Fritz Kuhn ist schon nachgesagt worden, er verfüge über ein außergewöhnliches rhetorisches Talent. Das ist ein Missverständnis. Sicher, er konnte zuweilen scharf werden, etwa wenn er als grüner Oppositionsführer dem Stuttgarter Umwelt- und Verkehrsminister Schauffler nachsagte: "Entweder lügt er, dass sich die Balken biegen, oder er ist durch die Ämterhäufung komplett überfordert." Doch Kuhn, der als Beruf Sprachwissenschaftler angibt, ist kein suggestiver Redner wie Gregor Gysi oder Joschka Fischer, sondern ein kühl kalkulierender Vermittler, kein Rhetor, sondern Mediator. Und unter diesen wiederum gehört er nicht zu der Sorte, die wortreich experimentiert und erst einmal für freundliche Stimmung sorgt.
Einer der Grunds&
er Grundsätze, die die moderne Sprachwissenschaft im Anschluss an den späten Wittgenstein vertritt, heißt: "Die Bedeutung eines Worts ist sein Gebrauch in der Sprache." Nicht wie Etiketten, erst durch den Kontext, in dem sie ausgesprochen werden, gewinnen Worte ihre Bedeutung. Kuhn scheint diesem Satz eine umgekehrte pragmatische Erfahrung abgelesen zu haben: Wie schnell können doch Worte, sorglos gebraucht, zu unkontrollierbaren Zündsätzen werden, alte Wunden aufreißen, Nebenkriegsschauplätze eröffnen, Debatten anheizen in Momenten, wenn keiner sie wünschen kann.Es war ein Jahr vor seinem Amtsantritt als Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, als er, noch von Stuttgart aus, im entscheidenden Moment die Freunde aus dem eigenen Realo-Lager zurechtwies. Umweltminister Jürgen Trittin, der schon mit seinen Atomausstiegsvorstellungen gescheitert war, hatte damals auch in der Frage der AKW-Laufzeiten bei den Atomkonsensgesprächen seine Maximalforderungen herunterschrauben müssen. Die Vorreiter bürgerlich-liberaler Haushalts- und Finanzvorstellungen bei den Grünen, Oswald Metzger und Christiane Scheel, forderten daraufhin, Trittin müsse die Konsequenzen ziehen: Wer sich als Minister im eigenen Geschäftsbereich so demütigen lasse, müsse zurücktreten. Ihre Forderung sagten sie nicht nur geradewegs in die Mikrophone, sondern auch noch mit anmaßender Penetranz. Mit Trittin wollten sie dem ganzen linken Flügel einen empfindlichen, womöglich den endgültigen Schlag versetzen.Kuhn konnte das schon deshalb nicht billigen, weil es unprofessionell war: Solches Verhalten verleitet zur Vieldeutigkeit, also zur Undeutlichkeit, und löst schädliche Debatten aus. Klar und einfach warnte er, an der Schicksalsfrage des Atomausstiegs dürfe keiner sein "eigenes Süppchen kochen".Es ist ihm zur Gewohnheit geworden, nur mit feinstem Skalpell zu sezieren. Ist Kritik angebracht, bleibt sie im Ton leise und in der Sache knapp und schlicht. So gelingt es ihm, notwendige Operationen ohne verletzende Nebenwirkungen zu halten. Als kürzlich in den USA der grüne Außenminister sich ohne Vorwarnung der Kritik an der militärischen Abstrafung des Iraks enthielt, als der parteilinke Umweltminister Trittin dann mit seinem Nebensatz über "Unverständnis bis Empörung" der Basis für Wirbel sorgte, begann sofort die zerstörerische Suche nach den "eigentlichen" Hintergründen, typische Folge zweier kommunikationslogischer Entgleisungen.Immerhin, durch Fischer und Trittin wurden zwei Positionen repräsentiert (Regierung und grüne Basis), die Kuhn dann kanalisieren konnte, indem er die Stimmungslage auf "weit verbreitete Skepsis, ob sich mit Bombardements die Ziele im Irak erreichen ließen", herunterkochte, und weil sich klarstellen ließ, es gäbe "unterschiedliche Rollen für einen Außenminister und einen Parteipolitiker". Dem anderen Streitfall, der die Partei im Vorfeld ihrer Bundesdelegiertenkonferenz an diesem Wochenende beschäftigt hat - ob Grüne die anstehenden Castor-Transporte legitimerweise blockieren dürfen oder nicht - hat Kuhn durch Telefonate und orientierende Treffen im Vorfeld die Schärfe genommen: "In der Vergangenheit haben wir oft zu wenig geredet." Es sind diese abwiegelnden Sprachregelungen, solche kommunikativen Klammern, mit denen Kuhn den Spagat schaffen will, urgrüne Streitkultur nicht zu unterdrücken und den Grünen dennoch das Gesicht einer normalen, einheitlich auftretenden Partei zu geben.Zu den Grundsätzen der Verständigung, die sein wissenschaftlicher Ziehvater, der Augsburger Linguistikprofessor Hans-Jürgen Heringer vertritt, gehört für die öffentliche Rede eines Politikers: dass er durch seine Lebensgeschichte glaubwürdig ist (denn selten kann etwas ad hoc verifiziert werden), dass er sagt, was für seinen Partner "wichtig" ist, dass er "nicht mehr und nicht weniger" sagt als notwendig, dass er geordnet und ohne Umschweife (ohne Vagheiten) spricht und schließlich und vor allem: dass er, was gesagt werden muss, auch tatsächlich sagt. Wenn man sich diese Regeln vergegenwärtigt und dann Kuhn zuhört, ist es geradezu kurios, wie diszipliniert er sie verinnerlicht.Als Fischer wegen seiner Vergangenheit angegriffen wurde, hörte man von ihm keine Versuche, den komplexen und vielschichtigen Umständen und dem Kontext der damaligen Zeit seinerseits zu deuten. Für ihn ist das "eine Kampagne, und zwar eine der übleren Sorte". "Die Grünen sind gegründet worden, weil sie am Ende der 68er-Bewegung gesagt haben, der richtige Weg in der politischen Auseinandersetzung ist die Gewaltfreiheit." Originalität wäre Luxus, seine Äußerungen bleiben metaphernarm, oft sind sie dürr und abstrakt.Kuhn ist der unauffällige Libero, der hinter den Reihen die Übersicht behält und das Spiel strategisch neu aufbaut. Den nächsten Angriffszug hat er jetzt eingeleitet mit einem kalkulierten Konflikt um die Ökosteuer. Atomausstieg, klimapolitische Wende, ökologische Erneuerung der Gesellschaft - die Grundanliegen der Grünen sind darin ideal kondensiert. Selbst wegen der Atompolitik einst von den Jusos zu den Grünen gewechselt ("sei glaubwürdig"), hat Kuhn darin nicht nur das Thema, mit dem er sich einfach und trennscharf von der SPD absetzen und auf sie beziehen kann - sie hat ja dieselben klimapolitischen Ziele ("sprich ohne Umschweife und Vagheiten"). Das Thema ist auch ideal, um beide Flügel hinter der gemeinsamen Grundidee zu versammeln ("sag, was für deinen Partner wichtig ist"). Und schließlich tut die Ökosteuer jedem weh: "Sag tatsächlich, was gesagt werden muss."Ob er sich bei den Bauern schon bedankt hätte, hat ihn die taz kürzlich gefragt. "Für BSE jedenfalls nicht", entgegnete er den Reportern, die verblüfft waren, wie schnell er ihrer Frage die Spitze nahm: "Ich kenne doch die taz". Kuhn, den unterschätzen würde, wer meint, dass er so einfach denkt wie er spricht, wirkt manchmal ein wenig zu kontrolliert, um nicht zu sagen: verschlagen, was ihm den Ruf des "Strippenziehers" eingebracht hat. Das muss er wohl in Kauf nehmen. Solange jedenfalls wie bei den Grünen das Diktum des frühen, beinharten Logikers Wittgenstein eine pragmatische Wendung genommen zu haben scheint: dass man nur sagen könne, was der Fall ist: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."
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