Das kleinere Übel

Syrien Ein Syrien ohne Assad kann nur mit Assad ausgehandelt werden. Wer Waffen liefert, verlängert hingegen den Krieg und vergrößert das Leiden der Bevölkerung
Ausgabe 25/2013

Es ist nicht zu übersehen, wie sehr sich die gesamte westliche Diplomatie im syrischen Bürgerkrieg strategisch und taktisch verrannt hat. So wenig, wie man vor zwei Jahren auf den Arabischen Frühling vorbereitet war und den Sturz von Despoten nicht auf der Rechnung hatte, so selbstverständlich wurde nun seit den ersten Demonstrationen im März 2011 das Ende des Assad-Regimes vorweggenommen. Offen blieb nur, wann das eintreten und wie opferreich der Abgang sein würde. Dass Baschar al-Assad sich halten könnte, schien jenseits aller Vorstellungskraft zu sein. Im empörungsschwangeren Medien-Mainstream mit seinen Schwarz-Weiß-Zeichnungen sowieso, aber offensichtlich auch in den politischen Chefetagen der Europäischen Union.

Wann aus dem „Staatschef“ der „Diktator“, aus der „syrischen Regierung“ das „Assad-Regime“ wurde, lässt sich in den Archiven nachlesen. Wer noch weiter zurückblättert, wird sogar auf westliches Lob für Assad, den „Reformer“ in Damaskus, stoßen. Der Mann hatte den Präsidentenjob übrigens nicht in seiner Lebensplanung. Er trat ihn an oder musste ihn auf Wunsch seines Vaters Hafez al-Assad übernehmen, als sein dafür vorgesehener Bruder Basil vorzeitig von Allah abberufen wurde. Aber das ist alles Schnee von gestern. Und vielleicht wächst man ja auch als Diktator erst mit seinen Aufgaben.

Wenn sich nun Washington, Paris und London vorbehalten, die Opposition (welche eigentlich?) gezielt mit Waffen zu versorgen, dann ist das auch ein Ausweis dafür, dass die Anti-Assad-Koalition eben nicht die Stärke hat, die man ihr vorauseilend zuschrieb. Nicht nur, weil sie schlechter ausgerüstet und bewaffnet, sondern vor allem, weil diese Opposition heillos zerstritten ist. Und weil ein relevanter Teil der Bevölkerung – selbst Kritiker sprechen von bis zu 50 Prozent – hinter der Regierung Assad steht. Dazu müssen sie ihren Ra’is nicht lieben und der Regierungspropaganda nicht auf den Leim gehen. Es reicht zu wissen und im Bürgerkrieg erfahren zu haben, dass Assad das kleinere Übel ist. Ein Übel zwar, aber eben das kleinere.

Zwischen die Fronten geraten

Wenn die Vereinten Nationen von mittlerweile über 90.000 Toten im syrischen Bürgerkrieg sprechen, dann stellt sich bei der medialen Zuschreibung in unseren Breiten schnell der Eindruck her, als handle es sich vorzugsweise um Opfer des staatlichen Militärs oder der Pro-Assad-Milizen. Diese Paramilitärs, die im Auftrag des Regimes handeln und als besonders grausam gelten, gibt es ohne Zweifel. Die Mehrzahl der Kriegsopfer aber ist schlicht zwischen die Fronten geraten. Das Militär folgt den Rebellen; Gebiete werden erobert und zurückerobert. In manchen Stadtvierteln von Damaskus ist es nur deshalb relativ ruhig, weil die Bewohner jeden Anflug von Rebellion im Keim ersticken, wohl wissend, dass den „Befreiern“ die Panzer, Helikopter, Jets und Granaten der Armee folgen.

Kein Zweifel: Assad führt seinen Teil des Krieges ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Ob er sich dafür je verantworten muss, steht in den Sternen. Es gibt aber auch keine Anzeichen dafür, dass die bewaffnete Opposition eine rücksichtsvollere Kriegführung betreibt. Das Weiße Haus hat inzwischen erklärt, man sei überzeugt, dass Assads Streitkräfte im Vorjahr in kleinerem Umfang Kampfstoffe wie das Nervengift Sarin eingesetzt hätten. Das klingt nicht nach dem großen Aufschrei, der einem militärischen Eingreifen – etwa der Errichtung einer Flugverbotszone – vorausgeht. Vielmehr scheint Obama bestrebt, den Interventionsanhängern im eigenen Land etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch hat die Ankündigung der US-Regierung, die Rebellen dürften jetzt mit mehr Waffentransfer rechnen, nur begrenzten strategischen Wert. Nichts gibt es in diesem Bürgerkrieg mehr als Waffen auf beiden Seiten der Front.

Zu früh abgeschrieben

Wenn dieser Konflikt militärisch also nicht zu lösen ist und wenn Diplomatie eine Chance haben soll, um weitere Opfer zu verhindern, dann ist völlig klar, dass man natürlich mit Präsident Assad und seinen Leuten sprechen muss. Mit wem denn sonst? Auf einen Königsmörder wurde lange gewartet. Es wird ihn jetzt, da sich nach der Schlacht um die Stadt al-Kusair und mit den Gefechten um Aleppo das Blatt zugunsten der Regierungstruppen zu wenden scheint, noch weniger geben. Natürlich ist es schwer, sich mit einem Feind, der gestern noch meine Familie ermorden ließ, an einen Tisch zu setzen. Aber nur mit einem Feind kann man den Frieden aushandeln. Oder vermitteln lassen. Doch auch in diesem Fall kann sich keine Seite ihr Gegenüber aussuchen. Auch der Vermittler nicht, was für die westliche Diplomatie auf einer möglichen Genfer Syrien-Konferenz eine schwierige Angelegenheit sein dürfte, eben weil sie Assad zu früh, zu eindeutig und allein auf die Anklagebank gesetzt und politisch abgeschrieben hat.

Wenn es im Moment noch Chancen auf eine erfolgversprechende Konflikt-Mediation gibt, dann ist dies Moskau und Peking zu verdanken. Dass der Westen die beiden hartnäckigen Verweigerer im UN-Sicherheitsrat jetzt als Partner braucht, um einen Konflikt einzuhegen, der andernfalls zum Flächenbrand zu werden droht und marodierenden Milizen einen weiteren „failed state“ bescheren könnte, hat schon etwas von Ironie der Geschichte. Dabei gilt: Ein Syrien ohne Baschar al-Assad ist nur mit Assad zu verhandeln. Auch das muss man erst mal verdauen.

Torsten Wöhlert ist freier Autor und hat zuletzt über die Präsidentschaft Mahmud Ahmadinedjads geschrieben

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