Die Zeremonie im Weißen Haus, bei der Arafat und Rabin vor knapp sieben Jahren das zuvor in Oslo ausgehandelte Grundsatzabkommen unterschrieben und sich die Hand reichten, gilt bisher als Höhepunkt Clintonscher Nahostpolitik. Ein Höhepunkt freilich, der dem Präsidenten im September 1993 quasi in den Schoß fiel. Denn amerikanische Vermittler waren in Oslo nicht dabei. Die saßen derweil in Washington bei den mehr oder weniger festgefahrenen offiziellen Gesprächen und mühten sich mit Vermittlungsvorschlägen, denen allesamt wenig Erfolg beschieden war. Was die US-Diplomaten damals nicht wussten: Ihre Papiere gelangten auf Umwegen nach Oslo und spielten bei den dortigen Geheimverhandlungen eine nicht unwichtige Rolle.
Bis vor kurzem sah es nun so aus, als sollte sich die Geschichte an anderen Orten wiederholen. Nicht Oslo, sondern Stockholm, und nicht Washington, sondern Erez waren die Schauplätze eines diplomatischen Drahtseilaktes mit wechselnden Rollen und doppeltem Boden. Während der langgediente US-Nahostemissär Dennis Ross vor Ort versuchte, ein Interimsabkommen zu vermitteln, saßen Palästinenser und Israelis in Stockholm und sprachen über das, was in Oslo bewusst offen gelassen wurde: die Grenzfrage, den Status Jerusalems und das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge. So wichtig solche geheimen Kanäle sind, um in Ruhe und ohne äußeren Druck Freiräume für kreative politische Lösungen zu schaffen, so problematisch wird diese Art der klandestinen Diplomatie, wenn sie über die qualifizierte Begleitung eines Verhandlungsprozesses hinaus geht oder diesen gar ersetzen soll. Das geht in aller Regel schief. Denn der öffentliche Druck, dem sich reguläre Verhandlungspartner ausgesetzt sehen, hat nicht nur negative Wirkungen, sondern stellt für die Unterhändler gleichzeitig auch ein wichtiges Korrektiv dar. Dass Stockholm nun kein Geheimnis mehr ist, braucht daher nicht bedauert zu werden.
In einer parlamentarischen Demokratie wie der israelischen lassen sich jedoch aus der Existenz eines solchen Korrektivs Vorteile ziehen - erst recht, wenn der Verhandlungspartner so autokratisch verfasst ist wie die palästinensische Führung. Bisher haben noch alle israelischen Premiers in kritischen Situationen auf ihre durch die Opposition begrenzte Macht verwiesen und im gleichen Atemzug von Arafat verlangt, er möge seine innenpolitischen Gegner gefälligst zügeln. Der palästinensischen Seite bleibt in dieser Situation oft nur ein grotesk anmutender Ausweg. Sie muss den israelischen Verbündeten und "unabhängigen" Vermittler aus Washington bitten, jenen Druck auf die andere Seite auszuüben, zu dem sie selbst - objektiv wie subjektiv - nicht in der Lage ist.
Diesem Ansinnen ist gelegentlich sogar schon entsprochen worden, wenn - wie zur Amtszeit Begins oder Netanyahus - der von Jerusalem ausgehende Starrsinn amerikanischen Interessen so zuwiderlief, dass selbst die pro-israelische Lobby in den USA kaum noch Wirkung erzielen konnte oder wollte. Im Normalfall aber bleiben solche Appelle wirkungslos, weil Washington keinen Druck auf Israel ausüben will - und es in wachsendem Maße auch nicht mehr kann. Dazu hat sich der jüdische Staat längst viel zu stark von seinem amerikanischen "Patron" emanzipiert.
Mit ihrer Vermittlungsphilosophie - die Betroffenen müssen die Abkommen selbst aushandeln, und wir sind nur der "ehrliche Makler" - haben die USA eine klassische win-win-situation herbeigeführt: Scheitert der Friedensprozess, sind sie nicht verantwortlich und können sich darauf konzentrieren, den absehbaren Schaden für sich und ihre Verbündeten in der Region zu begrenzen. Andersherum gibt es keine zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn getroffene Vereinbarung, die den strategischen Interessen der USA widersprechen würde. Im Gegenteil: Die USA haben seit Ende des Kalten Krieges ein deutlich erkennbares Interesse an einer schnellen und umfassenden Befriedung des Nahostkonfliktes, die - völlig zu Recht - als Voraussetzung regionaler Stabilität gilt. Und zwar je eher, desto besser, damit sich die amerikanische Globalpolitik schneller auf neue Krisen- und Gefahrenherde konzentrieren kann.
Für den Augenblick kommt hinzu, dass Bill Clinton seine Präsidentschaft gern mit einem zweiten palästinensisch-israelischen Shakehands auf dem Rasen des Weißen Hauses krönen würde. All dies bürgt für verstärkte amerikanische Vermittlungsaktivitäten in den nächsten Wochen und Monaten. Je dichter jedoch die Präsidentschaftswahl rückt, desto weniger wird man im Weißen Haus darauf aus sein, dem baldigen Ex-Chef einen ruhmreichen Abgang zu bescheren als vielmehr dem wahrscheinlichen Nachfolger Al Gore eine möglichst günstige außenpolitische Startposition. Dazu wäre ein Durchbruch bei den Verhandlungen im Nahen Osten hilfreich, aber nicht unbedingt nötig. Gleiches gilt für das amerikanische Engagement bei den Gesprächen über die Zukunft Zyperns.
Gewinnt Gore die Wahl am 4. November, könnte Clinton seinem Nachfolger ein Abschiedsgeschenk der besonderen Art hinterlassen und die Eiszeit in den amerikanisch-iranischen Beziehungen beenden. Gerade so, wie Ronald Reagan 1988 als scheidender Präsident die Beziehungen zur PLO normalisierte und so seinem Nachfolger Bush einen zusätzlichen Trumpf im nahöstlichen Machtpoker an die Hand gab. Ohne diese Öffnung zur PLO wäre es Washington schwerer gefallen, der Nahostregion nach dem Ende des Kalten Krieges den Stempel einer Pax Americana aufzudrücken, die nicht allein auf militärische Macht und Bedrohung setzt, sondern an die Interessen der arabischen Herrschaftseliten anknüpft. Gleiches steht nun für die Golfregion an, ist aber nur mit einer sukzessiven Normalisierung der Beziehungen zu Iran und Irak denkbar. Da die amerikanische Irakpolitik durch die geradezu pathologische Fixierung auf Saddam Hussein völlig blockiert und ein Machtwechsel in Bagdad nicht in Sicht ist, bleibt Washington bis auf weiteres nur die iranische Option, um seinen Führungsanspruch in der Region auf ein stabileres Fundament zu setzen.
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