Geheime Duftbotschaften

Pheromone Vor 50 Jahren wurde der Sexuallockstoff der Motten entdeckt: Pheromone. Heute weiß man eine ganze Menge mehr. Doch wie werden Menschen durch chemische Signale beeinflusst?

Das Grauen kommt aus dem Meer: In Frank Schätzings Roman Der Schwarm verbreitet eine geheimnisvolle maritime Lebensform, die Yrr, Angst und Schrecken in der Welt. Die mörderische Kraft dieser gallertartigen Wesen liegt in ihrer effizienten Kommunikation: Die Einzeller verständigen sich mit Hilfe chemischer Botenstoffe, so genannter Pheromone, wodurch es ihnen gelingt, sich zu gigantischen Verbänden zusammenzuschließen. Im Startrek-Universum sind es grünhäutige, menschenähnliche Spezies vom Planeten Orion, die über wirkungsvolle Pheromone verfügen, um damit Männer zu manipulieren. Auch in Steven Soderberghs Ocean’s 13 vollführen chemische Lockstoffe ihren Zauber, wenn Matt Damon als Linus Caldwell die schöne Assistentin von Willy Bank verführt.

Die mutmaßlichen Wundermoleküle beflügeln nicht nur die Phantasie von Roman- und Drehbuchautoren. Clevere Parfümhersteller haben in ihnen ein gewaltiges Verkaufspotential entdeckt. Im Angebot stehen allerlei Duftwässerchen, Duschgels, Cremes und Lotions, um dem Liebesglück chemisch ein wenig nachzuhelfen.

Der Haken an der Sache: Während im Tier- und Pflanzenreich die Wirkung von Pheromonen bewiesene Sache ist, wurde bislang noch keine einzige chemische Verbindung zweifelsfrei als menschliches Pheromon enttarnt. „Die Forschung steht hier noch ganz am Anfang“, erklärt Tristram Wyatt, Pheromonspezialist an der Universität Oxford.

Signale und Störsignale

50 Jahre ist es nun her, dass der deutsche Biochemiker Adolf Butenandt, das erste Pheromon entdeckte. Aus Weibchen des Seidenspinners Bombyx mori isolierte er jenen Sexuallockstoff, der die Männchen des Schmetterlings zu Schwirrtänzen anregt, das Bombykol. Im gleichen Jahr prägten der Chemiker Peter Karlson und der Zoologe Martin Lüscher gemeinsam den Begriff „Pheromone“. Die Wortschöpfung ergibt sich aus dem altgriechischen pherein, was soviel heißt wie „überbringen“, und hormon für „erregen“ oder „antreiben“. Damit sind chemische Substanzen gemeint, die Lebewesen nach außen absondern, um bei Artgenossen eine Verhaltensreaktion auszulösen. Anders als Hormone, die innerhalb von Organismen Informationen weiterleiten, agieren Pheromone also als Botenstoffe zwischen verschiedenen Individuen.

Seit jenem Pionierjahr 1959 hat sich viel getan: Hochempfindliche Analysetechniken haben Forschern die Sache leichter gemacht. Wo einst noch 500.000 Drüsen weiblicher Seidenspinner nötig waren, genügt heute ein einziger Falter. Mit hochsensiblen Messgeräten lässt sich in Echtzeit verfolgen, wenn etwa eine in Bedrängnis geratene Blattlaus chemische Alarmsignale aussendet. Im Mini-Hirn von Bienen kann man dank molekularbiologischer Verfahren sogar verfolgen, wie Gene unter Pheromoneinfluss ein- und ausgeschaltet werden.

Heute wissen wir, dass Pheromone in der gesamten Tierwelt eine zentrale Rolle spielen. Mit einer winzige Portion Chemie sind Lebewesen in der Lage, vor Gefahr zu warnen, Nahrungsquellen zu markieren, Grenzen abzustecken oder Geschlechtspartner herbeizulocken. „Kaninchenbabys finden mit Hilfe von Pheromonsignalen innerhalb weniger Sekunden die Zitzen des Muttertieres“, berichtet Zoologe Wyatt. Bei Schweinen sorgt ein Duftstoff im Eberspeichel dafür, dass die Sau reflexartig in eine so genannte Duldungsstarre verfällt und sich besamen lässt.

Bei Insekten ist die Forschung besonders weit: Allein bei der Honigbiene sind inzwischen Dutzende chemischer Substanzen bekannt, die sie aus ihren vielen Drüsen in Form buntester Mixturen versprühen kann. Manche Stoffe nutzen Imker bereits, um ihre Bienenvölker im Zaum zu halten. Auch bei anderen staatenbildenden Insekten dienen Pheromone der Kommunikation. Von Termiten etwa weiß man, dass Pheromone die Kastenzugehörigkeit festlegen.

Bei Fruchtfliegen hat ein Team der Universität Münster und der amerikanischen Harvard Medical School neulich Liebesbotschaften von zweifelhaftem Charme entschlüsselt: Sie fanden heraus, dass die Fliegenmännchen ihre Weibchen bei der Begattung mit Pheromonen „einparfümieren“, um sie für künftige Bewerber unattraktiv zu machen. Mit dem chemischen Keuschheitsgürtel verhindern die Männchen für einige Tage, dass sich die Weibchen nochmals paaren. Sie sichern so womöglich die ungestörte Weitergabe ihrer Erbanlagen an die Nachkommen.

Landwirte, Förster oder Weinbauern bedienen sich längst der chemischen Lockstoffe, um umweltschonend Schädlinge zu bekämpfen. So werden Borkenkäfer mit pheromonbestückten Fallen aus dem Gefecht gezogen. Winzer setzen im Kampf gegen den gefräßigen Traubenwickler Ampullen mit weiblichen Sexuallockstoffen ein: Die Duftwolke verwirrt die Schmetterlingsmännchen so sehr, dass sie nicht mehr in der Lage sind, paarungswillige Weibchen zu finden.

Täuschungsmanöver sind auch in der Natur gängige Praxis: So ahmen etwa die Blüten bestimmter Orchideen die Sexuallockstoffe weiblicher Wespen nach, um die Wespenmännchen zur Bestäubung herbeizuködern. Raubwanzen können den chemischen Code von Ameisen imitieren, um diese in die Falle zu locken.

Während in der Tierwelt die Pheromone gut erforscht sind, tasten die Wissenschaftler beim Menschen noch ziemlich im Dunkeln. Daran ist nicht zuletzt ein hartnäckiges Dogma schuld: Lange nämlich glaubte man, dass Säugetiere Pheromone nur mithilfe eines speziellen Riechorgans erschnüffeln können, das sich in der Nasenscheidewand befindet. Dieses so genannte Jacobson-Organ oder vomeronasales Organ wird im menschlichen Fötus zwar angelegt, es bildet sich aber noch vor der Geburt zurück. Weil der Mensch kein funktionierendes Jacobson-Organ besitzt, waren viele Neurowissenschaftler der Meinung, dass es auch keine humanen Pheromone geben kann.

Eine chemische Romanze

Inzwischen weiß man, dass die Arbeitsteilung zwischen Nase und Jacobson-Organ keineswegs strikt ist: Schweinesäue, bei denen das Jacobson-Organ deaktiviert wurde, reagierten weiterhin auf das Eber-Pheromon Androstenon. Die Harvard-Neurobiologin Catherine Dulac konnte zeigen, dass bei Mäusen bestimmte Sexuallockstoffe über das gewöhnliche Riech-Epithel und nicht über das vomeronasale Organ wahrgenommen werden. Für Wyatt ist die Sache damit klar: „Wir Menschen brauchen kein vomeronasales Organ, um Pheromone zu detektieren.“

Dass die Forscher bei Humanpheromonen hinterhinken, liegt aber auch in der menschlichen Natur begründet. Der Neocortex, der entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil unseres Gehirns, befähigt uns zum Planen, Abwägen und Zweifeln. Er fungiert als Kontrollinstanz der Triebe und Impulse. Chemische Reize führen bei uns nicht unbedingt zu reflexartigen Reaktionen. Das macht den Nachweis von Pheromonwirkungen schwierig. Hinzu kommt: Mit ein bisschen Schnüffeln ist es bei uns nicht getan. Wir reagieren stark auch auf visuelle Reize: Das strahlende Lächeln eines George Clooney oder der Waschbrettbauch eines Daniel Craig wirken stärker auf das Gehirn der weiblichen Fans als alle Geruchswahrnehmungen.

In einem Punkt sind sich die Forscher einig: Unsere Nase ist in der Lage, eine große Bandbreite chemischer Signale zu erkennen. Besonders deutlich nehmen wir den Geruch von Schweiß wahr. Er enthält nicht nur die eigentlichen Sekrete der Schweißdrüsen, sondern auch bakterielle Abbauprodukte. Damit entsteht ein charakteristisches Stoffgemisch, das je nach Alter, Geschlecht, Erbanlagen, Hormonspiegel unverwechselbar ist. Wyatt nennt es Signatur-Geruch.

Der schnupperbare Fingerabdruck enthält unter anderem Informationen unseres Immunsystems. Der Schweizer Zoologe Claus Wedekind konnte in einem legendären Schnuppertest zeigen, dass Frauen normalerweise Gerüche von Männern bevorzugen, die ihnen immunologisch am wenigsten ähnlich sind. Offenbar steuert unsere Nase die Partnerwahl, indem sie uns verwandte Immunsysteme meiden lässt. Sie fungiert als natürliche Inzestschranke. Beobachtungen aus dem Tierreich stützen Wedekinds Befunde: Auch von Fischen und Mäusen weiß man inzwischen, dass sie die Immunausstattung ihrer Artgenossen erschnuppern können. Im Blickpunkt der Forscher steht der so genannte Major Histocompatibility Complex, kurz MHC. Dieser ist genetisch codiert und individuell verschieden. Eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg hat bereits spezielle ­Nervenzellen in der Nase von Mäusen gefunden, die auf immuntypische Eiweiß-Bruchstücke im Duftbouquet des Nagers ansprechen.

Bei Signatur-Gerüchen handelt es sich gleichwohl nicht um Pheromone: Anders als unsere persönlichen Körperdüfte sind Pheromone bei allen Individuen einer Spezies völlig identisch. Sie rufen schon in kleinsten Mengen zuverlässig immer dieselbe physiologische Reaktion hervor – die Kopplung von Pheromon-Signal und Verhalten ist angeboren. Die Bewertung eines Dufts muss hingegen erlernt werden.

Dass auch wir auf Pheromone reagieren – wahrscheinlich ohne bewusst etwas zu riechen – lassen andere Beobachtungen vermuten. Ein Experiment der amerikanischen Psychologin Martha McClintock gilt – trotz vielfach kritisierter methodischer Mängel – immer noch als Klassiker: Sie stellte in den siebziger Jahren fest, dass sich bei Frauen, die auf engstem Raum zusammenleben, die Menstruationszyklen angleichen. Mit dem Schweiß ausgedünstete Substanzen sollen dafür verantwortlich sein.

Vor wenigen Jahren gelang dann anderen US-Forschern ein eindrucksvolles Experiment: Sie tupften Probandinnen Schweißextrakte von Männern auf die Oberlippe und provozierten eindeutig eine physiologische Reaktionen: Bluttests zeigten gestiegene Konzentrationen eines Hormons, das an der Steuerung des weiblichen Zyklus beteiligt ist. Damit schien der Einfluss männlicher Pheromone auf den Hormonhaushalt der Frauen bewiesen.

Sollte es jemals gelingen, die zuständigen Pheromone chemisch dingfest zu machen, wären bahnbrechende medizinische Anwendungen vorstellbar: „Es könnte sich der Weg zu einer ganz neuen Klasse von Verhütungsmitteln öffnen“, prophezeit Tristram Wyatt.

Pheromone scheinen aber auch auf andere Weise Emotionen beim Menschen auszulösen: Das New Yorker Forscherteam um Lilianne Mujica-Parodi beobachtete, dass der Angstschweiß von Menschen, die unter Stress stehen, im Gehirn ahnungsloser Probanden ebenfalls Stressreaktionen auslöst. Die Studie wurde gerade in der freien, aber begutachteten Online-Fachzeitschrift PLoS ONE veröffentlicht. Sie legt nahe, dass Angst über so genannte Alarmpheromone auf andere übertragbar, sozusagen ansteckend, ist.

Das Rätselraten um menschliche Pheromone ist aber noch lange nicht vorbei. „Die physiologischen Effekte sind bekannt, aber die verantwortlichen Moleküle wurden bis heute noch nicht identifiziert“, erklärt Duftexperte Wyatt. „Wir haben einfach zuviele Kandidaten.“ Der Achselschweiß enthält wahrscheinlich über 1.000 verschiedene Moleküle, erklärt er. Ob diese jeweils einzeln oder in Mischungen agieren, ist bis heute nicht geklärt. Als heißer Kandidat gilt immerhin Androstadienon, das auch in den Phero-Parfüms zu finden ist, die man schon kaufen kann. Bei Frauen soll es die Stimmung aufhellen und manche Körperfunktionen beeinflussen. Umstritten bleibt aber, ob es beim Menschen als echtes Pheromon wirkt oder lediglich den normalen Geruchssinn anspricht.

In einem jedoch ist sich Wyatt sicher: „Es gibt keinen Zaubertrank, der sich in Flaschen füllen lässt.“ Wenn mancher Schürzenjäger beharrlich auf den käuflichen Zauber seines Pheromon-Dufts schwört, dann gibt es dafür eine simple Erklärung: „Diese Produkte vermitteln Selbstsicherheit und haben daher einen guten Placebo-Effekt“, amüsiert sich Wyatt, „und das bringt Erfolg.“

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