Erdbeeren aus der Wüste

NAHOST Wasser treibt die Mühlen eines Konflikts, der durch mehr Wasser allein nicht lösbar ist

Das Wunder von Shepherdstown ist ausgefallen. Israelis und Syrer werden wohl noch Monate brauchen, um einem Vertragsentwurf näher zu kommen. Wenn überhaupt. Dabei gibt es eigentlich keine unüberwindbaren Hindernisse mehr. Wohl aber eine Reihe von Problemen, die nicht in einem diplomatischen Handstreich à la Camp David zu lösen sind. Der Golan - das umstrittene Gebiet - hat zwar keine religiöse, dafür aber eine hohe symbolische und strategische Bedeutung. Wer den Höhenzug besitzt, kontrolliert die Tiefebenen im Nachbarland. Doch es geht nicht nur um Territorium, politische Symbolik und handfeste militärische Sicherheitsinteressen. Es geht auch ums Wasser.

Wasser ist die mit Abstand kostbarste Ressource der Region - extrem ungleich verteilt (siehe Grafik) und seit Generationen umkämpft. Die Verwirklichung des zionistischen Traums, dies wuss ten schon die Gründungsväter, hängt letztlich vom Zugriff auf das lebensspendende Nass ab. Damit waren Konflikte programmiert. Sie eskalierten, als Israel sich anschickte, die relativ fruchtbare Wüste Negev zu begrünen und 1959 den National Water Carrier in Betrieb nahm, ein 6.500 km langes Versorgungssystem aus Pipelines, Aquadukten, Dämmen, Tunnel und Pumpstationen, das seitdem israelische Küstenstädte und die Wüstenlandwirtschaft mit Trinkwasser aus dem See Genezareth versorgt.

Jordanien und Syrien reagierten prompt und begannen, Quellflüsse des Jordan auf ihr Territorium umzuleiten. Dabei wurden sie von den Israelis systematisch gestört. Erst diplomatisch und dann militärisch mit gezielten Bombardements und Grenzscharmützeln, die 1967 fast nahtlos in den Sechs-Tage-Krieg mündeten.

Krieg ums Wasser

In diesem Krieg eroberte Israel entscheidende Wasservorkommen in der Region. Von den drei Quellflüssen des Jordan - Dan, Basani und Hasbani - liegen zwei außerhalb des völkerrechtlich anerkannten jüdischen Staatsgebietes. Der Basani geriet durch die Besetzung des Golan unter israelische Kontrolle, der Hasbani im Zuge des Libanonfeldzuges 1982. Außerdem sicherte sich der jüdische Staat 1967 die alleinige Gewalt über das Ostufer des Sees Genezareth und damit über die gesamte Fläche des größten oberirdischen Süßwasserreservoires der Region. Alle drei Eroberungen stehen jetzt im Rahmen der Friedensverhandlungen mit Syrien (und Libanon) zur Disposition.

Vor allem aber erhielt Israel durch die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens Zugriff auf wichtige Grundwasserreservoire (Aquifere). Die ergiebigsten ziehen sich grenz überschreitend von den Bergen des Westjordanlandes, durch Israel in das Küstenbecken am Mittelmeer. Das heißt: Wenn der Regen auf besetztem palästinensischen Boden niedergeht, fließt das Wasser in Speicher, die bis ins israelische Kernland reichen und von dort aus auch angezapft werden können.

Baden im Mangel

Das schafft Probleme, denn diese Speicher stellen die wichtigste Wasserquelle des Westjordanlandes dar. Eine Quelle, aus der sich Israel mit über 70 Prozent bedient, während die Palästinenser nur knapp 17 Prozent erhalten. Dieses Ungleichgewicht ist gewollt und direktes Resultat der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik. Restriktive Wasserquoten und höhere Preise sorgen dafür, dass in den israelischen Siedlungen - wo Wasser in zehnfacher Menge und bis zu einem Viertel billiger zu haben ist - die Swimmingpoole gut gefüllt sind, während palästinensische Haushalte buchstäblich auf dem Trocknen sitzen.

Hier, in Palästina, liegt denn auch der eigentliche Sprengstoff des nahöstlichen Wasserkonflikts. Für Damaskus ist das Golanwasser nicht von existenzieller Bedeutung. Zwar leidet auch Syrien - wie alle Staaten der Region - im Sommer unter der Trockenheit und könnte zusätzliches Wasser aus dem Golan gut gebrauchen. Im Streit mit Israel aber spielt es nur deshalb eine so wichtige Rolle, weil Jerusalem eine strategische Abhängigkeit unter allen Umständen verhindern will. Genau die aber wäre gegeben, wenn Syriens unbegrenzte Souveränität wieder - wie vor dem Sechs-Tage-Krieg - bis zum Ostufer des Sees Genezareth reichen würde. Das Wasserproblem erweist sich so als nachgeordnete Größe in einem Territorialkonflikt, für den seit längerem konkrete Lösungsvarianten -inklusive militärischer Frühwarnsysteme und gemeinsamer Wasserschutzgebiete - auf dem Tisch liegen.

Der jordanisch-israelische Friedensvertrag von 1994 zeigt zudem, dass auch genuine Wasserverteilungskonflikte in dieser Region regulierbar sind. Immerhin sieht das Abkommen ein gemeinsames Quotenmanagement vor: Israel darf im Winter Wasser aus dem syrisch-jordanischen Grenzfluss Yarmuk in den See Genezareth umleiten. Dafür stellt Jerusalem dem Königreich im Sommer etwa 55 Millionen Kubikmeter aus seinen Speichern zur Verfügung. Der Deal funktioniert bisher - wenn auch nicht reibungslos - selbst in Zeiten akuter Trockenheit.

Einen Haken aber hat die Sache: Per Saldo steht den Israelis laut Vertrag in etwa so viel Wasser zu wie vorher, während sich der jordanische Anteil durch einen zusätzlichen Yarmuk-Staudamm und Entsalzungsmaßnahmen am unteren Jordan um 25 Prozent erhöht. Damit aber ist die Kapazität des Fluss systems mehr als ausgereizt - und für die Palästinenser bliebe nichts. Es sei denn, sie erreichen in den Endstatus-Verhandlungen mit Israel eine Umverteilung zu ihren Gunsten.

Genau danach aber sieht es nicht aus. Nicht, wenn man den Interimsvertrag (Oslo II) zum Maßstab nimmt: Wasser aus dem Jordan oder Yarmuk wurde dort gänzlich ausgeklammert, und mehr Grundwasser soll es für die Palästinenser allein durch die Ausbeutung zusätzlicher Aquifere geben. Lediglich der Gazastreifen bekommt jährlich etwa fünf Millionen Kubikmeter zusätzlich aus dem National Water Carrier. Insgesamt aber steht Israel als Wasserschuldner da, der nahezu fünf zig Prozent seines Verbrauchs aus Quellen schöpft, die jenseits des eigenen Staatsgebietes liegen.

Doch selbst wenn Jerusalem zu einer gerechteren Verteilung bereit wäre: Die Probleme blieben. Wasser ist ein knappes Gut, das durch bessere Leitungssysteme (etwa 50 Prozent des "arabischen Trinkwassers" versickern ungenutzt), moderne Bewässerungsmethoden, alternative Technologien (wie solare Meerwasserentsalzung) und regionale Kooperation effektiver ausgebeutet werden könnte - und muss! Denn, ohne diese sehr kostenintensive (!) Effektivierung droht die Region angesichts wachsender Bevölkerung und nachholender ökonomischer Entwicklung in Jordanien und Palästina schlicht auszutrocknen.

Wasserexporte aus der Wüste

Seit Jahren sinken die Wasserspiegel - nicht nur im Toten Meer, sondern auch im See Genezareth. Noch gefährlicher ist die anhaltende Versalzung der ausgepumpten Küsten aquifere durch eindringendes Meerwasser. Sie macht Grundwasser ungenießbar. Gleichzeitig pumpen die Bauern immer mehr auf ihre Felder. Schon lange ist die Landwirtschaft der größte Wasserverbraucher, obwohl ihr ökonomischer Nutzen vielerorts gegen Null geht (siehe Tabelle). Gefördert wird sie dennoch - aus politisch-ideologischen Gründen, oder weil Regierungen angesichts hohen Bevölkerungswachstums und steigender Arbeitslosigkeit oft gar nicht anders können, als den relativ arbeitsintensiven landwirtschaftlichen Sektor aktiv zu unterstützen.

Völlig widersinnig wird es jedoch, wenn agrarische Produkte in den Export gehen. Ob israelische Erbeeren, palästinensische Tomaten oder jordanische Datteln - in jedem Fall verliert die Region kostbares Wasser, das als Obst oder Gemüse oft zu Spottpreisen auf den überfüllten Märkten des Nordens landet. Noch verheerender sieht die Aquabilanz beim Tierexport aus, weil die Fleischproduktion pro Kilokalorien zehn Mal soviel Wasser kostet wie die Erzeugung pflanzlicher Nahrungsmittel.

Und wenn es Wasser im Überfluss gäbe? Rein technisch wäre das kein Problem. Ehrgeizige Pipelineprojekte, die das kostbare Nass aus Südostanatolien über den gesamten Nahen und Mittleren Osten verteilen, schmoren seit Jahren in den Schreibtischen türkischer, arabischer und israelischer Ministerialbeamter. So sicher sie dort angesichts der politischen Rivalitäten in der Region liegen, so dringend wären sie für den Augenblick - und so trügerisch für die Zukunft. Denn: Wassermangel ist in der Region kein primär natürliches, sondern ein gesellschaftliches Verteilungsproblem, das sich durch Angebotsverbesserungen mildern, aber nicht lösen lässt.

Ein Kanal des Friedens?

Seit mehr als zwei Jahrzehnten baut die Türkei an einem gigantischen Staudammprojekt im Kurdengebiet Südostanatoliens: Auf einer Fläche von 75.000 Quadratkilometern sollen mehr als 40 Dämme an den Oberläufen von Euphrat und Tigris entstehen. In zehn Jahren will Ankara damit fast zwei Millionen Hektar Land bewässern und mehr als 20.000 Gigawattstunden Strom produzieren. Kernstück ist der 1994 fertiggestellte Ata türk-Staudamm mit jährlich knapp 9.000 Gigawattstunden Stromproduktion. Von hier aus könnte auch ein "Kanal des Friedens" mehr als eine Milliarde Kubikmeter Wasser nach Syrien, Jordanien und in die Westbank bringen.

Abgesehen von den mörderischen Folgen des türkischen Ehrgeizes für die betroffenen Kurden, belasten die Wasserphantasien Ankaras auch das ohnehin gestörte Verhältnis zu Bagdad. Dort fürchtet man - völlig zu Recht - eines nahen Tages von der Gnade des mächtigen Nachbarn abhängig zu sein. Gleiche Ängste gibt es - mit Kanal oder ohne - auch in Damaskus und Amman.

Die Gigantomanie der türkischen Machthaber führt sich aber auch innerhalb der nationalen Grenzen ad absurdum. Zwar hat der hydrologische Modernisierungsschub Investoren nach Südostanatolien gelockt, doch mit dem Wasser kamen neue Probleme. Zwangsumsiedlungen sind dabei nur die brutale Spitze des Eisberges. Viele Bauern können mit dem plötzlichen Überfluss nicht umgehen und leiten mehr als nötig auf ihre Felder. Die Folge ist eine Übersalzung der Böden und schließlich völlige Unfruchtbarkeit. Andere lassen sich von schnellen Gewinnerwartungen verführen, bauen Produkte mit vermeintlichen Abnahmegarantien an und gehen wenig später an der "Konkurrenzlogik des Weltmarktes" zu Grunde. Das wiederum nützt vor allem lokalen Großgrundbesitzern, die ihr quasi-feudales Machtsystem mit zusätzlichen Landkäufen ausdehnen und so ein Heer entwurzelter Landarbeiter in die Städte abdrängen, aus dem Fundamentalisten unterschiedlicher Couleur ihre Anhänger für die nächsten Verteilungskriege rekrutieren.

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