Geschichte einer Abwesenden

JUNGE DRAMATIK Das Kleist-Preisträgerstück "A. ist eine Andere" von Andreas Sauter und Bernhard Studlar wurde in Chemnitz uraufgeführt

Es mag ja preisgekrönt und aktuell sein, eine Uraufführung dazu, die Massen wird das Stück nicht ansprechen. Als wüssten das die Chemnitzer Theatermacher schon genau, haben sie eigens einen Saal gezaubert: Ihr mutmaßlich kleines Publikum wird entführt durch ein Labyrinth - Geheimtür im Foyer, verwinkelter Gang, zwei Treppen herab, Tür, drei hinauf, allerlei Hindernis -, wird an der Hand genommen, sonst würde es sich verlieren. Dann schlüpft es durch den Vorhang in eine magische Tortenschachtel; die ist nach oben offen bis zum Schnürboden, dem Theaterfirmament. Man ist irgendwo und nirgendwo, adieu ostdeutsche Provinz.

Doch grüßt sie freilich, durch ihre unvergleichliche Ästhetik. Die Besucher haben sich um eine kreisrunde Scheibe geschart, jetzt als Drehbühne erkennbar, sie ist mit braun-beigem Amtsstubenmarmor belegt; drum herum Leinenstoff, mal rot, mal blau, in verwaschenen Schwaden wie schlecht gefärbte Unterhemden; darauf armbreite Ziertöpfe aus dem Plattenkombinat, hie und da wie in Parkanlagen, hingestreut zu einer Kraterlandschaft, einem Stalagmitenfeld des Überdrusses. Schön ist das nicht, schlecht aber auch nicht, als Bühne für die vier Angehörigen. Jetzt, wo sie auftreten, dreht sie sich, der Farbhorizont im Gegensinn, es schwindelt einen, und sie erzählen - wo?, jedenfalls nicht dort, wo sie bei sich sind - von der Geschichte einer Abwesenheit. A., die Selbstmord beging, hat ihnen ein Rätsel aufgenötigt. Und sie wissen nur dies: Für die sie sie hielten, die ist A. nicht.

Aus den Plattentöpfen wächst Bonsaigestrüpp - Pheres, der Vater von A., der in einem wenig elegant knitternden Anzug und grummelnd um sie kurvt, ist hier ein vergrämter Kleingärtner. A.'s Freund Gerd zeigt sich als in sich gekehrter Intellektueller. Zur Clique gehört auch Bongo, vergnügungssüchtig, prollig, ordinär und autogeil. Schließlich A.'s taffe Freundin Nina, die pragmatisch zupacken kann und sich durchsetzt. So jedenfalls zeigt es die Inszenierung: vier laute Charaktere, die sich immer deutlicher ausstellen, während der Anlass, A.'s Verschwinden, vorgetragen im Wechsel gerichtet ans Publikum oder in Erinnerungsspots, im Hintergrund zunehmend verblasst. Konsequent in dieser Perspektive ist das Erscheinen von A. selbst: Sie, die eigentlich Abwesende, sagt wenig in den Rückblenden. Doch ist sie, als wandelnde Salzsäule zwischen den Stalagmiten, stets auch stumm im Bild so gegenwärtig, dass sie den dicken Auftritten der andern Vier jederzeit Paroli bietet - ein hübscher Einfall der Regie (Bettina Jahnke).

Doch eben weil sie die Figuren herausmeißelt, Charaktertheater bietet, geht verloren, was das Stück doppelbödig macht: dass diese Vier so mühelos miteinander quasseln, - der Vater mit dem Freund, die Freundin mit dessen Freund oder der wieder mit dem Vater aus der 68er-Generation, die den Abstand nie brauchte. Dass sie sich darin ähnlich sind: dass im Gerede A. nicht da ist, doch auch nicht wirklich weg. Es ist das Man des Alltags heute, in dem der Tod banal und das memento mori fremd ist; in dem Ersatzriten die tradierten allenfalls linkisch nachäffen und ihr Verlust nicht ins Gewicht fällt.

Dies Man wird von den Nachwuchsdramatikern Andreas Sauter und Bernhard Studlar mit leichter Hand notiert. Sie erhielten dafür den mit 15.000 DM dotierten Kleist-Förderpreis für Junge Dramatik, der zugleich die Uraufführung garantierte - wohl der wichtigste Nachwuchspreis, der im schwierigen Feld neuer Dramen Erfolge verbucht. In der Vergangenheit ausgezeichnete Stücke wie Feuergesicht von Marius von Mayenburg und Legoland von Dirk Dobbrow gehörten schnell zu den meistgespielten an deutschen Theatern. Auch A. ist eine andere steht schon auf dem Spielplan zweier weiterer Bühnen, wo die unheimliche Nicht-Präsenz und Nicht-Identität einer Abwesenden dann die Chance haben wird, auch szenisch umgesetzt zu werden.

In Chemnitz dagegen huldigte man einer Abwesenheit der handfesteren Art. Der Bühnenkreis war leer, der magische Ort verlassen, die Eingeweihten machten sich ans Feiern. Da floh das Personal, wohin die Dame von der Öffentlichkeitsarbeit ihm vorausgeeilt war: ins Wochenende.

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