Guido Westerwelle wollte unbedingt Außenminister werden. Warum, hat er noch nicht erklärt und nach über 100 Tagen im Amt nicht zu erkennen gegeben. Im Gegenteil. Die Rambo-Manier, die der neo-liberale Frontmann mit seinen Betrachtungen zur spätrömischen Dekadenz des Sozialstaates an den Tag legt, zeugt von Entzugserscheinungen. Dem Außenminister fehlt die innenpolitische Schlammschlacht. Auf diplomatischem Parkett können sich verbale Entgleisungen schnell zu handfesten Krisen auswachsen. Gemessen daran hatte sich Guido Westerwelle auf seinen Reisen bisher im Griff. Er blieb bei den obligatorischen Antrittsbesuchen weitgehend fehlerfrei. Der Anzug saß, das Lächeln auch, die Wortwahl wirkte verbindlich, die Dossiers seines Hauses hatte er gründlich gelesen. Mit außen- und sicherheitspolitischen Ideen ist der Minister bisher freilich kaum aufgefallen. Es gibt nicht einmal den Ansatz einer eigenen Handschrift.
Reise mit innenpolitischen Absichten
Dass ihn seine erste Reise als Außenminister nach Warschau führte, ist dort anerkennend registriert worden. Westerwelle selbst hat versucht, diesen Auftakt als klares Signal zu verkaufen. Vergeblich, denn alle Beteiligten wussten: Das Reiseziel war aus innenpolitischer Absicht gewählt. Westerwelle kam mit der Botschaft, Frau Steinbach im Stiftungsrat des Zentrums gegen Vertreibungen zu verhindern. Er wusste sich da mit seiner Kanzlerin einig, und beide haben eifrig über Bande gespielt. Das Ergebnis ist genau der faule Kompromiss, den Erika Steinbach als Plan B-Diktat angeboten hatte: Sie verzichtet auf das Amt, während die Vertriebenenverbände im Gegenzug unangemessen hohen Einfluss in der Stiftung erhalten. Damit wurde ein Präzedenzfall für bundesdeutsche Erinnerungspolitik geschaffen, der auch eine außenpolitische Dimension aufweist: Die Regierung beugt sich dem Diktat von Gruppen mit zweifelhaften Interessen. Diesen Deal in Warschau vorab zu vermitteln, wird Westerwelle nicht schwer gefallen sein. Hat doch der von ihm geliebte „schlanke“ Staat konsequenterweise auch beim geschichtspolitischen Bodycheck keine Power mehr.
Genschers Schuhe sind zu groß
Diese – nur scheinbar marginale – Episode zeigt, wie wenig sich eine liberale Tradition bundesdeutscher Außenpolitik mit Westerwelles neo-liberaler Grundierung verträgt. Natürlich sind ihm die Schuhe von Genscher zu groß. Selbstverständlich wäre jeder Versuch, die Außenpolitik Brandts, Scheels oder Genschers zu kopieren, anachronistisch und zum Scheitern verurteilt. Aber darum geht es nicht. Was ins Gewicht fällt, ist die Frage: Was will deutsche Außenpolitik in der heutigen Welt leisten? Westerwelle spult hier den klassischen Kanon der vergangenen 20 Jahre ab. Ein Hoch auf die transatlantischen Beziehungen und das wachsende Gewicht Deutschlands in der Welt. Keinen Gedanken daran verschwendet, was es bedeutet, wenn sich der außen- und sicherheitspolitische Fokus Washingtons langsam aber sicher auf andere Regionen mit aufsteigenden Mächten wie China oder Indien richtet. Es gibt ein striktes Bekenntnis zu europäischen Integration, inklusive Osteuropa, aber keinen Plan, wie der geeinte Kontinent seine Stärken, die wesentlich dem sozialstaatlichen Prinzip zu verdanken sind, erhalten und im globalen Wettbewerb nutzen kann. Zu Europa fällt Westerwelle bisher nur die europäische Armee ein. Das passt ins Bild eines Gesellschaftsmodells, das auch im Supranationalen staatliche Funktionen in die Zuständigkeit von Sicherheit und Wohlfahrt verweist. Der Rest ist Krisenmanagement, für das man im Auswärtigen Amt keinen Chef braucht, nur Richtlinien. Und die kommen aus dem Kanzleramt. Das Konzept vernetzter Sicherheit, mit dem Deutschland in der NATO hausieren geht und das in Afghanistan greifen soll, entstand in der großen Koalition und trug die Handschrift von Merkel und Steinmeier. Westerwelle hat hier allenfalls verbale Duftnoten gesetzt und hechelt selbst damit dem angeschlagenen Shootingstar Guttenberg hinterher. Wenn der Vizekanzler diesen Ansatz ernst nähme, könnte die FDP mit dem Außenamt und dem Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) auf zwei Schlüsselressorts zugreifen, nur ist die Partei davon weit entfernt. Dirk Niebel ist als Deutschlands oberster Entwicklungshelfer eine Lachnummer. Als FDP-Generalsekretär hätte er das BMZ am liebsten abgewickelt – als Minister besichtigt er nun mit erkennbarem Erstaunen die Armutsregionen dieser Welt.
Auch mit dem üblichen Quantum Menschenrechtsrhetorik konnte Westerwelle bisher nicht punkten. Die obligaten Worte in Peking oder Moskau klangen zu Joschka Fischers Zeiten energischer. Kein Wunder, dass Westwelle sich den diplomatischen Maulkorb runterreißt und gegen heimische Hilfeempfänger bellt, sobald er deutschen Boden betritt. Die Gescholtenen könnten sich darüber getrost aufregen, ihnen gehe es immer noch vergleichsweise gut – soviel immerhin haben die FDP-Minister auf ihren Reisen gelernt.
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