Griff nach den Sternen

Neue US-Militärstrategie Satellitenschutz und Raketenabwehr als Voraussetzung für globale Interventionskriege mit konventionellen High-Tech-Waffen

George W. Bush ist dabei Geschichte zu machen - ein Präsident, der die Vereinigten Staaten konsequenter als seine beiden Vorgänger auch militärstrategisch aus der Ära des Kalten Krieges in das 21. Jahrhundert zu führen gedenkt. Bush begreift dieses Jahrhundert als eines, das technologisch nach den Sternen greift und ist gleichzeitig dabei, das All den Gesetzen irdischer Machtprojektion unterzuordnen, die ihre Wurzeln im vorvergangenen Jahrhundert haben - zum Wohle Amerikas, versteht sich. Das alles hat durchaus seine Logik - und mit den alten Sternenkriegsplänen eines Ronald Reagan nur noch bedingt zu tun. Bush ist moderner und sein Verteidigungsminister, Donald Rumsfeld, radikaler als ihre republikanischen Vorbilder.

Der ideologische Grundgedanke ist schnell formuliert. Er heißt: "America first" und basiert auf einer deutlichen wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Überlegenheit der USA gegenüber allen anderen Staaten und Staatenbünden dieser Welt. Das soll so bleiben. Und damit das so bleibt, gehen in Washington Unilateralismus vor Kooperation, Dominanz vor Allianz und - im Zweifelsfall - Gewalt vor Diplomatie.

Wie aber schützt sich eine globale Supermacht vor globalem Neid? Oder vor der Rache einzelner Staaten und Individuen, die sich - zu Recht oder Unrecht sei dahin gestellt - als Opfer amerikanischer Vormachtpolitik verstehen? George W. Bush träumt den alten Siegfried-Traum von der Unverwundbarkeit, und sein Verteidigungsminister hat die Schwachstelle längst erkannt: Sie liegt vor allem im Weltraum. Kein Land der Erde hat so viele Satelliten im All wie die USA - zur Kommunikation, Überwachung, Navigation und Spionage. Ohne diese orbitale Unterstützung wäre Amerikas Wirtschaft kaum noch funktionsfähig, bliebe jede Art militärischer Machtprojektion im Ansatz stecken. Ein Angriff auf dieses Satellitennetz käme einem "Pearl Harbor im All" gleich.

Also brauchen die Satelliten Schutz. Doch die entsprechenden (Laser-) Waffensysteme zu entwickeln wird teuer. "Nur" acht von jährlich 310 Milliarden Dollar gibt das Pentagon gegenwärtig für seine Weltraumprogramme aus, verdeckte Etats bei CIA und NSA nicht mitgerechnet. Ingesamt jedoch immer noch viel zu wenig, um derart hochgesteckte Ziele zu erfüllen. Deshalb wird umgeschichtet - und das gründlich, mit einer neuen Militärstrategie. Denn jede unilaterale, auf militärischer Stärke basierende Sicherheitsdoktrin löst sich letztlich in zwei Fragen auf: Was geht technologisch, und wie kann es finanziert werden? Washingtons Antwort darauf heute: Mit genügend Geld ist alles machbar.

Davon ging weiland auch schon Ronald Reagan bei SDI aus - und scheiterte. Bushs Weltraumträume reichen jedoch weit über die alten Sternenkriegspläne hinaus. Der Angriff aus dem All - bei SDI im Zentrum - stellt hier nur eine Komponente dar. Wichtiger noch als die "Machtprojektion aus dem Weltraum", ist die Schutzfunktion. Wenn die eigenen Satellitennetze "unverwundbar" sind und auf der Erde Raketenabwehrschilde (die im Übrigen nicht ohne orbitale Unterstützung funktionieren) vor gezielten Schlägen mit Massenvernichtungswaffen schützen, dann sind die USA in der Lage, ihre konventionelle Überlegenheit voll auszuspielen und praktisch an jedem neuralgischen Punkt der Welt nach Belieben militärisch zu intervenieren.

Dafür aber braucht man keine Armee mit 1,4 Millionen Beschäftigten, sondern Raketenabwehrschirme, hochmobile, flexible Einheiten, ausreichende Transportkapazitäten, eine moderne Bomberflotte, unbemannte Flugzeuge und sogenannte "Arsenalschiffe" mit gegen Land gerichteten Raketen. Obsolet erscheint dann auch die unter Clinton implementierte "Zwei-Kriege-Doktrin", der zufolge alle Teilstreitkräfte der Vereinigten Staaten so ausgerüstet sein müssen, dass sie zwei Konflikte vom Ausmaß des ersten Golfkrieges gleichzeitig an verschiedenen Orten der Welt führen können. Im Kern war diese Doktrin tatsächlich kaum mehr als ein Beschaffungsprogramm für militärische Ausrüstung und Arbeitsplätze.

Mit der neuen Strategie sollen Marine und Luftwaffe deutlich an Bedeutung gewinnen, zu Lasten des stehenden Heeres. Dessen Kernbereich aber ist Europa, während die Seestreitkräfte traditionell auf Ostasien fokussiert sind. Das heißt: Der geographischen Schwerpunktverlagerung von Europa nach Ostasien - seit der historischen Wende von 1989/90 immer wieder prognostiziert - liegen nicht nur veränderte Bedrohungsszenarien zugrunde, die in den Regionen selbst wurzeln. Es geht Washington in der Tat um eine neue Globalstrategie, deren technologische Ausrichtung auf das All den irdischen Schwenk wenn nicht erzwingt, dann zumindest stark befördert.

Deshalb wird Europa nicht ohne GIs bleiben. Aber der Druck, eine eigene europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik schnell zu etablieren, dürfte mit dem amerikanischen Strategiewechsel weiter zunehmen. Theoretisch ließen mehr Selbstständigkeit und größere Verantwortung für das eigene Haus auch größere Spielräume für eine andere Politik. Es könnte eine Chance sein für Prävention durch gewaltfreie und rechtzeitige Einmischung als Alternative zur militärischen Intervention, wie sie auf dem Balkan so erfolglos vorgeführt wurde. Praktisch weist die europäische Politik jedoch in eine andere Richtung. Sie wird diktiert von der Angst, dass die (militär-) technologische Lücke über dem Atlantik weiter wächst und man als Global Player außen vor bleibt, weil Europa in den High-Tech-Kriegen der Zukunft nur noch bedingt bündnisfähig ist. Nicht mitzumachen, zum Beispiel bei den amerikanischen Raketenabwehrplänen, erscheint unter diesen Umständen als das größere Übel, vor dem jede Alternative verblasst.

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