Schweine werden also nicht mehr fressen dürfen, was dem Verbraucher Tag für Tag aufgetischt wird. Die absurde Situation ist logische Konsequenz des Tiermehl-Verbots. Der Schwanz eines Rindes, dessen Hackfleisch im Hamburger landet, darf nicht mehr in den Futtertrog, sondern nur noch in den Zementofen oder ins Kohlekraftwerk. Es sei denn, ein Brühwürfelhersteller machte ihn zu Ochsenschwanzsuppe.
Dennoch ist die Verbannung des Tiermehls derzeit unausweichlich. Noch enthält das Kraftfutter so ziemlich alles, was die Verbreitung des BSE-Erregers zuverlässig zu gewährleisten vermag. Hochinfektiöses Risiko-Material wie Rinderhirn oder Rückenmark darf erst seit dem 1. Oktober nicht mehr verarbeitet werden, bleibt also in den derzeit gestapelten Vorr
en Vorräten noch reichlich präsent. Mit kräftigem deutschem Zutun ist das 1997 von der EU-Kommission vorgeschlagene Verarbeitungsverbot vier Jahre lang verzögert worden.Auch dürfen die Kadaver von Rindern mit ungeklärter Todesursache noch immer durch die Fleischmühlen gedreht werden, ebenso zum Seuchenschutz gekeulte Schweine, sowie Hunde, Katzen, Zirkustiere und selbst Laborratten. Erst zum 1. März kommenden Jahres sollen die Herstellungsvorschriften für Tiermehl per EU-Eilverordnung verschärft und damit die Kadaver aus der tierischen Nahrungskette entfernt werden. Auch zu dieser fatalen Situation hat Deutschland einen recht erklecklichen Beitrag geleistet. Noch im Oktober stimmte die Berliner Politik in das Gejammer der Industrie ein, der von Brüssel angepeilte Ausschluss der Kadaver aus der Futterkette werde bis zu 174 Millionen D-Mark kosten und sei angesichts der sicheren Hitze-Druck-Sterilisation in deutschen Landen überflüssig.Akuter Handlungszwang bestand spätestens seit dem Frühsommer, als der "wissenschaftliche Lenkungsausschuss", das mit hochkarätigen Veterinären besetzte Beratergremium der EU-Kommission, Deutschland eindeutig als BSE-Risikoland einstufte. Angesichts des seinerzeit beschriebenen Gefahrenpotentials war die Entdeckung des Rinderwahns in Deutschland nur noch eine Frage der Zeit. Die Verantwortlichen werden zu erklären haben, weshalb sie in krassem Gegensatz zur Analyse führender europäischer Veterinärwissenschaftler bis vor wenigen Tagen an der längst unhaltbar gewordenen These von der deutschen BSE-Freiheit festhielten.Das Tiermehl-Verbot ist die Notbremse, ohne die der Zug gegen die Wand fahren würde. Doch es täuscht trügerische Sicherheit vor. Denn es kann all das Risiko-Material, das in den vergangenen Jahren munter verfüttert wurde, nicht aus den Tiermägen herausholen. Niemand weiß derzeit, wie BSE-durchseucht die Rinderherden auch hierzulande sind, weil flächendeckende Tests nicht durchgeführt wurden. Da die derzeit verfügbaren Untersuchungen bei jüngeren Tieren nicht anschlagen, wird man es auch in den nächsten drei Jahren bestenfalls abschätzen, aber nicht zuverlässig bestimmen können. In der Logik des Tiermehlverbots läge es deshalb, ihm ein "Verfütterungsverbot" für Steaks und Hamburger voranzustellen. Der Umkehrschluss lautet allerdings: Wären letztere sicher, so gäbe es auch für ein Verbot von Tiermehl keine wissenschaftliche Grundlage, sofern es allein aus Fleisch und Knochen derselben Tiere verfertigt und nicht an Grasfresser verfüttert wird.Tiermehl ist zur unbeherrschbaren Infektionsquelle geworden, weil der Drang zur uferlosen Ausweitung der industriellen Billigfleischproduktion und zur Eroberung der Weltagrarmärkte den Bedarf an Futtereiweiß in ungekannte Höhen schraubte. Vom Klärschlamm bis zum letzten Tierkadaver wurde alles in den Futtertrog geworfen, was verlockende Extragewinne verhieß. Bleibt die europäische Agrarpolitik weiter auf rein profitorientiertem Industrie- und Exportkurs, muss die Natur auf andere Weise vergewaltigt werden. Die wichtigste Alternative zum Tiermehl heißt Sojaschrot. Wird es aus den USA importiert, kommt mit der Gentechnik die Risiko-Technologie der Zukunft durch die Hintertür. Beim Bezug aus Brasilien wird die weitere Abholzung des Regenwaldes gar nicht schnell genug gehen können, um den hochschnellenden Bedarf der europäischen Schweine- und Hühnerfabriken zu decken.Auf letztere kommen bei ausbleibendem Kurswechsel der Agrarpolitik rosige Zeiten zu. Der bislang nur auf dem Reißbrett stehende mehrstöckige Mastkomplex am Getreidehafen von Rotterdam droht zum Prototyp der schönen neuen Landwirtschaft zu werden. Es wird unausweichlich sein, zur Beherrschung des dort entstehenden Seuchendrucks die Antibiotika-Dosis in den Futtermischungen kräftig heraufzusetzen. Unsere Mägen werden wohl noch einiges verdauen, Natur und Umwelt noch so manchen rein ökonomisch determinierten Unsinn aushalten müssen, bis die einsamen Rufe nach extensiver Tierhaltung und regional ausgerichteter Agrarproduktion aus der fernen Wüste in die Politik herüberdringen.