Warum wohl hat die Belgrader Führung nach über siebzigtägigem Bombardement so schnell ein nicht mehr verhandelbares Friedensangebot akzeptiert? Weil Milosevic mit jeder weiteren Bombennacht eine machtpolitische Erosion fürchten mußte. Und weil ihm dieses Angebot - im Unterschied zum Ultimatum von Rambouillet - wenigstens die Chance versprach, sein Gesicht zu wahren. Schließlich könnte der jugoslawische Staatschef darauf verweisen, daß die mit wochenlangem Bombenterror bezahlte Lösung dem Land nicht nur das Kosovo, sondern auch die Würde ließe. Er stände dann vor den eigenen Leuten als »Sieger« da.
Ob die ihm allerdings diesen »Sieg« auf Dauer abnehmen oder ob ihnen der Preis in der Rückschau nicht doch zu h
doch zu hoch erscheint, ist alles andere als ausgemacht. Zumal, wenn klar wird, daß Kosovo als UN-Protektorat für Serbien (möglicherweise nicht für Jugo slawien) de facto verloren ist - und, wenn sich auch Montenegro aus dem Bund mit Belgrad zu verabschieden wünscht. Spätestens dann - das weiß der Machtpolitiker Milosevic nur zu gut - findet sich ein heimischer Brutus, der ihn - unter sympathisierender Anteilnahme des Westens - stürzt.Sollte Milosevic also annehmen müssen, daß der Frieden sein politisches Schicksal besiegelt, stünden die Chancen schlecht. Dann wird er die Verhandlungen in eine Sackgasse führen lassen und auf Bodentruppen warten.Nicht daß man bei der NATO besonders scharf darauf wäre, im Kosovo einzumarschieren. Die Angst, daß es nach dem Töten aus der Luft nun ans Sterben auf dem Boden gehen könnte, ist nach wie vor groß. Gleichwohl bleibt der Bodenkrieg eine realistische Option. Denn die NATO - und hier vor allem Washington - will einen Sieg ohne wenn und aber. Die Lehre soll sein: Man muß nur standhaft genug bomben, damit die Schurken dieser Welt einknicken. Ein politisches Überleben Milosevics paßt absolut nicht in dieses Bild. Sein Sturz ist als unerklärtes Kriegsziel von Tony Blair längst öffentlich gemacht worden und wird seitdem nahezu gebetsmühlenartig wiederholt. Wenn nicht im Krieg, dann im Frieden. Mit Milosevic soll es jedenfalls für den Wiederaufbau Serbiens keinen müden Euro geben.Das nennt man Erpressung. Eine Erpressung, deren Adressat nicht etwa der als Kriegsverbrecher angeklagte Regimechef, sondern die serbische Bevölkerung ist. Und damit die gar nicht erst auf andere Gedanken kommt, müht sich der angelsächsische Flügel der Allianz nach Kräften darum, den Belgrader Führer zu desavouieren. So verständlich und berechtigt das ist, so kontraproduktiv ist es auch, weil niemand erwarten kann, daß Milosevic sein eigenes politisches Todesurteil unterschreibt. Unterschreiben aber soll er am Ende. Also muß man ihm ein Schlupfloch lassen. Andernfalls sind die Verhandlungen lediglich eine Alibiveranstaltung zur Legitimation weiterer Luftschläge - bis hin zum Bodenkrieg.Das jedoch ist absolut nicht im Interesse der Kontinentaleuropäer und schon gar nicht im Sinne der Bonner Koalition, die sich den diplomatischen Durchbruch des vergangenen Wochenendes durchaus zugute halten darf. Wenn es in NATO-Kreisen je Überlegungen gab, Kosovo zu nutzen, um die eigene Omnipotenz zu beweisen, indem man die UNO umgeht, Rußland vorführt und Europa an die Kandare legt, dann ist dieses Vorhaben bisher gründlich gescheitert. Kritische Geister in Washington und Brüssel wissen längst, daß die Allianz noch einmal mit einem blauen Auge davonkommt - so es bei der von Belgrad gebilligten Konfliktlösung bleibt.Diese Lösung kann es aber nur geben, wenn sich am Ende alle Beteiligten als »Sieger« sehen. Auch Rußland. Zwar ist der amerikanische Versuch, die einstige Supermacht auf das diplomatische Niveau von Guinea-Bissau zurechtzustutzen, gründlich gescheitert. Dem Vermittler Tschernomyrdin werden deshalb zu Hause jedoch keine Lorbeerkränze geflochten. Der Balkan befindet sich schließlich vor der russischen Haustür, und da liegt die Meßlatte mindestens auf »gleichberechtigt«.Von einer Gleichberechtigung Moskaus gegenüber Washington kann jedoch keine Rede sein. Das schaffen nicht einmal die westeuropäischen Verbündeten der USA, und der Jugoslawienkonflikt hat nahezu exemplarisch vorgeführt, warum. Amerikas Überlegenheit ist in erster Linie ein Ausdruck europäischer Schwäche. Dieses Ungleichgewicht will die Europäische Union nun mit dem erneuten Anlauf zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wenigstens teilweise überwinden. Doch da ist Vorsicht geboten. Man erinnere sich nur an den Juni-Gipfel der EU 1991. Damals strotzten die Europäer vor Selbstbewußtsein und wollten im beginnenden Jugoslawienkonflikt ihr außenpolitisches Gesellenstück abliefern - ohne Amerika. Diese pubertäre Kraftmeierei fand in Dayton ihr definitives Ende. Was davor in Bosnien passierte und danach im Kosovo folgte, ist bekannt.Europa kann seine Sicherheit nicht ohne oder gar gegen die USA definieren. Angesichts wachsender euro-amerikanischer Konkurrenz im wirtschaftlichen und technologischen Bereich, wäre eine solche sicherheitspolitische Entkopplung, die den Keim rivalisierender Blockbildung trägt, geradezu gefährlich.Dennoch muß sich Europa von den USA außen- und sicherheitspolitisch emanzipieren. Aber nicht, indem wir den amerikanischen Weg kopieren und versuchen, das Gewicht der EU vor allem durch eigene europäische Streitkräfte und Rüstungskapazitäten zu erhöhen. Die Chance der Europäer liegt vielmehr im Aufbau eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, das seinen Schwerpunkt in der ökonomischen Konfliktprävention und zivilen Konfliktintervention hat. Hierhinein sollten jene zusätzlichen intellektuellen und materiellen Ressourcen fließen, von denen nach Kosovo im Rahmen der GASP wieder einmal die Rede ist.