Freitag.de: Herr Silberhorn, Sie haben im Namen der CSU das Karlsruher Urteil zum Lissabon-Vertrag ausdrücklich als Bestätigung Ihrer Positionen begrüßt. Dürfen wir daraus folgern, dass Sie dem deutschen Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag, das Karlsruhe als verfassungswidrig verworfen hat, bei Verabschiedung nicht zugestimmt hatten?
Thomas Silberhorn:
Wir sehen unsere Auffassungen bestätigt. Die CSU hat nicht erst beim Lissabon-Vertrag, sondern bereits 2005 beim EU-Verfassungsvertrag stärkere Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat eingefordert. Es kann nicht angehen, dass deutsche Verwaltungsbeamte in Brüssel Mehrheitsbeschlüsse von Bundestag und Bundesrat ignorieren können.
Aber das Lissabon-Begleitgesetz wurde jetzt durch Karlsruhe als verfassungswidrig verworfen. Wäre das kein Grund zur selbstkritischen Betrachtung, auch bei der CSU?
Karlsruhe hat das Begleitgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Deswegen muss es jetzt nachgebessert werden. Aber CDU und CSU haben bereits im Jahre 2005 ein Gesetz vorgeschlagen, dass die deutsche Zustimmung zu Brüsseler Entscheidungen an die vorherige Zustimmung von Bundestag und Bundesrat bindet. Wäre dieser Gesetzentwurf so verabschiedet worden, hätte das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ganz anders ausgesehen.
Der von Ihnen erwähnte Gesetzentwurf stammt noch aus den Zeiten, als Gerhard Schröder Kanzler war und die Union in der Opposition. Kaum stellte die Union die Kanzlerin, hat man den Entwurf vergessen.
Auf die CSU trifft das nicht zu, aber leider haben der Mut und die Mehrheiten gefehlt, die früheren Beschlüsse umzusetzen. Nach dem Karlsruher Urteil haben wir von der CSU den gemeinsamen Unions-Entwurf des Jahres 2005 wieder auf den Tisch gepackt.
Zu diesem Zweck hat der CSU-Parteitag gerade einen Passus in ihrem Wahlaufruf verabschiedet, in dem es heißt: „Stellungnahmen des Deutschen Bundestages und gegebenenfalls des Bundesrates in EU-Angelegenheiten müssen für die Bundesregierung grundsätzlich verbindlich sein.“ Das klingt nach imperativem Mandat. Doch das Wörtchen „grundsätzlich“ lässt ein Hintertürchen offen: Abweichungen vom „grundsätzlichen“ Vorgehen sind nämlich möglich, oder?
Bisher heißt es im Grundgesetz, Artikel 23, dass die Bundesregierung in EU-Fragen die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat „berücksichtigt“. Diese Stellungnahmen sind also nicht verbindlich. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass sich Ministerialbeamte bei Brüsseler Entscheidungen über den deutschen Gesetzgeber hinwegsetzen konnten. Das wollen wir nicht länger hinnehmen. Allerdings sollte die Handlungsfähigkeit der Regierung gewahrt werden.
Was wären denn Ihrer Ansicht nach Ausnahmefälle, wo die Bundesregierung bei den gewählten Volksvertretern nicht vorab rückfragen müsste?
Ein Gesetz muss allgemein formuliert sein und kann nicht mögliche Ausnahmefälle im voraus formulieren. Die Bundesregierung soll aber nur aus wichtigen außen- und integrationspolitischen Gründen von einem Votum des Bundestages abweichen können.
Damit überlässt man der Bundesregierung die Definitionsmacht, wann sie abweicht.
Das wäre dann aber für die Bundesregierung nicht so einfach wie bisher. Sie darf nur aus bestimmten Gründen und mit Begründung und erst nach nochmaliger Rücksprache mit dem Bundestag abweichen.
Warum fehlt im Bundestagswahlprogramm der CSU die bisher erhobene Forderung nach Durchführung von Volksentscheiden in wichtigen europapolitischen Fragen?
Diese Forderung steht im CSU-Europawahlprogramm drin und auch im 14-Punkte-Programm zur Europapolitik, das wir kurz vor dem Parteitag beschlossen haben.
Umso verwunderlicher ist, dass die Forderung im Bundestagswahlprogramm fehlt.
Wir haben ein gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CSU. Die programmatische Position der CDU ist an diesem Punkt sicherlich noch entwicklungsfähig. Wir als CSU halten aber an unseren weitergehenden Positionen fest und fordern fakultative Referenden in Fragen der EU-Erweiterung und bei EU-Vertragsänderungen.
Soll das bedeuten, die CSU drängt schon bald auf eine Volksabstimmung über den nächsten Beitrittskandidaten, also Kroatien, und verlässt ansonsten die Bundesregierung?
Es geht uns nicht um einzelne Abstimmungen über den Beitritt Kroatiens, Islands oder der Türkei. Sondern wir wollen eine generelle Änderung des Grundgesetzes, und mit dieser Position gehen wir in die Verhandlungen mit den anderen Fraktionen, die jetzt nach dem Karlsruher Urteil notwendig geworden sind.
Diese Verhandlungen stehen unter enormem Zeitdruck. Bereits am 8. September will die Bundesregierung das neue Lissabon-Begleitgesetz abschließend durch den Bundestag bringen. Steht die CSU da nicht unter Konsenszwang, ihre weitergehenden Positionen zurückzunehmen?
Wir sind in der Lage, den ambitionierten Zeitplan einzuhalten. Das können wir auch schaffen. Letztes Jahr wurde das Finanzmarktstabilisierungsgesetz im Oktober innerhalb von einer Woche in allen drei Lesungen vom Bundestag verabschiedet. Wir werden alle erforderlichen Textvorlagen liefern. Und gerade unsere weitestgehenden Forderungen erfordern keine große Formulierungsarbeit, da sie eine Änderung des Grundgesetzes notwendig machen, und da sind einfache Formulierungen gefragt. Jedenfalls ist der gesetzestechnische Aufwand nicht groß, das sind bloße Fingerübungen.
Fingerübungen? Das gilt doch nur unter der Voraussetzung, dass man sich innerhalb der Union einig ist. Aber die CDU will nicht so, wie die CSU will.
Das stimmt so nicht. Der einzige offene Dissens besteht bislang in der Frage der Volksabstimmung. Was verbindliche Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat angeht, haben wir bekanntlich die gemeinsam von CDU und CSU im Jahr 2005 beschlossene Grundlage, die ich vorhin erwähnt habe. Es ist eine falsche Unterstellung, dass die CSU jede Entscheidung in Brüssel dem Zustimmungsvorbehalt der deutschen Parlamente unterwerfen will.
Mit welcher Gesetzesformulierung will die CSU die Hintertürchen schließen, die der Bundesregierung auch künftig eine Umgehung von Bundestag und Bundesrat ermöglichen? Wie wollen Sie die Rechte des deutschen Gesetzgebers in EU-Fragen stärken?
Wir können uns auf verschiedene Vorarbeiten stützen. Neben dem erwähnten CDU/CSU-Gesetzentwurf aus dem Jahr 2005 hat sich der Verfassungsrechtler Rupert Scholz in der Föderalismuskommission dafür ausgesprochen. Der Deutsche Juristentag hat 2004 eine entsprechende Entschließung gefasst. Vor allem aber hat Österreich seine Mitwirkung in den EU-Institutionen in der Verfassung genau so geregelt. In unserem Nachbarland gilt das seit Mitte der neunziger Jahre, und es funktioniert.
Die österreichische Bevölkerung sieht das anders. In der Alpenrepublik wächst die EU-Skepsis. Offensichtlich sind die Bürger nicht der Ansicht, dass österreichische Interessen in Brüssel adäquat vertreten werden.
Dafür sind die Abgeordneten des österreichischen Parlaments verantwortlich. Die Wähler haben dann die Möglichkeit, ihre Abgeordneten rechenschaftspflichtig zu machen und am Wahltag über ihre Leistung zu befinden. In Deutschland aber haben die Abgeordneten diese Mitwirkungsrechte in EU-Fragen bisher gar nicht, und genau das will die CSU jetzt ändern. Wir wollen mehr Transparenz und Bürgernähe.
Das Gespräch führte Jürgen Elsässser
Thomas Silberhorn, Jahrgang 1968, ist Rechtsanwalt und seit 2002 Bundestagsabgeordneter für die CSU und deren europapolitischer Sprecher im Parlament
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