In Sachsen-Anhalt gilt seit vorigem Sonntag ein Kampfhundegesetz. Bullterrier, so ist dort vorgesehen, gehören an die Leine und bekommen einen Maulkorb verpasst. Zudem ist für die als aggressiv verrufenen Tiere ein "Wesenstest" vorgeschrieben. Für Zweibeiner im politischen Geschäft gilt das Gesetz nicht. Dabei wurde vor zwei Wochen ausgerechnet Innenminister Holger Hövelmann Opfer einer "Bullterrier-Attacke", und zwar auf einem Parteitag der von ihm geleiteten SPD. Bissiger Angreifer war Jens Bullerjahn, der Finanzminister, der vor versammelter Mannschaft kundtat, "der Holger" habe eine schwere Zeit und einige Probleme. Die Genossen der Basis waren konsterniert – nicht nur wegen der groben Brüskierung, sondern auch, weil das einst frisch-fröhliche Spitzenduo der SPD in Sachsen-Anhalt, mit dem im Frühling 2011 eigentlich die CDU von den Spitzenposition im Land verdrängt werden sollte, vor aller Augen zerbrach.
Bullterrier-Attacke zerstört Bonus
Das Wort von der "Bullterrier-Attacke" stammt aus einem Papier, in dem Bullerjahns Sprecher Franz Stänner für einen Zirkel führender Genossen die nun offen aufgebrochene Krise der Partei analysiert – mit teils beißendem Sarkasmus. Die SPD habe beschlossen, ohne Koalitionsaussage in die Wahl zu gehen, schreibt Stänner, einer der klügsten Analysten der Landespartei; sie habe aber "nicht beschlossen, ohne Wähler" ins Rennen zu gehen. Mit dem in offener Arena ausgetragenen Hahnenkampf ihrer beiden Frontmänner habe die SPD den in zwei Jahren Regierungsarbeit an der Seite der CDU errungenen guten Ruf binnen Wochen verspielt: "Der Bonus ist futsch", schreibt der 60-Jährige, den wohl ein Gefühl von Déjà-vu beschlich: Als Sprecher des Ex-Ministerpräsidenten Reinhard Höppner erlebte er im Frühling 2002, wie der bei 35 Prozent geführten Partei ein vermeintlich sicherer Vorsprung zwischen den Fingern zerrann.
So weit ist es in Sachsen-Anhalt nicht – schließlich wird ein neuer Landtag erst in zwei Jahren gewählt. Bis 2010 wollte die SPD daher auch die Frage der Spitzenkandidatur offen halten. Die sollte zudem, wie Bullerjahn einst beteuerte, einvernehmlich geklärt werden. Pustekuchen: Ausgerechnet am Beginn eines Jahres, in dem auch in Sachsen-Anhalt Kommunal-, Europa- und Bundestagswahlen anstehen, bekommt sich das Spitzenduo in die Wolle. Da sehe man, wo die Genossen ihre Prioritäten setzten, ätzt Matthias Höhn, Landeschef der Linkspartei, und merkt an, koalitionsfähig sei eine solche Truppe ja wohl nicht. Die CDU mahnt, im Interesse der Regierung müsse die SPD die Probleme schnell in den Griff bekommen.
Landeschef ohne politisches Profil
Dabei ist es nicht so, dass man in der SPD zwischen Altmark und Burgenland nicht schon lange mit Streit gelebt hätte. Vor 2002, als ihre Regierung im "Magdeburger Modell" von der damaligen PDS toleriert wurde, flammten in der SPD häufig Flügelkämpfe zwischen Parteilinken und –rechten auf. Die Fetzen hörten erst auf zu fliegen, als die jetzige Doppelspitze 2004 das Ruder übernahm. Der heute 46-jährige Ingenieur Bullerjahn und der 41 Jahre alte Ex-Landrat Hövelmann führten die SPD in ruhiges Fahrwasser und zurück an die Regierung.
Ein Richtungsstreit ist der jetzige Krach zweifellos nicht, auch wenn Politologen in Bullerjahn den Protagonisten einer großen Koalition sehen, während Hövelmann für Rot-Rot stehe. Zwar fällt der Zahlenmensch Bullerjahn, einst Chefunterhändler mit der PDS, heute tatsächlich durch innige Nähe zum knorrigen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer von der CDU auf. Wofür Hövelmann politisch steht, ist aber völlig unklar – als Landeschef äußert er sich zu solchen Fragen kaum.
"Im Dienst verschlissen"
Immer deutlicher wird indes, dass die Chemie zwischen den SPD-Frontmännern nicht stimmt. Obwohl beide im Sternzeichen Krebs geboren, könnten sie charakterlich unterschiedlicher nicht sein. "Einer tobt, einer schweigt", heißt es dazu in der Partei. Der Haushälter Bullerjahn gilt als fachlich versiert, aber im Umgang als schwierig; er soll Kraft und Nerven der Mitarbeiter weit über Gebühr strapazieren. Zuletzt warf sein Staatssekretär und "bester Mann" Christian Sundermann hin. Stänner schreibt seinem Chef ins Stammbuch, dass die Floskel "im Dienst verschlissen" in den fünfziger Jahren anerkannt gewesen sei, heute aber nur noch "dumm". Hövelmann dagegen gilt als sehr umgänglich, dafür rutscht sein Ministerium von einer Panne zur nächsten – gleich, ob bei einer Reform der Polizei, Statistiken zu Rechtsextremismus oder dem Datenschutz beim Geheimdienst. Kritik weiche er aus, klagt die Opposition, die unlängst einen Antrag auf Missbilligung stellte.
Ob die ungleichen Alphatiere einen Mittelweg zwischen Toben und Schweigen finden, bleibt offen. Nachdem Stänners Papier bei Zeitungen gelandet ist, verpassten sich beide am Mittwoch zunächst einen Maulkorb und kündigten an, die Frage der Spitzenkandidatur bereits im Herbst entscheiden zu wollen. Bis dahin dürfte aber trotz angekündigten Burgfriedens hinter verschlossenen Toren weiter gerungen werden. Nicht ausgeschlossen ist freilich, dass am Ende in den Augen der Genossen keiner von beiden den "Wesenstest" übersteht. Das einer tobt und einer schweigt, sei ein Kommunikationsmuster, das im wirklichen Leben oft Scheidungen auslöse, merkt der Analyst feinsinnig an: Es führe aber nur "selten zur Spitzenkandidatur".
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