Pünktlich zum Jahresbeginn, am 10. Januar 2002, erschien der alljährliche Bericht des Worldwatch-Instituts State of the World - ein in diesem Jahr besonders lesenswerter Report, weil er einen Rückblick auf den "Erdgipfel 1992" von Rio de Janeiro durch eine Vorausschau auf den "Erdgipfel 2002" akzentuiert, der im Herbst in Johannesburg über die Bühne gehen wird. In acht Kapiteln beschäftigen sich elf Autoren mit den Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) und einer stabileren Welt.
Es beginnt mit martialischen Worten: "Die Welt bedarf eines globalen Krieges gegen Armut und Umweltbeeinträchtigung (global war on poverty and environmental degradation), der so aggressiv und wohl finanziert sein muss, wie der Krieg gegen den Terrorismus (war on terrorism)". Wem der Frieden mit der Natur (Meyer-Abich) am Herzen liegt, dem mag es bei diesem, der Sprache der Militärs entliehenen Sermon angst und bange werden. Doch die Autoren haben Recht, denn sie meinen es ernst mit den Armen und der Natur und glauben, dass nur ein starker Wille auch einen Weg zur Lösung struktureller Probleme finden lässt. Und um dafür zu mobilisieren, scheuen sie die konfrontative Sprache nicht: "Zehn Jahre nach Rio sind wir weiter denn je entfernt von der Beseitigung der ökonomischen, sozialen und ökologischen Marginalisierung, die Milliarden von Menschen peinigt", schreibt der Präsident des Worldwatch-Instituts.
Der Report lässt keinen Zweifel, trotz des rasanten ökonomischen Wachstums der neunziger Jahre ist die Spaltung zwischen Arm und Reich innerhalb der Staaten wie zwischen ihnen größer geworden - nachhaltiger kann soziale und ökonomische Stabilität kaum untergraben werden. Außerdem hat der Druck auf die natürlichen Ökosysteme erheblich zugenommen, was sich an der globalen Erwärmung wie auch an der Erschöpfung von Ressourcen wie Fischbeständen und Wasservorräten deutlich zeigt. Deshalb klingt schon im Vorwort von UN-Generalsekretär Kofi Annan die Botschaft des Berichts an: "Alle sollten schnell verstehen lernen, dass wir vor großen gemeinsamen Bedrohungen stehen, dass es aber auch vielversprechende Möglichkeiten gibt, wenn wir diese Herausforderung als Weltgemeinschaft (a single human community) angehen." Eine frohe Botschaft des neuen Multilateralismus oder nur ein frommer Wunsch des Friedensnobelpreisträgers?
Es hat im vergangenen Jahrzehnt einigen bemerkenswerten sozialen und ökologischen Progress gegeben. Der Rückgang der Todesursachen Lungenentzündung, Tuberkulose und Diarrhöe in den Entwicklungsländern gehört ebenso dazu wie ein relativ rascher Ausstieg aus der Produktion ozonschädigender Stoffe in den Industriestaaten. Zu den total gegenläufigen Tendenzen gehört der Umstand, dass sich Aids als Todesursache seither versechsfacht hat. Auch stieg global die Kohlendioxid-Emission noch einmal um zehn Prozent.
Der Bericht nennt drei wesentliche Gründe, die bisher den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung und einer stabileren Welt verhindert haben. Zum einen habe Umweltpolitik weltweit eine zu geringe Priorität. Die wachsende Zahl internationaler Umweltübereinkommen werde von unzureichenden Verpflichtungen, vor allem zu kärglicher Finanzierung flankiert. Während das UN-Umweltprogramm gerade einmal mit durchschnittlich 100 Millionen Dollar pro Jahr auskommen müsse, beliefen sich die Militärausgaben auf zwei Milliarden Dollar pro Tag. Zum anderen bleibe die Entwicklungshilfe bei ihrem ohnehin schon niedrigen Niveau weiter rückläufig. Während das Weltsozialprodukt seit Rio 1992 um 30 Prozent stieg, seien die offiziellen Entwicklungstransfers von Nord nach Süd von 69 auf 52 Milliarden Dollar im Jahre 2001 gefallen. Drittens schließlich habe die Verschuldung der Dritten Welt trotz anderer Verheißungen nicht ab-, sondern weiter zugenommen und erreichte 2001 mit rund 2,5 Billionen Dollar einen historischen Höchststand.
Die Autoren - ausnahmslos US-Bürger(!) - plädieren vehement für Reformvorstöße und mehr Mut zum Multilateralismus. In jedem der acht Kapitel des Berichts werden hierzu spezifische Prioritäten für Johannesburg (World Summit priorities) formuliert, die nicht zuletzt den USA so etwas wie eine konstruktive, international konsensfähige Klimapolitik nahe legen, Sympathien für eine ökologische Landwirtschaft nicht verhehlen oder eine Regulierung des Massentourismus ebenso befürworten wie eine strikte, aber partizipative Bevölkerungs- und eine "Globale Umwelt- und Entwicklungspolitik".
Mehr finanzielle und politische Unterstützung internationaler Umwelt- und Entwicklungsprogramme ist wichtig, so die Quintessenz aller Empfehlungen des Reports, aber nicht hinreichend für den unumkehrbaren Einstieg in eine nachhaltige Entwicklung. Als unverzichtbar wird zugleich die aktive Einbindung anderer gesellschaftlicher Akteure in die globale "Politikarchitektur" bewertet - gemeint sind die mehr als 24.000 international agierenden Nichtregierungsorganisationen (NGO), das Internet und die wachsende Zahl sich sozial und ökologisch engagierender und kontrollierender Unternehmen. Für die großen Probleme dieser Welt ist der Staat zu klein, für die vielen kleinen Probleme zu groß - Multiebenen-Kooperation ist daher der Slogan der Zukunft. - Beim "Erdgipfel" in Johannesburg, so das Resümee des Berichts, werde sich zeigen, ob die Staaten der Welt wie die globalen Akteure gemeinsam den drängenden Problemen von Armut und Umweltbeeinträchtigung gewachsen sind oder die Welt sich auf dem destruktiven Pfad fortbewegt, der zu mehr Armut, ökologischer Zerstörung, Terror und Krieg um Ressourcen führt.
Worldwatch Institute: State of the World 2002, Washington, D.C. 2002; US $ 15,95 plus $ 5 Versandkosten. Worldwatch website: , Tel.: 001-570-320-2078.
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