Renommierte Firmen aus Europa, aber auch den USA und Japan haben die am 19. Juli in Bonn beginnende 6. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention aufgefordert, alle Hindernisse für das "Protokoll von Kyoto" aus dem Weg zu räumen und eine energische Reduzierung der Emission von Treibhausgasen einzuleiten. Die Initiative nennt sich e-mission 55 - Business for Climate und reflektiert mit dieser Bezeichnung die Chance, das Kyoto-Protokoll spätestens ab 2002 umzusetzen. Das wäre möglich, würde das Dokument bis dahin von mindestens 55 Staaten ratifiziert, auf die wiederum 55 Prozent der entsprechenden Emissionen aus den Industrieländern entfallen. Dazu müssten neben den EU-Staaten vor allem Russland und Japan mitziehen. Das scheint zweifelhaft, nachdem der Boykott durch die Bush-Administration auch andere Staaten veranlasst hat, die 1997 in Kyoto vereinbarten Reduktionsziele in Frage zu stellen. Insofern steht der globale Klima-Schutz mit der Bonner Konferenz nach dem gescheiterten Gipfel von Den Haag Ende 2000 an einem Kreuzweg. Entweder weiter Flüge zum Wochenend-Shopping von Paris nach New York oder Abschied von einer Wohlstands- und Wachstumsideologie, die sich nicht daran stört, dass die Erde verheizt wird.
Welche Partie soll am Rhein gespielt werden? Steht uns in Bonn eine Art klimapolitisches Schach bevor, bei dem verschiedenwertige Figuren auf dem schwarzweißen Brett ihrer Bestimmung gemäß in der Absicht bewegt werden, den gegnerischen König matt zu setzen oder infolge entscheidenden Figurenverlusts zur Aufgabe zu zwingen? Oder wird eher Mikado gespielt, bei dem der Verlierer das Opfer mangelnden Geschicks und fehlender Geduld sein kann? Ohne diese Tugenden wäre das 1997 vereinbarte Klimaschutzprotokoll von Kyoto schon heute nur noch Makulatur, die einige Nostalgiker gelegentlich daran erinnern ließe, dass es einmal einen Minimalkonsens von 186 Staaten gab, den Planeten Erde nicht verheizen zu wollen und einer ungehemmten Freisetzung von Treibhausgasen in die Atmosphäre Grenzen zu setzen, aber leider ...
Standort- und Schlupflochdebatte
"I oppose the Kyoto Protocol", schrieb Präsident Bush im März. Der Kyoto-Vertrag sei ineffektiv, unfair und schade der US-Ökonomie. Klare Worte, die an seinen Vater erinnerten, der auf dem "Erdgipfel" von Rio de Janeiro 1992 erklärt hatte, über den American way of life gebe es nichts zu verhandeln. Worüber soll da in Bonn noch geredet werden?Umweltminister Trittin ließ gerade wissen, es gehe um ein international verbindliches und von der Weltgemeinschaft kontrolliertes Abkommen. Damit kann er eigentlich nur das "Kyoto-Protokoll" gemeint haben - oder weist diese Formel auf ein neues, ein entschärftes "Bonner Protokoll"?
"Alles ist möglich", heißt der Werbespruch einer bekannten Autofirma. Doch was ist in der internationalen Klimapolitik jetzt wirklich "noch möglich"? Fangen wir mit dem an, was nötig ist. Der Dritte Sachstandsbericht des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel (IPCC/s. Kasten) hat im Frühjahr dank besten Wissens präzisiert, was uns in diesem Jahrhundert droht. Die mittlere Erdtemperatur wird - je nach den ergriffenen Klimaschutzanstrengungen - zwischen 1,4 und 5,8 Grad Celsius steigen. Bei Letzterem wären die Konsequenzen schlicht katastrophal - für Inselstaaten, arme Entwicklungsländer, für Küsten- und Hochgebirgsregionen, aber auch die Landwirtschaft. 60 Prozent der derzeitigen globalen Treibhausgasemissionen - vorrangig Kohlendioxid - müssen reduziert werden. Angesichts der Fakten gibt es keine Alternative zur koordinierten, unverzüglichen Aktion der Industrieländer.In dieser Hinsicht war das "Kyoto-Protokoll" ein erster Schritt: 38 Industrieländer hatten sich im Durchschnitt auf 5,2 Prozent Emissionsreduzierung bis zur ersten Zielperiode 2008 bis 2012 verständigt - und sie hatten sich drei flexible Instrumente ausgedacht (die gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen, einen Finanzmechanismus, den Handel mit Emissionszertifikaten), die helfen sollten, das Ziel zu erreichen.Nun ist alles wieder offen - viele Figuren stehen im Wege, viele Stäbchen liegen herum. Den einen sind die Ziele zu strikt und die Instrumente zu hart (sie führen die "Standortdebatte") - den anderen sind die Ziele zu lasch und die Instrumente zu flexibel (sie bevorzugen die "Schlupflochdebatte"). "Das Kyoto-Protokoll ist tot", sagen einige - "das Kyoto-Protokoll muss neu verhandelt werden", sagen andere. Wenn tot sein nicht bedeutet, dass der gesamte Prozess zum Erliegen kommt, dann sind Kompromisse denkbar, die bezogen auf Kyoto die Integrität der bisherigen Verhandlungsergebnisses respektieren, der Klimadiplomatie aber über den toten Punkt helfen. Natürlich weiß niemand, ob das in Bonn gelingt - mehrere Varianten zeichnen sich ab.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - Ein Planet wird verheizt
Die IPCC-Experten formulieren in ihrem dritten Sachstandsbericht zur Weltklimasituation: "Im Licht neuer Erkenntnisse und unter Beachtung verbleibender Unsicherheiten ist es wahrscheinlich, dass die während der letzten 50 Jahre zu beobachtende Erderwärmung wahrscheinlich größtenteils eine Folge der Treibhausgaskonzentrationen ist ..." - Das Wort "wahrscheinlich" signalisiert nach IPCC-Verständnis eine Trefferquote von 65 bis 90 Prozent. Insofern darf die zur Klima-Konferenz in Bonn vorliegende Prognose nicht nur als "seriös", sie muss vor allem als "dramatisch" eingestuft werden. So heißt es, das Tempo der Erderwärmung (möglicherweise um 5,8 Grad Celsius bis 2100) lasse sich allein schon daraus ersehen, dass die Schnee- und Eisflächen der Erde in den vergangenen vier Jahrzehnten durch den Treibhauseffekt weltweit um zehn Prozent geschrumpft sind. Ein klarer Indikator sei aber auch der Anstieg der nächtlichen Mindesttemperaturen, der in den neunziger Jahren deutlich über dem der durchschnittlichen Tageshöchsttemperaturen gelegen habe. Es komme als ein weiteres beunruhigendes Phänomen hinzu: Deutlich erhöhte Temperaturen ließen sich besonders in den untersten Schichten der Erdatmosphäre - also nur wenige Kilometer von der Erde entfernt - messen. Nachdem der IPCC-Report von 1995 für den Zeitraum zwischen 1990 und 2100 einen Anstieg des Meeresspiegels von 15 bis 95 Zentimeter prophezeit hatten, ist diese Prognose nunmehr auf die Werte 14 bis 88 Zentimeter leicht nach unten korrigiert worden. Die damit verbundenen Gefahren für Küstenregionen und Inselstaaten werden jedoch als keinesfalls geringer eingestuft.
Strikte oder Weichmacher-Linie
Eine Variante könnte darin bestehen, dass die Europäer als homogene Formation agieren, Japan und Russland auf ihre Seite ziehen und einer Reihe von Entwicklungsländern die Zusage abtrotzen, bald in Energieeinsparung und erneuerbare Energien einzusteigen, um so das Tor zu relativer Emissionsreduzierung wenigstens einen Spalt weit aufzustoßen. Hierzu wird man aber (wie der Bundeskanzler mit seinem Schachzug beim Länderfinanzausgleich) ein lukratives Angebot unterbreiten müssen: beispielsweise einen eigenen Klimafonds oder die Zusage einer Aufstockung der Globalen Umweltfazilität (GEF/*).
Alternativ zu einem solch stringenten Vorgehen wäre ein konzilianterer Kurs möglich: Verminderte Reduktionsquoten, die USA erhalten einen Nachlass oder zeitlichen Aufschub, notfalls auch die Japaner. Neben einer Umsetzung der bisher schon vorgesehenen flexiblen Instrumente wird außerdem die Senkenfunktion der Weiden und Wälder (s. Freitag vom 8. 6. 2001) anerkannt - das heißt, Senken werden bei den Reduktionsauflagen angerechnet, wie das vom Prinzip her schon beim Handel mit Zertifikaten akzeptiert wurde.
Weltweite Klimatechnik und genügsame Zivilgesellschaft
Schließlich wäre es auch denkbar, dass man sich in Bonn auf ein international abgestimmtes und finanziertes Investitionsprogramm für klimarelevante Schlüsseltechnologien einigt, die bisher im Kyoto-Protokoll vorgesehenen Instrumente ergänzen: Fotovoltaik, Windenergie, Kraft-Wärme-Kopplung und Spar-Auto werden zu klimapolitischen Weltprojekten erklärt. Das Credo: Ein Rettungsboot bauen - mit verbindlichen, aber differenzierten Arbeitspflichten aller. Ein derartiges Szenario würde sowohl die Ängste eines US-Präsidenten berücksichtigen als auch Befürchtungen der Entwicklungsländer, Klimaschutz blockiere ihr Wachstum. Der American way of life sei nicht verhandelbar, dozierte einst Bush senior, inzwischen meinen vielleicht aber auch viele Europäer, der Europäische Lebensstil sei nicht verhandelbar.
Das sozioökonomische und politische System wird von solchen Interessen und Ideologien aufrechterhalten und stabilisiert. Das Klimasystem ist allerdings ein ökologisches System; es kennt keine Interessen und Ideologien - doch wird es von solchen entweder im Gleichgewicht gehalten oder aus demselben gebracht. Daher muss das Überlebensinteresse der Zivilgesellschaft gegenüber dem Macht- und Wachstumsinteresse mancher Politiker gestärkt werden. Nachhaltigkeit ist ein solches Konzept - ein holistisches und globales Konzept, das die Frage nach dem Lebensstil auf die Tagesordnung setzen muss. Fazit: Strategisch denken - das Schach-Prinzip - und Hindernisse aus dem Wege räumen - das Mikado-Prinzip -, um beides dürfte es gehen, wenn in Bonn wieder internationale Klimapolitik auf den Weg gebracht werden soll. Nur Zyniker können meinen, das Klimaproblem sei auch ohne internationale Kooperation - vielleicht im Selbstlauf - steuerbar. Wenn Spieler, sei es bei Schach oder Mikado, den Spieltisch verlassen, dann verliert das Spiel seinen Sinn. Mehr noch: es gibt kein Ergebnis.
(*) Übergeordnetes Verwaltungsorgan mit finanziellen Fonds für Umweltprobleme in Osteuropa und den Entwicklungsländern.
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