Hamas und ihre Alliierten entscheidend geschwächt. Es wird Stimmen vor allem aus dem rechten Lager geben, die der Regierung von Benjamin Netanjahu Zögerlichkeit und mangelnde Härte vorwerfen. Aber es werden sich auch jene Israelis noch lauter bemerkbar machen, die schon jetzt nach dem Sinn solcher Militäraktionen gefragt haben. Beide wissen: Nach dem Krieg ist vor dem nächsten Waffengang. Also alles wie gehabt, wie während der Gaza-Operationen in den Jahren 2008 und 2012 schon erlebt und erlitten?

Die Palästinenser hatten noch nie viele, am allerwenigsten aber uneigennützige Freunde in der Region. Jetzt haben sie nicht einmal mehr Verbündete, die helfen und ihnen nur für einen kurzen Moment politische Relevanz verleihen. Ein Grund dafür ist die Hamas mit ihrer perfiden, terroristischen Kriegsführung und ihrem Gesellschaftsmodell. Doch reicht diese Erklärung? Haben die Bewohner Gazas keine Verbündeten mehr, weil dort die Hamas am Ruder ist? Oder ist es umgekehrt? Kann sich die Terrororganisation dort derart ungehindert entfalten, weil sich die Menschen vom Rest der Welt verraten und verkauft fühlen müssen?

Wenn die Waffen schweigen, die Toten begraben und betrauert sind, wird eine Perspektivlosigkeit bleiben, die aus dem medialen Fokus schnell verschwinden und dem Nachdenken über ein, sagen wir, friedliches Elend weichen wird, das heute schon den Keim der nächsten Eruption in sich trägt. Die Hamas sollte ja auch nicht zerschlagen werden. Sie wird gebraucht – zur Verwaltung des Elends. Israels Feldzug diente allein dazu, ihre militärischen Fähigkeiten zu brechen. Und die haben sich, wie man in den vergangenen vier Wochen sehen konnte, seit Ende 2012 verbessert und keineswegs verringert. Die Raketenangriffe aus Gaza sind gefährlicher geworden und haben Ziele in Israel erreicht, die vorher undenkbar schienen.

Doch wie in jeder asymmetrischen Konfrontation lässt sich auch hier die Spirale der Gewalt nicht mit militärischen Mitteln stoppen. Israel wird von Sieg zu Sieg verwundbarer, sein berechtigter Anspruch, die eigene Bevölkerung vor den Raketen zu schützen, immer weniger einzulösen. So wird die Ruhe nach diesem Krieg eine auf Zeit sein, erkauft mit Aufrüstung auf beiden Seiten und ohne irgendeine erkennbare politische Perspektive.

Eine solche Perspektive hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf geradezu lächerlich anmutende Weise ins Spiel gebracht, als er vorschlug, Mahmud Abbas und die von ihm geführte Autonomiebehörde in der Westbank sollten die politische Führung in Gaza übernehmen. Zu seiner Ehrenrettung sei erwähnt, dass Deutschland im Konzert mit der Europäischen Union lange, aber eben nicht hartnäckig genug, gedrängt hatte, die erst Anfang Juni vereidigte Einheitsregierung aus PLO und Hamas doch bitte als Chance und nicht als Gefahr zu begreifen. Wohl wissend, dass nach der Hamas bereits die nächsten, radikaleren und von jeglicher zivilen Organisation von Gesellschaft noch weiter entfernten Islamistenverbände quasi vor der Tür stehen.

Aber diese Einheitsregierung gibt es nun freilich nur noch auf dem Papier. Die EU wie die Vereinten Nationen sind im Nahostkonflikt längst ein zahnloser Tiger, der allenfalls Geld für Wiederaufbau und Entwicklung beschaffen kann. Doch erweist sich derartige Hilfe als wichtig und sinnlos zugleich, solange sich Schulen und Kraftwerke bei der nächsten Eskalation in Schutt und Rauch auflösen.

Weil der Arabische Frühling auch die wenigen, zumeist temporären Alliierten der Palästinenser paralysiert oder mit einer neuen Agenda ausgestattet hat, bleiben nur zwei Akteure von perspektivischer Relevanz: Washington und Tel Aviv selbst. Die Obama-Administration ist leider ein Totalausfall. Sie konnte in dieser Krise kein wirkungsvoller Emissär sein, weil ihr das innenpolitische Rückgrat ebenso fehlte wie das außenpolitische Geschick. Bleibt Israel. Das Land stünde eigentlich vor der Herkulesaufgabe eines kompletten Kurswechsels. Aber für den scheint es momentan weder mental noch politisch gerüstet zu sein.

In den 90er Jahren gab es unter den Israelis ein breites Bewusstsein dafür, dass ihr Staat als einzige Demokratie im Nahen Osten es sich und seinen Werten schuldig ist, eine Lösung für all die Konflikte mit den Palästinensern zu finden. Es gab einen, nicht zuletzt von der damals noch relevanten Friedensbewegung getragenen, inneren Konsens für den Osloer Friedensprozess, der sich auf eine wachsende Empathie für den Nachbarn stützen konnte. Davon kann heute, elf Jahre nach dem Beginn eines Mauerbaus, der Israel vor Terrorangriffen schützen soll und von seinem Nachbarn radikal trennt, keine Rede mehr sein. Der Widerstand der Hamas hat nun auch die letzten Illusionen darüber zerstört. Auch wenn das nach diesem Krieg fast surreal wirkt: Die einzige Chance für Frieden und Sicherheit liegt darin, zu dieser Politik zurückzukehren. Also zur Kunst des Unmöglichen.

Torsten Wöhlert ist Iranwissenschaftler und lebt in Berlin

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