Nach dem Fiasko der Haager Klimakonferenz im November haben die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention beschlossen, diese Konferenz vom 16 - 27. Juli 2001 in Bonn fortzusetzen. In einem zweiten Anlauf sollen die nötigen Entscheidungen getroffen werden, damit das Kyoto-Protokoll durch die internationale Staatengemeinschaft endlich ratifiziert werden kann. Ursprünglich sollte die Bonner Konferenz bereits im April oder Mai stattfinden - der späte Termin entstand auf Wunsch der neuen US-Administration, die zuvor ihre Verhandlungspositionen neu bestimmen will.
Nehmen die Amerikaner die ganze Welt ökologisch in Geiselhaft? Ist mit dem Brief von Präsident Bush vom 13. März an die Senatoren Hagel, Helms, Craig und Roberts ein Anti-Klima-Kurswechsel eingeläutet?
eingeläutet? Sollte diese Absicht bestehen, wäre damit das 1997 mühsam ausgehandelte Kyoto-Protokoll zur Disposition gestellt.Dass gerade ins Amt gekommene Präsidenten Wahlkampfversprechen - im gegebenen Fall die Ankündigung, CO2-Emissionen im eigenen Lande zu senken - kippen, ist gewiss nichts Neues. George W. Bush aber verdanken wir die wirklich neue Erkenntnis, dass fundamentale Naturgesetze nicht gelten, wenn sie den rechtlichen Bestimmungen der Vereinigten Staaten widersprechen: "Meine Regierung sollte den Elektrizitätswerken keine Emissionsreduzierung auferlegen, Kohlendioxid ist kein Schadstoff unter dem Clean Air Act". Der Satz zieht einem die Schuhe aus, hatte doch noch Wochen zuvor das IPCC (*) - ein Gremium von höchster Kompetenz - in seinem Bericht Climate Change 2001 festgestellt, die Klimaveränderungen seien potenziell von katastrophaler Brisanz (s. Freitag 10/2001).Bushs Kniefall vor der Kohle- und Öl-Lobby desavouiert nicht nur die internationale Wissenschaft (darunter viele US-Experten). Christine Todd Whitman, die von ihm gerade ernannte Leiterin der US-Umweltbehörde, müsste eigentlich zurücktreten, hatte sie doch erst am 3. März auf der Umweltkonferenz der G 8-Staaten in Triest verkündet, die globale Erderwärmung sei eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung für die Umwelt. Vor allem aber unterminiert Bush das Kyoto-Protokoll - jenes komplexe, ambitiöse, völkerrechtliche Abkommen zum globalen Klimaschutz -, wenn er behauptet, dieses Abkommen sei unfair und ein ineffektives Mittel, dem Klimawandel zu begegnen. Bei diesem Satz traut man seinen Augen nicht - kam doch das Kyoto-Protokoll seinerzeit erst in allerletzter Minute zustande, weil die USA noch eine Reihe flexibler, marktorientierter Mechanismen in den Text hineinschreiben wollten. Das galt sowohl für den internationalen Handel mit Emissionsrechten wie auch die Anrechnung von Weiden und Wäldern als Senken und damit Faktor der CO2-Reduzierung.Die 6. Weltklimakonferenz von Den Haag war dann im November besonders an der US-Forderung gescheitert, einen größeren Teil der anerkannten (!) eigenen CO2-Reduktionspflichten (sieben Prozent bis zur "Budgetperiode" 2008 - 2012 im Vergleich zu 1990) über diese Senken anrechnen zu lassen. Kann man sich nun - nach dem Bush-Brief - die ganze Mühe weiterer großer Konferenzen sparen? Sollten wir den Versuch aufgeben, im Konsens nach einer politischen Lösung für ein gravierendes globales Problem zu suchen - stattdessen alles der "regulierenden Ökonomie" des Marktes überlassen?In ökologischer Hinsicht kann der Markt nur kurzsichtig - gewissermaßen blind - agieren. Beim Klima handelt es sich aber um ein langfristiges ökologisches Problem, das strukturelle ökonomische und soziale Ursachen und ebensolche Konsequenzen hat. Zu hoher Energie- und Materialdurchsatz der Wirtschaft, zu hohe Ansprüche an Natur und Umwelt einerseits, schwerwiegende, teils irreversible Schädigungen der ökologischen und (!) sozioökonomischen Systeme andererseits. Politische Weitsicht ist also gefragt - und zwar jetzt. Insofern sollten wir uns von einer neuen US-Administration nicht in Geiselhaft nehmen und schon gar nicht das Kyoto-Protokoll als völkerrechtlich bindenden Vertrag en passant kippen lassen. Auf jetziger Sicht bleiben daher drei Optionen:Variante 1: Das Kyoto-Protokoll wird ohne die USA umgesetzt. Dazu müsste auf der Bonner Klimakonferenz gegebenenfalls durch einfache Mehrheit der Vertragsstaaten das Kriterium zum Inkrafttreten geändert werden - durch Reduzierung der Beitrittsquote auf weniger als 55 Länder und weniger als 55 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen. Oder aber es gelingt, durch diplomatisches Geschick Russland, Japan und andere zögernde Länder zum Beitritt zu gewinnen, indem sich Vorreiter finden, die ein Beispiel geben.So könnte der Deutsche Bundestag das Kyoto-Protokoll in den nächsten Wochen endlich ratifizieren - das ist der eine Finger der Hand, der auf uns selbst zurückweist. Warum eigentlich hat das deutsche Parlament diesen Schritt nicht längst getan? Viele meinen vielleicht, die Ratifizierung habe bereits stattgefunden. Wie kann man glaubwürdig sein - und diese Frage richtet sich besonders an die Adresse des Bundesumweltministers - wenn man immer wieder eine Vorbild-Rolle reklamiert, aber in der Menschheitsfrage des Klimaschutzes etwa den Malediven den Vortritt lässt?Variante 2: Das Kyoto-Protokoll wird mit den USA gemeinsam ratifiziert. Dazu müssten die Europäer, aber auch die Entwicklungsländer, vieles anbieten. Manches davon wird ihnen als zu teuer oder unangemessen erscheinen: Etwa die sofortige Inkraftsetzung der Flexibilitätsmechanismen wie Handel mit Emissionszertifikaten, Clean Development Mechanism oder Anerkennung der Senkenfunktion der Wälder. An dieser letzten Frage dürften die Europäer allerdings scheitern, weil ihre Umweltverbände nicht mehr "grün" sind und seltsamerweise nicht akzeptieren wollen, dass es zum Klimaschutz nicht nur den technischen, sondern auch den natürlichen Weg gibt: erhöhte Energie- und Materialeffizienz einerseits - mehr und gesündere Wälder andererseits. Diese Option kann zum anderen jedoch auch scheitern, wenn man die Entwicklungsländer außen vorlässt - nicht kurzfristig, schon gar nicht langfristig. Ein Punkt, bei dem Präsident Bush ausnahmsweise Recht hat: Nur so ist globaler Klimaschutz möglich,.Variante 3: Klimaschutz - vorläufig - ohne die USA hat Reize anderer Art. Wenn einige klimarelevante Schlüsseltechnologien wie Photovoltaik, Windenergie, Kraft-Wärme-Kopplung, Ein-Liter-Auto in gemeinsamer Anstrengung von Europäern und Japanern vorangebracht und durch Angebote in Entwicklungsländern - besonders in Indien, China, Brasilien - rasch verbreitet würden, dann setzte man die US-Kohle/Öl-Lobby (und deren Präsidenten) aufs technologische Abstellgleis und die US-Wirtschaft insgesamt unter erheblichen Innovationsdruck. "Kohle erzeugt mehr als die Hälfte des Elektrizitätsangebots der USA ... und dem Bürger dürfen wir keine zusätzlichen Lasten aufbinden", schreibt Bush fast stolz. Wer sich den Einstieg in das Solarzeitalter mit solchen Ansichten verstellt, der bekommt in einer sich weiter globalisierenden Ökonomie schnell die Quittung. Vergleichende Studien zur Diffusion umwelttechnischer Innovationen belegen, dass Kompetenzverlust dank dieser Prozesse oft schlagartig eintreten kann. Blockieren die Amerikaner jetzt die internationale Klimapolitik, könnten sie also später einmal technische Hilfe benötigen.Fazit: Bushs "ökologische Wegfahrsperre" ist politisch wie ökonomisch zu knacken. Dazu bedarf es allerdings versierter Diplomaten, einsichtiger Umweltschützer und weitsichtiger Politiker - auch exzellenter Forstleute und Umwelttechniker. Es wäre zu hoffen, Kanzler Schröder hat bei seinen Gesprächen mit dem US-Präsidenten in dieser Woche erwähnt, dass es die beschriebenen Optionen gibt.(*) Intergovernmental Panel on Climate Change
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