Die Zeit läuft ab

BERICHT ZUR LAGE DER WELT-UMWELT Die anhaltende Armut der Mehrheit und der exzessive Konsum der Minderheit sind die Hauptursachen der Umweltzerstörung

Vor den Vereinten Nationen hatten kürzlich zwei Deutsche wichtige Auftritte: Joschka Fischer mit seiner ersten Rede vor der Vollversammlung in New York. Und in London Klaus Töpfer, der ehemalige Bundesumweltminister und jetzige Direktor des UN-Umweltprogramms (UNEP), mit der Präsentation des GEO-2000 Berichts über den ökologischen Zustand der Welt und die umweltpolitischen Aussichten zum Jahrhundertwechsel.

Zwei unterschiedliche Anlässe, zwei unterschiedliche Vorgehensweisen: Der eine, der Außenminister, meinte: "Die Vereinten Nationen müssen zum Kernstück einer wirksamen global governance werden" - und er gab ein Versprechen ab: "Die Mitglieder der Vereinten Nationen können sich darauf verlassen, dass sie bei den Bemühungen um die Stärkung der UN keinen verlässlicheren Verbündeten haben werden als die Deutschen".

Der andere, gleichzeitig Unter-Generalsekretär der UN, lobte den GEO-2000 Bericht als einzigartiges Produkt eines einzigartigen Prozesses: "Er zeigt auf, wo wir als Nutzer und Beschützer der Umwelt stehen ... und liefert uns eine Vision für das 21. Jahrhundert." Keine Kritik an den Vereinten Nationen, nur das Versprechen, dass die Berichterstattung über und die Bewertung des Zustandes der globalen Ökologie auf eine permanente Basis gestellt werden solle.

Der eine, der Außenminister, forderte dann aber eine institutionelle Reform, die Reform des zentralen Gremiums zur Sicherung des Weltfriedens, des UN-Sicherheitsrates, dessen häufige Selbstblockade (siehe Kosovo-Konflikt) durch Einführung einer Begründungspflicht eines jeden Vetos von Sicherheitsrats mitgliedern vor der Generalversammlung überwunden werden müsse - eine einfache, aber innovative Idee.

Der andere, der Unter-Generalsekretär, hätte auch eine institutionelle Reform, die Reform des zentralen Gremiums zur Sicherung der Weltökologie, des UN-Umweltprogramms, fordern können, dessen strukturelle Schwäche angesichts zahlreicher Konflikte zwischen Ökonomie und Ökologie allzu offensichtlich ist - eine komplizierte, aber naheliegende Idee. Warum tat er es nicht? In seinem therapeutischen Teil gibt der von Töpfer vorgestellte Bericht selbst die Antwort auf diese Frage. Doch zunächst zur Diagnose.

GEO-2000 ist der zweite Bericht seiner Art (der erste erschien im Januar 1997). Mehr als 800 Mitwirkende werden aufgeführt (darunter drei Deutsche). Hinzu kommen 22 kooperierende und 12 assoziierte Institutionen (keine einzige aus Deutschland). Das Werk -unter www.unep.org.geo2000 abrufbar - versucht, drei Fragen zu beantworten: Wie steht es um die globale Ökologie? Welche Fortschritte der internationalen Umweltpolitik wurden erzielt? Was sind die globalen Umweltthemen der Zukunft und wie könnten regionsspezifische Politikformulierungen aussehen?

Um es auf den Punkt zu bringen: Die globale ökologische Lage ist düster und wird zunehmend kritisch. Zwei übergreifende Gründe werden dafür verantwortlich gemacht. Zum einen bedroht die zunehmende Kluft zwischen dem Wohlstand der Minderheit und der Armut der Mehrheit der Weltbevölkerung die Stabilität der globalen Ökologie. Zum anderen fällt das globale Umweltmanagement im Vergleich zur Globalisierung der Wirtschaft immer weiter zurück. Und dort, wo relative Umweltentlastungen durch neue Technologien und eine innovative Politik erzielt werden konnten, werden sie vom weiteren Wachstum der Weltbevölkerung und der Weltproduktion aufgezehrt, überkompensiert.

In fast allen Problembereichen zeigen sich alarmierende Tendenzen. So liegen zu Ende der neunziger Jahre die globalen CO2-Emissionen viermal über dem Niveau von 1950. Das Volumen ozon-schädigender Substanzen hat zwar 1994 seinen Zenit überschritten, wegen illegalen Handels geht es aber nur langsam zurück, so dass eine Erholung der stratosphärischen Ozonschicht erst um das Jahr 2050 erwartet werden kann.

Unser Planet selbst wird zunehmend "gedüngt": durch Intensiv-Landwirtschaft, Verbrennung fossiler Energieträger, aber auch zum Beispiel durch zunehmenden Anbau von Hülsenfrüchten. Die steigende Verwendung von Stickstoff führt zur Versauerung der Böden, verändert die Spezieskomposition der Ökosysteme und führt zur übermäßigen Nitrat-Belastung der Frischwasservorräte. Die zunehmende Verwendung von Pestiziden, die weitere Diffusion von Schwermetallen und chemischen Substanzen bewirkt neue, unkalkulierbare Risiken für Mensch und Natur. Der Pestizideinsatz allein führt zu 3,5 bis 5 Millionen akuten Vergiftungen pro Jahr.

Frequenz und Stärke von Erdbeben, Stürmen, Feuern und Flutereignissen haben zugenommen. Die Gesundheitskosten der jüngsten Waldbrände in Südostasien werden allein auf 2,5 Milliarden Mark geschätzt. Die Entwaldung der Erde schreitet weiter voran; zwischen 1990 und 1995 gingen rund 65 Millionen Hektar Wald verloren. Rund 20 Prozent der Weltbevölkerung haben keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser, 50 Prozent keinen zu sicheren Sanitäranlagen. Wassersicherheit wird nach Ansicht der Experten in den kommenden Jahrzehnten zu einem Umweltthema erster Ordnung. Auch andere, grundsätzlich erneuerbare Ressourcen stehen unter Druck. Der weltweite Fischfang hat sich zwischen 1975 und 1995 verdoppelt. Die Folge: Etwa 60 Prozent der Weltfischbestände haben den Punkt sinkender Erträge erreicht oder überschritten.

Da viele dieser Probleme sich gegenseitig verstärken können, kommt es in der Welt zunehmend zu sogenannten hot spots, also zu Problemakkumulationen, für die es selbst im jüngsten Brockhaus nicht einmal einen deutschen Begriff gibt. Wir brauchen aber nicht nur neue Begriffe und Konzepte. Nur Psychologen werden uns die Verdrängungsleistung erklären können, dass Umweltthemen in Deutschland (und anderen Ländern) nur noch eine so geringe öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, wo es doch in der Welt als Ganzes - wie der GEO-2000 Bericht erneut belegt - immer enger und bedrohlicher wird. Das "Titanic"-Syndrom ist jedenfalls allgegenwärtig bei der Lektüre des Berichtes.

Etwas anders beurteilt der Report bisherige Umweltpolitiken im engeren Sinne: "Das globale System des Umweltmanagements bewegt sich in die richtige Richtung - allerdings viel zu langsam." Nach Sichtung der Details drängt sich jedoch ein deutlicheres Urteil auf: Wenn das neue Jahrhundert nicht Umweltkatastrophen größeren Ausmaßes anheimfallen soll, dann müssen ganz andere alternative Politiken entwickelt und eingesetzt werden. In diesem Punkt sind allerdings die Autoren nicht sonderlich einfallsreich. Umsetzung und Effektivierung bestehender Instrumente, multilaterale Vereinbarungen, trans-sektorale Ansätze, Selbstverpflichtungen der Industrie, Festlegung gemeinsamer Prinzipien - irgendwie, irgendwo hat man das alles schon einmal gehört oder gelesen, so dass der Glaube fehlt, dies alles könne auch organisiert werden.

Meine Diagnose: Das UN-System und die UNEP hätten sich ebenfalls evaluieren lassen müssen. Doch wie sagt man einem wohlwollenden Initiator, dass er selbst zu schwach, seine Institution selbst Teil des Problems ist?

Man muss indes noch ein Positivum festhalten. Der umfangreiche mittlere Teil des Werkes berichtet ausführlich über regionale Trends und Problemlösungen. Auch wenn es dort zu ungewohnten und zum Teil wohl auch unsinnigen Kategorien kommt (Europa und Zentralasien werden zu einer Region verschmolzen): Mittels der Regionalisierung lässt sich die Schwere der ökologischen Probleme dieser Welt besser erkennen, die Prioritäten politischen Handelns werden klarer. So wird zum Beispiel deutlich, dass der "ökologische Rucksack" der Deutschen vor allem ein großes Klimapaket enthält (viermal über dem Weltniveau) und ihr "ökologischer Fußabdruck" vor allem den Reisegewohnheiten (Ferntourismus zehnmal über Weltniveau) geschuldet ist.

Und dann gibt GEO-2000 auch noch einen, allerdings etwas spielerischen Ausblick in die Zukunft. Umweltthemen, die zu neuen politischen Prioritäten führen, werden in drei Kategorien beschrieben: Unvorhergesehene Ereignisse und wissenschaftliche Entdeckungen; plötzliche, unerwartete Transformation alter Themen; bereits bekannte Themen, für die neue Antworten gefunden werden müssen. In einem Umfrageverfahren geben 200 Wissenschaftler aus 50 Ländern dazu ihr konservatives Grundverständnis kund: Die dritte Kategorie wurde am häufigsten genannt.

Die Wissenschaftler sind also keine Ausnahme. Niemand kann die Zukunft wirklich voraussehen, und niemand möchte den ökologischen Zusammenbruch exakt terminieren. Doch in einem scheint Übereinstimmung zu bestehen, wie es im letzten Kapitel des Berichts auf den Punkt gebracht wird: "Die anhaltende Armut der Mehrheit der Erdenbewohner und der exzessive Konsum der Minderheit sind die Hauptursachen der Umweltzerstörung. Der gegenwärtige Kurs ist nicht zukunftsfähig - und das notwendige Umsteuern zu vertagen, ist keine Wahlmöglichkeit mehr. "Time is running out on some issues" - bei einigen Themen zerrinnt uns die Zeit zwischen den Fingern.

Udo E. Simonis ist Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Mitglied des Committee for Development Policy (CDP) der Vereinten Nationen.

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden