Wir fühlten, dass wir nicht noch einmal scheitern durften« - beschwor Konferenzpräsident Jan Pronk schon vorsorglich sämtliche Kritiker des Weltklimagipfels in Bonn. Das hatte seine Berechtigung, zwar wurde das Kyoto-Protokoll gerettet, doch gibt es keinen Triumph zu feiern - weder für die Klima-Diplomatie noch für das Klima-System. Die 1997 in Kyoto vereinbarten Ziele wurden verwässert, die Instrumente geschwächt, Finanzierungsfragen nur unzureichend geklärt. Die größte ökologische Herausforderung der Menschheit stößt weiterhin auf ökonomische Interessen, die auf Kosten der Natur und der Zukunft durchgesetzt werden. Ökonomische Hybris gegen ökologische Vernunft - ein Trauerspiel. Bonn hat für keinen Wechsel im Genre gesorgt.
Doch so, wie die Kleinbürger lieber ein schlechtes Theater als gar kein Theater sehen möchten, so müssen wir Weltbürger nun mit einem unvollständigen Klimavertrag zurecht kommen, weil eine überzeugende Lösung nach dem Boykott der US-Administration und ihrer Trittbrettfahrer nicht mehr zu erreichen war.
Zur Stabilisierung des Klima-Systems, sagt uns die Wissenschaft, müssten die globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 gegenüber dem Ausgangsjahr 1990 um 60 Prozent, die der Industrieländer um 80 Prozent reduziert werden. Da waren die in Kyoto vereinbarten 5,2 Prozent für die erste Periode bis 2012 schon sehr dürftig (»Kyoto 1«). Der Bonner Kompromiss (»Kyoto 2«) reduziert diese Vorgabe nun auf nahe Null Prozent, weil er den Vertragsstaaten erlaubt, die nationalen Reduktionsziele auch über Kohlendioxid-Speicher im eigenen Land - über Wälder und Agrarflächen (sogenannte Senken) - zu erfüllen. Obwohl das vorhandene Speichervolumen quantitativ begrenzt bleibt, wird dies in einigen waldreichen Ländern wie Kanada oder Japan dazu führen, dass die im Industrie-, Verkehrs- oder Privatsektor zu erbringende Reduzierungsleistung drastisch sinkt oder völlig schwindet. Die Forstwirtschaft entlastet die übrige Wirtschaft - energiepolitisch ein kontraproduktives Signal. Was die »Waldoption« im Klimaschutz, den Erhalt existierender Wälder oder die Aufforstung neuer angeht, mag dieser Beschluss sehr wohl anders bewertet werden. Nur ist es keine sinnvolle Politik, wenn Senken mit Kohlendioxid-Quellen verrechnet werden: Sinnvoller wäre eine Doppelstrategie - das Eine vermehren, das Andere dennoch reduzieren.
Die vorgesehenen flexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls blieben vom Bonner Kompromiss im Wesentlichen unberührt. Die Industriestaaten können ihre Reduktionsziele bis zu einem signifikanten Teil auch durch den Handel mit Emissionszertifikaten, durch Direktinvestitionen in anderen Industriestaaten und Projekte in Entwicklungsländern erfüllen. Erfreulich ist, dass hierbei auf Drängen der Europäer der Export von Atomkraftwerken explizit ausgeschlossen ist. Ob dies allerdings wirklich zu einer Ökologisierung der Energiestrukturen in den Importländern führt, scheint zweifelhaft und provoziert die Frage: Werden da veraltete Kohle- und Öl-Kraftwerke installiert oder kommt es zu einem Durchbruch erneuerbarer Energieträger - Wind, Biomasse, Fotovoltaik?
Kompromisse in der Klimapolitik sind stets auch für Überraschungen gut. Im Gegensatz zum Montrealer Protokoll, das dem Schutz der Ozonschicht gewidmet war, sah das Kyoto-Protokoll bisher keinen Sanktionsmechanismus gegen Fehlverhalten vor. Hier verheißt der Bonner Beschluss wirklich Fortschritte. Vorgesehen ist ein relativ striktes System der Erfüllungskontrolle. Schafft ein Vertragsstaat sein vorgegebenes Reduktionsziel nicht, soll das Konsequenzen haben: Die Emissionsmengen, die in der Phase bis 2012 zu viel in die Atmosphäre geleitet werden, müssen in der darauf folgenden Periode bis 2017 zusätzlich eingespart werden und zwar multipliziert mit dem Faktor 1,3. Außerdem droht eine Strafgebühr, deren Höhe allerdings noch nicht fixiert wurde.
Es bleibt als Fazit, die Ratifizierung des geänderten Kyoto-Protokolls kann nun beginnen, so dass es im September 2002, rechtzeitig zum »Erdgipfel« von Johannesburg, in Kraft treten dürfte. Ein Meilenstein der internationalen Klimapolitik hatte es werden sollen. Doch in Bonn wollte niemand Meilen-Stiefel tragen. Im Grunde muss die klima-ökologische Wahrheit klima-politisch immer noch buchstabiert, muss internationale Gerechtigkeit gegenüber nationalen Wachstumsinteressen erst noch durchgesetzt werden. Dennoch steht Bonn für eine abgestimmte, völkerrechtlich verbindliche Dynamisierung der Emissionsreduzierung. Eine denkbare Basis für das Umsteuern der Wirtschafts- und Konsumstrukturen, für die Ökologisierung der Industriegesellschaft. Unser Lebensstil, der stil-bildend ist für die übrige Welt, muss verträglich werden für das Klima und eine globale Ökologie.
Udo Ernst Simonis ist Professor für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin und Mitglied des UN-Komitees für Entwicklungspolitik.
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