Schmutzfinken weltweit

FATALES DEFIZIT Globalisierung ohne globale Ökologie?

Der Umweltschutz steht nicht mehr oben auf der Skala der täglichen Sorgen und Prioritäten der Deutschen. Und manche halten das für ganz in Ordnung, wären da nicht die vielen Urlaubsreisen nach Rio de Janeiro oder Daressalam oder wohin auch immer, die einem eine andere, nicht die heile "Um-welt" zeigen. Wären da nicht hartnäckige Wissenschaftlicher, die über kontinentale Grenzen in die Zukunft sehen und deutlich sagen, dass es um die globale Ökologie keineswegs gut bestellt ist. Die Wetterextreme nehmen zu, der El Nino hatte Schäden von historischem Ausmaß zur Folge, in Afrika oder Lateinamerika ist der Artenschwund ungebremst, die Wasserknappheit nimmt dort - aber nicht nur dort - bedrohliche Formen an. Der jährliche Verlust ist enorm, war soeben im GEO-Bericht 2000 (*) zu lesen.

Bei der Frage, was denn bei diesen Kontinente überschreitenden Problemen eigentlich zu tun sei, wird immer wieder auf die I = P x A x T-Formel von Anne und Paul Ehrlich Bezug genommen. Die globalen Umweltauswirkungen (I = impacts) sind eine Folge dreier treibender Kräfte: des Bevölkerungswachstums (P = population), des generierten wirtschaftlichen Volumens (A = affluence) und der etablierten, nicht umweltgerechten Technik (T = technology). Diese Formel mag in der Tat einiges von der heutigen Umweltsituation erklären und einiges von deren künftiger Verschärfung indizieren.

Die Erdbevölkerung hat 1999 die Sechs-Milliarden-Grenze überschritten - die niedrigste UN-Prognose für 2050 geht von 7,3 aus, die höchste von 10,7 Milliarden, wobei die Mittelvariante von 8,9 Milliarden von vielen als die "wahrscheinlichste" verstanden wird. In jedem Fall aber wird der entscheidende Zuwachs in Asien, Afrika und Lateinamerika zu registrieren sein. Die Weltökonomie ist im vergangenen Jahrzehnt mit durchschnittlich 2,5 Prozent, der Welthandel mit sieben Prozent gewachsen. Unter Status quo-Annahmen würde dies bis 2050 etwa auf eine Verdreißigfachung des Welthandels hinauslaufen. Wird die globale Ökologie das verkraften - kann sie es verkraften? Ganz sicherlich nicht.

Da die meisten von uns hinsichtlich des Bevölkerungsthemas Pessimisten, bezüglich des Wirtschaftsthemas aber Optimisten (um nicht zu sagen: Fetischisten) sind, setzt man auf die dritte treibende Kraft, den technischen Fortschritt. Natürlich wird die Technik in Zukunft nicht so ressourcenverbrauchend und umweltschädlich bleiben, wie sie heute ist: Miniaturisierung, Nanotechnologie, erneuerbare Energien, Biotechnologien stehen - auch deshalb - hoch im Kurs. In der Ehrlich-Formel fehlt aber ein vierter Faktor, so dass jede global konzipierte Therapie, die nur auf höhere technische Effizienz setzt, ein entscheidendes Defizit haben dürfte.

Bevölkerungszunahme, Wirtschaftswachstum und Technologieentwicklung entstehen in einem Geflecht institutioneller Regelungen (Verhaltensregeln wie Organisationen), die bei der Einwirkung auf diese treibenden Kräfte mitbedacht werden müssen und einen globalen Ansatz sichern, der auch Regionen der III. Welt angemessen berücksichtigt. Institutionelle Innovation ist daher gefragt. Um globale Institutionen zum Schutz der Umwelt und zur Harmonisierung von Umwelt- und Entwicklungsinteressen aber ist es äußerst schlecht bestellt: UNEP - das Umweltprogramm der UNO - ist finanziell wie personell viel zu schwach. Die WTO fühlt sich bisher für den Umweltschutz nicht recht zuständig, die Weltbank kämpft um Wiedergutmachung ihres ökologisch durchweg schlechten Images, ihre Globale Umweltfazilität (GEF) ist unzureichend bestückt und die Zukunft der globalen Umweltverträge - der Klima-, der Biodiversitäts-, der Wüsten- wie der Meereskonvention - ist eher ungewiss.

Die rasch voranschreitende Globalisierung von Wirtschaft und Technik bedarf daher einer verstärkten Globalisierung der Umweltpolitik. Bei der anstehenden Osterweiterung der EU ist dies inzwischen Konsens und eine Europäische Umweltunion künftig durchaus möglich. Von der notwendigen Kompetenzerweiterung der UNO ist in der Politikarena dagegen bisher nicht die Rede, obwohl die Wissenschaft dazu längst Vorschläge gemacht hat - beispielsweise den einer "Weltumweltorganisation" oder den eines "Umweltsicherheitsrates". Auf Globalisierung zu setzen und dabei globale Ökologie zu negieren, das kann nicht mehr lange gut gehen.

(*) Global Environment Outlook

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