Rio + 10 = Johannesburg

DER NÄCHSTE "ERDGIPFEL" IN SÜDAFRIKA 2002 Fest steht bisher nur der Titel - "World Summit on Sustainable Development"

"Sustainable Development" plus "Agenda 21"

"Nachhaltige (zukunftsfähige) Entwicklung ist ein Prozeß der Veränderung, in dem die Nutzung der Ressourcen, die Struktur der Investitionen, die Orientierung des technischen Fortschritts und die institutionellen Strukturen konsistent gemacht werden mit den zukünftigen und den gegenwärtigen Bedürfnissen." So die ambitiöse, vielzitierte Definition im Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987. Die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 übernahm dieses Konzept und legte es dem Globalen Aktionsprogramm Agenda 21 zugrunde. Alle danach vereinbarten Umweltkonventionen und multilateralen Vereinbarungen nahmen es auf, seine Umsetzung wurde zur Aufgabe der Kommission für Nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development - CSD), dem wichtigsten institutionellen Ergebnis der Rio-Konferenz.

In der Millennium Declaration vom September 2000 wollten es die Präsidenten und Regierungschefs der UN-Mitgliedsstaaten nicht nur bei einer Bestätigung der Agenda 21 belassen - sie forderten ausdrücklich eine neue Ethik der Bewahrung und Steuerung (new ethic of conservation and stewardship), bekannten sich zum Kyoto-Protokoll sowie den UN-Biodiversitäts- und Desertifikations-Konventionen (*) und versprachen ein "nachhaltiges Management" aller Arten von Wäldern und Wasserressourcen. Bemerkenswert schien zudem die Übereinkunft, Zahl und Auswirkungen natürlicher und durch Menschen verursachter Katastrophen (Paragraphen 22/23 der Deklaration) kooperativ (!) reduzieren zu wollen.

In alldem lag ein Eingeständnis: Nach den wirklich bahnbrechenden Beschlüssen von Rio während des ersten "Erdgipfels" 1992 war eine Bestandsaufnahme zur Agenda 21 unumgänglich. Und da das Resultat dieser Analyse erwartungsgemäß widersprüchlich ausfiel, sollte mit der Millennium Declaration good will demonstriert werden. Denn im Vorfeld des Umweltgipfels von Johannesburg im Herbst 2002 - zehn Jahre nach Rio - besteht weder Anlass zu Selbstgefälligkeit, geschweige denn zu einer wirklich befriedigenden Bilanz. Die muss jedoch nicht durch larmoyante Schwarzmalerei gezogen werden, sondern lässt ein eher differenziertes Bild zeichnen.

Einerseits gibt es zahlreiche Städte und Gemeinden in den Industriestaaten, die das Angebot angenommen haben (in Deutschland 1892 Beschlüsse, Stand: März 2001) und in einen partizipativen Prozess der "Redefinition" lokaler Entwicklungsstrategien eingetreten sind, etwa beim Umbau von Energie- und Transportstrukturen (sie wurden dabei durch nationale wie regionale - europäische - Nachhaltigkeitsstrategien unterstützt). Andererseits hat die Agenda 21 in den Entwicklungsländern wenig Akzeptanz erfahren. Das gilt selbst dort, wo der Aufbau erneuerbarer Energiestrukturen und umweltverträglicher Transportsysteme relativ einfach gewesen wäre. Es besteht daher dringender Bedarf, dass die internationale Gemeinschaft Defiziten und Schwierigkeiten beim Umgang mit der Agenda 21 nachgeht und Johannesburg 2002 als Chance versteht, innovativen Ideen einen neuen Schub zu verleihen.

Produktionsbremse für das "Schmutzige Dutzend" gezogen

Was die in Rio und danach vereinbarten Klima-, Biodiversitäts- und Deserfikationskonventionen angeht, ergibt sich hier gleichfalls ein widersprüchliches Resümee. Während Energieeffizienz und erneuerbare Energien in einigen Regionen (in Europa, auch in China) als zentrale öffentliche Anliegen behandelt werden, ist in Nord- und Südamerika oder in Afrika wenig passiert. Dass es nicht gelang, das Kyoto-Protokoll in Kraft zu setzen, kommt erschwerend hinzu. Angesichts der US-Blockadedrohung besteht momentan dafür weniger Hoffnung denn je. Wenigstens zum Thema "biologische Sicherheit" (bei grenzüberschreitenden Aktivitäten) liegt ein Protokoll im Rahmen der Biodiversitätskonvention vor, während beim Schutz der Wälder bisher kein Erfolg erzielt wurde. Hoffnungsvoller stimmen hingegen die Versuche, Kapazitäten gegen die weitere Ausbreitung von Wüsten aufzubauen. Das gilt vorrangig in Afrika. Im Gegensatz dazu wird das Thema Wasserknappheit leider weiterhin nicht als globales Problem verstanden, auch wenn sich die Entwicklungsländer inzwischen keinen Illusionen mehr hingeben, was die Gefahren für die Gesundheit und Ernährungssicherheit angeht.

Auch die rapide Abnahme der Bodenqualitäten hat nicht die nötige Aufmerksamkeit gefunden, obwohl dies bereits ein höchst realer, nicht mehr nur potenzieller Risikofaktor ist. In jüngster Zeit konnten allerdings Fortschritte bei der Handhabung persistenter organischer Stoffe (persistant organic polutants, POPs) gemacht werden, indem Maßnahmen vereinbart wurden, die Produktion des dirty dozen - des "Schmutzigen Dutzends" - zu beenden.

Parallel dazu hat eine intensive Debatte über die Zukunft der Institutionen begonnen, die den globalen Aspekten nachhaltiger Entwicklung verpflichtet sind: das UN-Umweltprogramm (UNEP), die Globale Umweltfazilität (GEF) und die Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD). Innovationen erscheinen unumgänglich, was eine Umstrukturierung, die "Reformulierung" ihres Mandats sowie die Kapazitäten und Finanzierungen angeht. Während Konsens besteht, dass die GEF angesichts der Fülle weitreichender Umweltschädigungen unbedingt aufgestockt werden muss (Tony Blair zum Beispiel strebt eine Erhöhung des Budgets um 50 Prozent an), ist die Notwendigkeit einer stärkeren Position von UNEP zwar offensichtlich und auch öffentlich reklamiert worden (etwa durch Präsident Chirac), doch die Form, in der dies geschehen soll, bleibt umstritten.

Institutionelle Schnittmuster nicht mehr so recht im Trend

Überraschen kam das keineswegs, schließlich gilt: die Form folgt den Funktionen - die Form folgt der Finanzierung. Mit anderen Worten: Funktionen und Gelder müssen geklärt sein, bevor UNEP von einem Programm zu einer Organisation der UNO, sprich: einer Weltumweltorganisation, werden kann. Ein Punkt im Übrigen, um den sich eine deutsche Position auf dem Johannesburger Gipfel verdient machen könnte. Mögliche Konzepte sollten zugleich die Frage beantworten, wie die genannten Institutionen mit globalen Strukturen wie der Weltbank, dem Währungsfonds und der WTO kooperieren müssten oder sich Überschneidungen und Kompetenzgerangel mit der Welternährungs- und Gesundheitsorganisation (FAO, WHO) vermeiden ließen.

Wie sich zeigt, bietet Johannesburg als "Rio+10" vorzügliche Gelegenheiten, Konzept und Philosophie des Themas Nachhaltige Entwicklung wieder mehr Leben einzuhauchen und - last but not least - die Reform "globaler Institutionen der Nachhaltigkeit" beherzter in Angriff zu nehmen.

(*) UN-Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung in den von Dürre und/oder Wüstenausdehnung betroffenen Ländern; 1996 in Kraft getreten.

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