Derzeit ist viel von internationaler Architektur die Rede. Bundeskanzler Schröder plädiert mit Blick auf den IWF für eine "internationale Finanzarchitektur", nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien galt eine "internationale Sicherheitsarchitektur" als unabdingbar, der Sozialdemokratie nahestehende Theoretiker sprechen von einer "Global Governance-Architektur". Die Strukturveränderungen des Kapitalismus haben mit Erschütterungen wie der des Europäischen Währungssystems 1992, mit der Peso-Krise in Mexiko 1994, der Russland- oder der Asien-Krise 1998 die Frage provoziert: Wie soll - wie kann mit den Anfälligkeiten einer neoliberal gefärbten Globalisierung umgangen werden? Während in den Finanz-Metropolen allenfalls vage Vorstellungen bestehen, f
, formieren sich in der internationalen Sozialdemokratie die Kritiker eines "ungezügelten globalen Kapitalismus" - der Ruf nach mehr politischer Steuerung ist spätestens seit 1998 unüberhörbar.Der Begriff "Verhandlungsstaat" verweist auf die Handlungsebene NationalstaatSchlagworte sind Re-Regulierung oder re-embedding - intendiert von der Erkenntnis, dass eine Globalisierung, die sich bislang ausschließlich ökonomisch vollzieht, nun politisch eingebettet werden müsse. Dabei wird unterschlagen: Globalisierung war stets politisch induziert, bestand allerdings in ihrem Kern in einer Verschiebung des Verhältnisses von Ökonomie und Politik. Unter dem Label Global Governance sollen jetzt die notwendigen - politischen - Korrekturen vorgenommen werden, um Krisen erkennen und abfedern zu können.Der Begriff Governance geht auf den US-amerikanischen Politologen James N. Rosenau zurück, der zu Beginn der neunziger Jahre auf internationaler Ebene "governance without government" ausmachte. Seine Theorie hob hervor, multilateral seien Kooperationsbeziehungen möglich, ohne dass es eine Hegemonialmacht wie vormals die USA oder einen Weltstaat geben müsse. Parallel dazu führte 1994 die UN-Commission on Global Governance den Begriff in ihrem Report Our Global Neighbourhood ein und definierte ihn als "Gesamtheit zahlreicher Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln - ein kontinuierlicher Prozess, durch den kontroverse und unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Handeln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen ..."Protagonisten der Debatte im deutschsprachigen Raum sind zweifellos Franz Nuscheler und Dirk Messner vom Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) - eine der wichtigsten sozialdemokratischen Ideenschmieden für globale Politik -, die dem vagen Begriff Konturen zu geben suchen. Ausgehend von einer sich verändernden Staatlichkeit und globaler Interdependenzen geht es ihnen mit dem Aufbau einer "Global Governance-Architektur" um mehr Steuerungsfähigkeit des Staates. Es ist die Stärke des Konzepts, dass die tiefgreifenden Zäsuren für Staatlichkeit aufgenommen werden. Sie haben bewirkt, dass nicht mehr der hierarchische und zentralistische Wohlfahrts- oder fordistische Sicherheitsstaat Zentrum von Politik ist, sondern vielmehr eine Ausdifferenzierung staatlichem Handelns auf verschiedenen Ebenen stattfindet: neben der nationalen gewinnen die lokale und die internationale Ebene an Gewicht. Zugleich treten "deliberative Politikmodelle in Erscheinung, indem staatliche Apparate vermehrt in Kooperation mit anderen Akteuren vor allem privatwirtschaftlichen agieren. Der Begriff des "Verhandlungsstaates" versucht dem gerecht zu werden und verweist darauf, dass die Handlungsebene Nationalstaat nicht völlig an Bedeutung verliert.Leider krankt die Global Governance-Debatte an einer völlig unzureichenden Problemanalyse. Die Protagonisten gehen kritiklos vom "Megatrend Globalisierung" aus. Auch wird die sozialdemokratische Annahme akzeptiert, es gäbe grundsätzlich nur vereinbare Interessen - Konflikte seien demnach korporatistisch lösbar. Dem entspricht schließlich die weitgehende Ausblendung von Macht- und Herrschaftsaspekten beziehungsweise der herrschaftsförmigen Gesellschaftstransformation im Rahmen neoliberaler Globalisierung. Statt dessen dominieren technokratische und steuerungsoptimistische Annahmen zur Beherrschung von "Weltproblemen".Dreh- und Angelpunkt aller Vorstellungen ist die Wiedererlangung staatlicher Steuerungsfähigkeit - die Frage eines demokratischen Weges dorthin wird nicht gestellt.Diese Art von Global Governance-Debatte unterschlägt somit einen entscheidenden Aspekt der Veränderung von Staatlichkeit: Staaten sind heute zuallererst "nationale Wettbewerbsstaaten", deren zentrale Funktion die Garantie internationaler Wettbewerbsfähigkeit ist. Dann allerdings erscheint es fraglich, ob nationalstaatliche Akteure oder quasi-staatliche Akteure auf internationaler Ebene überhaupt gegen die Globalisierung beziehungsweise deren destruktive Konsequenzen wirksam werden können.Staaten sind heute zuallererst "nationale Wettbewerbsstaaten""Politik" gegen "ökonomische Globalisierung"? Dort, wo heute internationale (politische) Kooperation stattfindet, sichert sie eher die neoliberale Globalisierung ab (etwa in der WTO oder der OECD) und weicht keinesfalls asymmetrische Interessen und Machtverhältnisse auf. In der Global Governance-Debatte wird dieser Aspekt schlicht unterschlagen. Das neoliberale Verhältnis von Politik und Ökonomie ist da genauso wenig ein Thema wie der neoliberale Wettbewerbsimperativ.Außerdem, wer internationale Regulierung für notwendig hält, geht der nicht eventuell an den Problemen vieler Menschen vorbei? Wer hat denn "globale Probleme", wer definiert Krisen, wer Vorstellungen von Ordnung? Symptomatisch ist die Ausgrenzung alternativer Akteure und von Grassroots-Initiativen aus dem Global Governance-Diskurs. Folgerichtig fordern viele von ihnen eine klare analytische Abgrenzung gegen die wachsweichen Konzepte (Nuscheler, Messner) sozialdemokratischer Provenienz. Andere betrachten den Global Governance-Begriff einfach als Synonym für "internationalen Strukturpolitik", ein Terminus, den die derzeitige Bundesregierung gern verwendet.Bei alldem sollte nicht übersehen werden, die skizzierte Debatte hat erst begonnen. Vielleicht nimmt sie einen ähnlichen Verlauf wie die um "nachhaltige Entwicklung" oder die "Zivilgesellschaft" mit all ihrenÜberspitzungen. Zum anderen ist Global Governance eben auch ein "Containerbegriff" - die dominanten Akteure und ein hegemonialer Diskurs entscheiden darüber, was in den Container darf und was nicht - grundlegend kritische Positionen zumeist nicht.Ulrich Brand ist Mitautor der Studie Global Governance. Möglichkeiten und Grenzen von Alternativen zur neoliberalen Globalisierung, Münster 2000.