Aus dem Schatten treten

ZWISCHEN OFFENSIVE UND OFFENBARUNG Die zapatistische Bewegung und der "New Deal" des Vicente Fox

Es war im Dezember schon fast irritierend, wie weit sich Vicente Fox für die indigenen Rechte exponierte - im Januar wurde das dann erkennbar relativiert: Kaum ein Tag verging, an dem nicht ein Sprecher aus dem Unternehmerlager mit mehr oder weniger rassistischen Argumenten die Zapatisten angriff. Und aus dem heterogenen Wahlverein des Präsidenten meldeten sich die Ultrarechten zu Wort, um die Stimmung zu testen. Doch inzwischen scheinen die Hardliner wieder in den Kulissen verschwunden, denn beim abendlichen Zappen durch die Fernsehkanäle traut man seinen Augen nicht. Die beiden TV-Giganten Televisa und TV Azteca - jedweder Sympathien für Subcomandante Marcos unverdächtig - kündigen für den 3. März ein gigantisches "Konzert des Friedens in Chiapas" an. Die Spots sind mit Statements des Präsidenten garniert, der beteuert, wie wichtig die Ankunft des EZLN (Ejército Zapatista de Liberación National) in Mexiko-Stadt für das Land sei. "Nie wieder ein Mexiko ohne Indígenas" - am Versprechen aus der Antrittsrede vom 1. Dezember soll es keine Abstriche geben.

Dies dokumentiert zweierlei: Die zapatistischen Positionen werden als legitim anerkannt - aber begrenzt auf die "indigene Frage" und den Frieden. Ein internes Papier der Regierung - überschrieben mit Chiapas 2000 - beschäftigt sich nicht zufällig zu zwei Dritteln mit diskursiven Stärken des EZLN und möglichen Strategien dagegen. Dass es Fox mehr um international wirksame PR als um konkrete Friedensarbeit gehen könnte, darauf deutet nicht zuletzt der Umstand hin, dass die Armee nicht wirklich aus Chiapas abgezogen, sondern an andere Orte disloziert wurde. Es gab auch keine mexikanischen Proteste gegen das von den USA und Guatemala angekündigte Vorhaben, mehrere tausend US-Soldaten zum Zwecke der "Sozialarbeit" an die Südgrenze Mexikos zu verlegen.

Der Präsident dürfte Chiapas vorzugsweise aus ökonomischen Gründen befrieden wollen. In seinem Kabinett sitzen gleich reihenweise Unternehmer. Pablo Romo - Chef von TNK Pulsar (*) und Hauptfinanzier des Wahlkampfes von Fox - führt zwar kein Ressort, wird aber demnächst das ehrgeizige "Projekt von Puebla bis Panamá" präsentieren, das den Süden regelrecht hofiert - genauer gesagt: dessen gewaltige Ressourcen an Erdöl, Uran und Wasserkraft. Pablo Romo will in Chiapas "den Wald in Toilettenpapier verwandeln", also Maquiladoras nebst einer Infrastruktur aufbieten, die weit ins 21. Jahrhundert greift. Als deren Lebensader ist der Trockene Kanal gedacht, eine Auto- und Schienentrasse über die Landenge von Tehuantepec hinweg, die den Panamá-Kanal ersetzen könnte. Dafür müsste allerdings einer der dichtesten Tropenwälder Zentralamerikas weichen.

Vor diesem Hintergrund gehen die Meinungen in der mexikanischen Linken über die "große Tour" der Zapatisten zum Teil erheblich auseinander. Die chiapanekischen Rebellen unterschätzten die Machtfrage, rumort es, sie ließen sich zu sehr als "Stars" behandeln und nun wahrscheinlich mit marginalen Konzessionen ruhig stellen. Teile der "zapatistischen Zivilgesellschaft" sprechen demgegenüber von einem möglichen zweiten Januar 1994 (Beginn des Aufstandes des EZLN). Ob eine solche Prognose gerechtfertigt ist, muss sich zeigen. Zunächst lauten die Fragen: Geben die Zapatisten ihre Waffen ab? Gehen sie aus dem Lakandonen-Wald heraus? Wie werden sie sich künftig artikulieren? Ist die Gefahr gebannt, sich mit und in Chiapas politisch selbst zu überleben? Im Kern geht es um den Anspruch des EZLN, "eine Revolution zu machen, die eine Revolution ermöglicht". Genau hier beginnen die Differenzen mit der "traditionellen" Linken, besonders der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), und deren Philosophie mittels staatlicher Macht die Gesellschaft ein wenig gerechter zu machen. PRD-Führer wie Cuauhtémoc Cárdenas oder López Obrador dienen nach Auffassung der Zapatisten einem "national-revolutionären Populismus", der auf die gleiche Machtpolitik hinauslaufe, der sich auch das Establishment verschrieben habe. Insofern sieht sich das EZLN auch weniger als Kristallisationspunkt der Linken, sondern mehr als Katalysator, um eine emanzipative Politik voranzutreiben. Eine solche Perspektive negiert keineswegs das vorhandene linke Spektrum, verzichtet aber auf noch immer stark verinnerlichte Kriterien des politischen Erfolgs wie quantitative "Stärke" und "Einheit der Linken". Das schließt radikale Kritik an einem hegemonialen Politikverständnis ein, dem "Politik" vorzugsweise als Angelegenheit von Parteien und Staaten gilt. Für die PRD ist das bis heute obsolet, sie pflegt nach wie vor einen betont instrumentellen Umgang mit sozialen Bewegungen - und distanziert sich von Positionen des EZLN, bei denen beispielsweise der Kampf gegen die Privatisierungspolitik der neoliberalen Eliten Lateinamerikas nicht unbedingt als "etatistisches Projekt" gesehen wird.

Aber das bedeutet eben auch, der EZLN muss jetzt Farbe bekennen und die Gretchenfrage beantworten, ob er mit Fox kooperieren will. Denn "Frieden in Chiapas" heißt für den Präsidenten, dass der Vertrag von San Andrés über "Indígene Rechte und Kultur" mit dem EZLN unterzeichnet wird und letzterer die Waffen abgibt, damit dann wieder business as usual einkehren kann. Unter "Rechten" dürfte Fox einerseits eine Neuauflage des alten Paternalismus, andererseits ein Reglement verstehen, nach dem die Indígenas ihre Misere stärker selbst verwalten - neoliberalismo à la mexicana: Billige Arbeitskräfte und Naturressourcen, die zum freien Verkauf stehen und eine kleine, aber mächtige ökonomische, politische und intellektuelle Eliten gut ernähren. Was wird, was kann dem EZLN dazu einfallen?

(*) Transnationaler Agrarkonzern.

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