Vorhersehbar läutet der jüngste Report der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) die nächste Runde in der Kontroverse um das iranische Atomprogramm ein. Das Land hat – mit hoher Wahrscheinlichkeit – bis 2003 tatsächlich nach der Bombe gegriffen, dies dann aber offensichtlich gestoppt. So lautete im November 2007 das Urteil der US-Geheimdienste. Der neue IAEA-Bericht liefert – außer verschärfter Rhetorik – dazu wenig Neues, und das Wenige entzieht sich der Überprüfung, weil Quellen unzureichend belegt sind.
Im Unterschied zu seinem Vorgänger übt US-Präsident Obama bisher erstaunliche Zurückhaltung. Dass sich seine Administration auf ein militärisches Abenteuer einlässt, kann man angesichts der desaströsen Erfahrungen im Irak und in Afghanistan wohl ausschließen, auch wenn diese Option erklärtermaßen auf dem Tisch bleibt. Deutlich schärfer dagegen sind die Reaktionen aus Israel, wo präventive Schläge gegen iranische Atomanlagen nicht erst seit gestern erwogen werden. Von den Erfolgsaussichten abgesehen, braucht es für einen Angriff freilich grünes Licht aus Washington und ein stillschweigendes Einverständnis der Golfstaaten – beides scheint nicht vorzuliegen. Deshalb zielen die harschen Töne aus Jerusalem wohl in erster Linie darauf ab, verschärfte Sanktionen gegen Teheran durchzusetzen.
Chomeinis Muster
Im Iran platzt der IAEA-Report in eine weitere Runde des Machtkampfes zwischen Präsident Ahmadinedjad und dem religiösen Führer, Ayatollah Chamenei. Der hat unlängst laut darüber nachgedacht, das Amt eines Präsidenten entweder ganz abzuschaffen oder diesen vom Parlament wählen zu lassen, um so die religiöse Führung des Landes zu stärken. Chamenei versucht damit, in die Fußstapfen seines Vorgängers und des Gründers der Islamischen Republik, Ayatollah Chomeini, zu treten. Unter dessen Führung gab es nach der Revolution 1979/80 mit einem vom Parlament gewählten Premier und einem direkt gewählten Staatspräsidenten zwei von der Theokratie beherrschte „weltliche“ Machtzentren. Als Chomeini 1989 starb, wurde das Amt des Premiers abgeschafft und das des Präsidenten aufgewertet. Ayatollah Chamenei bekam einen starken, weil direkt gewählten Staatschef zur Seite gestellt. Das war bis 1997 der konservative Pragmatiker und Erzrivale Hashemi Rafsanjani, der eine vorsichtige Öffnung Irans betrieb, von der in wirtschaftlicher Hinsicht nur die neue, klerikale Oberschicht des Landes profitierte. Ihm folgte ab 2005 der Reformer Chatami, dessen demokratische Lockerungsübungen ebenso halbherzig blieben wie seine Versuche, soziale Gegensätze zu entschärfen. Weder Rafsanjani noch Chatami haben die religiöse Autorität des Revolutionsführers offen herausgefordert. Beide waren jedoch stark genug, Chamenei in der Tagespolitik Paroli zu bieten.
Als der Underdog-Populist Ahmadinedjad 2005 unter tatkräftiger Mithilfe Chameneis die Präsidentschaft übernahm, schien es so, als würde die unheilvolle Allianz der Chomeini-Ära zwischen „Radikalen“ und Klerus einen zweiten Frühling erleben. Doch Geschichte wiederholt sich nicht. Chamenei fehlt die religiöse Autorität seines Vorgängers. Und Ahmadinedjad hat das Amt genutzt, um sich mit den von ihm protegierten Revolutionsgarden eine eigene Hausmacht aufzubauen.
Viel zu verlockend
Seine von Fälschungen begleitete Wiederwahl 2009 gipfelte in einem bis dato unerhörten Protest der städtischen Jugend, der brutal erstickt wurde. Als Chamenei sich in diesem Konflikt auf die Seite Ahmadinedjads schlug, hat er viel Kredit als „höchste Instanz“ verspielt. Diese Schwäche nutzte Ahmadinedjad postwendend, um in napoleonischer Manier nicht nur seinen Mentor, sondern auch das wichtigste Herrschaftsprinzip der Islamischen Republik infrage zu stellen: Die oberste Autorität eines islamischen Rechtsgelehrten.
Seitdem tobt ein offener Machtkampf, der die Grundfesten des Regimes erschüttert, das Land politisch spaltet und wirtschaftlich zu ruinieren droht. Der Atomkonflikt bietet da willkommene Ablenkung, weil zumindest das zivile Nuklearprogramm auf einem nationalen Konsens beruht und militärische Ambitionen unisono bestritten werden. Sehr glaubwürdig sind diese Dementis nicht. Dafür ist die atomare Option als Trumpf im regionalen Machtpoker und als Versicherungspolice gegen einen Regimewechsel à la Irak oder Libyen für die Hardliner in Teheran viel zu verlockend.
Die entscheidende Frage im Wettlauf gegen die Zeit bleibt daher, ob das Regime schneller stürzt, als es die Hand nach einem roten Knopf ausstrecken kann. Insofern haben auch verschärfte Sanktionen nur dann einen Sinn, wenn sie Machtfundamente der Hardliner treffen, besonders der Revolutionsgarden. Die beginnen bereits, sich von Gönner Ahmadinedjad abzusetzen. Ihr Parlamentssprecher hat sich im Streit um das Präsidentenamt unlängst auf die Seite Chameneis geschlagen. Ob Ahmadinedjad das Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit 2013 erlebt, ist mehr als ungewiss. Sollte er gestürzt werden oder ohne Nachfolger abtreten müssen, bleibt auch die religiöse Führung nicht unbeschädigt. Dann schlägt möglicherweise die Stunde der Opposition. Wenn jedoch vorher Bomben fallen, wird es eine solche Götterdämmerung in Teheran nicht geben. Dann wäre jeder Widerstand nachhaltiger beschädigt als alle Atomanlagen des Landes zusammen.
Torsten Wöhlert ist Publizist und Iran-Wissenschaftler
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