Erfolgreicher waren Lobbyisten in Deutschland wohl noch nie: Weil Bundesumweltminister Norbert Röttgen der Atomlobby „nur“ einen zweistelligen Milliardenbetrag statt einer dreistelligen Summe durch eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke schenken wollte, wurde er überraschend offen von einem „Parteifreund“, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, zum Rücktritt vom Amt aufgefordert. Ein auch in der Geschichte des Lobbyismus einmaliger Vorgang, der leider viel zu schnell im allgemeinen schwarzgelben Chaos dieser Tage unterging.
Schon vor der Landtagswahl in NRW erinnerte die Liebedienerei von CSU, Südwest-CDU und Hessen-CDU für die Atomlobby verdächtig an eine Sekte. Von den Nachbarn in Tschechien und der Schweiz fordern die schwarzgelben Landesregierungen die strikte Einhaltung internationaler Standards bei der Suche nach einem Endlager, insbesondere einen ergebnisoffenen Vergleich von Standorten. Für das eigene Bundesland dagegen schließt man grundsätzlich eine Endlagersuche aus, obwohl sich in Bayern und Baden-Württemberg die Gesteinsformationen der jeweiligen Nachbarländer fortsetzen. Gegen diese Brutalität des Eigennutzes sieht selbst das Sankt-Florians-Prinzip wie friedlich gelebte Solidarität aus.
Schwarzgelbe Geschenke an die alten Freunde
Der Höhepunkt der schwarzgelben Lobbybedienung wurde dann vorläufig nach der krachenden Wahlniederlage in NRW erreicht: Hatten vor der Wahl noch Rüttgers/Wulff/Koch/Oettinger offen oder in Briefen, die später der Öffentlichkeit unfreiwillig bekannt geworden sind, klar eingestanden, dass eine Laufzeitverlängerung der Zustimmung des Bundesrates bedarf, so sollte dies nach dem Verlust der Mehrheit in der Länderkammer auf einmal nicht mehr nötig sein. Intern wurden windigste verfassungsrechtliche Konstruktionen überlegt, bloß damit die Atomkonzerne nicht mehr ihre Verpflichtungen aus dem Atomkompromiss des Jahres 2000 einlösen müssen, nachdem sie die Vorteile (Fortbestand Versicherungsprivileg, weiter steuerfreie Rücklagen, aufgeschobene Sicherheitsanforderungen etc.) jahrelang ungehemmt kassiert haben.
Und jetzt – nach dem 9. Mai – machte endlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel klar, wie dicht verwoben mit der Atomlobby sie ist. Hatte sie nach der Bundestagswahl noch behauptet, man wolle über die Laufzeitverlängerung erst auf Grundlage eines wissenschaftlich fundierten umfassenden Energiekonzepts entscheiden, forderte sie auf einmal eine schnell Entscheidung über die lebenserhaltenden Maßnahmen für die Atomkonzerne vorab (!) noch im Juni/Juli. Als der Widerstand gegen diese doch selbst für unkritische Beobachter doch allzu dreiste Sonderstellung für die Dinosauriertechnologie Atomenergie im deutschen Energiemix immer dramatischer anwuchs, kündigte sie an, jetzt doch erst im Rahmen des – vorzuziehenden – Energiekonzepts entscheiden zu wollen.
Dumm nur, dass schnell öffentlich wurde, dass die Bundesregierung die Forschungsinstitute, welche die Szenarien für das Energiekonzept berechnen sollen, gar keine Vorschläge für bessere Energieeffizienz oder den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien machen lassen will. Nein, die einzige Größe, die Prognos und EWI nach dem Willen der schwarzgelben Bundesregierung variieren lassen dürfen, ist die Laufzeit der Atommeiler. Damit ist das Ergebnis des „Energiekonzepts“ schon vorab festgelegt. Selbst für den Schrottreaktor Biblis A könnten Teile von Schwarzgelb sich eine Laufzeitverlängerung bis 2038 vorstellen. Und selbst Norbert Röttgen will Biblis A noch viele Jahre als Gelddruckmaschine gönnen.
Norbert Röttgen, wie können Sie nur?
Wie wenig Bevölkerungsmeinung und Verfassungsrecht Mappus, Koch und Seehofer von ihrem Atomkurs abzubringen vermögen, wurde durch eine erneute Indiskretion deutlich: In der CDU-Präsidiumssitzung beschwerten sich die Atomfreunde erneut über Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Wie dieser habe zulassen können, dass der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen eine Studie vorlege, dass bis 2050 problemlos die Vollversorgung Deutschlands mit Erneuerbaren Energien möglich sei und eine Laufzeitverlängerung für die Atomenergie diesen Weg schwieriger und vor allem teurer mache! Und noch „schlimmer“ aus Sicht der Kernspaltungsfetischisten: Wie Röttgen es wagen könne, den erst im März als Präsident des Bundesverfassungsgerichts ausgeschiedenen Hans-Jürgen Papier um ein Gutachten zur Bundesrat-Zustimmungspflicht für eine Atom-Laufzeitverlängerung zu bitten? Ganz offensichtlich hatten sich die Unions-Größen aus dem Süden und Südwesten ein reines Gefälligkeitsgutachten gewünscht. Das jetzt der langjährige oberste Verfassungshüter, der noch dazu CSU-Mitglied ist, den schwarzgelben Plänen einer Bundesratsumgehung und damit der Laufzeitverlängerung ein klares Stopp-Signal entgegensetzte, hat in der Regierungskoalition reine Panik ausbrechen lassen.
Vordergründig ignorieren CDU, CSU und FDP die steigende Zahl von Gegnern der Laufzeitverlängerung, die ja auch aus den Reihen der eigenen Kommunalpolitiker kommt, weil sie massive wirtschaftliche Nachteile für ihre Stadtwerke fürchten. Nur: Selbst intern fragen immer mehr Schwarze und Gelbe, warum man diesen Tanz ums „Goldene Kalb“ Atom derart in den Mittelpunkt der eigenen Energiepolitik stelle. Die Debatte über die ungelöste Endlagerfrage, die Angst vor Terrorangriffen auf die Meiler, die Gefahr der Verbreitung radioaktiven Materials für schmutzige Bomben werden ignoriert – und das alles für eine Energieform, die noch nicht einmal 6 Prozent des deutschen Energieverbrauchs – bei sinkender Tendenz – erzeugt?
Selbst einigen schwarzgelben Wirtschaftspolitikern im Süden der Republik dämmert es, dass die Lähmung der schwarzgelben Energiepolitik durch die Atomdebatte Deutschlands Position im internationalen Wettlauf um die Technologieführerschaft bei Erneuerbaren Energien und Effizienztechnologien massiv schwächt. Viele Firmen dieser rasant wachsenden Branchen sitzen in Bayern und Baden-Württemberg, die Branche wird lauter. Die Atomlobby hat tönerne Füße und Schwarzgelb muss Farbe bekennen. Die Opposition wird solche Klientelpolitik nicht durchgehen lassen.
Ulrich Kelber, Jahrgang 1968, ist Diplom-Informatiker und vertritt seit 2000 den Wahlkreis Bonn im Bundestag. Er ist Vizevorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für die Bereiche Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit. Sein Text ist zuerst erschienen beim Freitag-Kooperationspartner Das Progressive Zentrum.
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