Ein Pumuckl unter Raben

Neuseeland "Kiwis" gelten in Kleidungsfragen als praktisch orientiert. Jennifer Looman möchte ihre Landsleute zu Stil und Eleganz erziehen und bietet Führungen durch Wellingtons Modeszene an

Den neuseeländischen Frauen mangele es an Eleganz, urteilte einst der französische Botschafter in Wellington. Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, fügte er hinzu, dass sie sich wie Soldaten kleideten und auch so marschierten. Das saß. Noch heute erzählt man im Inselstaat im Südpazifik von diesem Affront. Es lässt sich nicht genau sagen, was das Verhältnis der Neuseeländer zu den Franzosen mehr erschütterte: das Versenken des Greenpeace-Schiffes „Rainbow Warrior“ durch den französischen Geheimdienst im Hafen von Auckland oder die Impertinenz des Diplomaten.

Ganz daneben lag er aber nicht. Der Kleidungsstil in Neuseeland lässt sich nicht zwingend als schick bezeichnen. Bequemes Schuhwerk, Allzweckhosen und windfeste Jacken dominieren das Straßenbild. Gerade Männer neigen zur Hemdsärmeligkeit. Wenn die Angestellten am Ende ihres Arbeitstages aus den Büros strömen, wird der casual look durch klassische Ensembles in dunklen Tönen ergänzt. Doch jenseits dieses modischen Understatements, mit dem die britisch geprägten Neuseeländer auf Nummer sicher gehen, gibt es eine kreative Szene, die auf Farbe, Fantasie und Nachhaltigkeit setzt.

Eine Botschafterin in Sachen Eleganz und Stil ist Jennifer Looman. Täglich außer sonntags führt die 45-Jährige Besucher auf ihrer „City-of-Style“-Tour durch Wellington. Wie ein energiegeladener Pumuckl unter lauter schwarzen Raben wirbelt sie einen durch die Hauptstadt am südlichen Zipfel der Nordinsel. Denn die Farbe ihrer Wahl ist Rot. Looman wählt diesen satten Ton für ihre Kleidung, Lippen und Haare. 2005 startete sie ihre Agentur; ein Mann und zwei Kinder und die Hühner im Vorgarten, das war ihr nicht genug. „Ich wollte was zu tun haben“, erzählt sie, während sie mit forschem Schritt durchs Stadtzentrum führt. Neben ihrer Shopping-Tour hat sie auch die Verkostung von Bier und Schokolade im Programm. „Manchmal hab ich das Gefühl, ich esse und trinke für mein Land“, bringt sie die angenehme Seite ihres Jobs auf den Punkt. Sie öffnet mit einladenden Gesten die Pforten zu den Geschäften, die stylische Produkte made in New Zealand präsentieren.

Unser erster Stopp ist „The Vault“, ein Geschenkartikelladen für Besserverdienende. Hier gibt es die Naturkosmetik von Margaret Hema zu kaufen. Der Ruf der Serie auf Basis essenzieller Öle reicht bis nach Hollywood, seitdem die Schauspieler aus dem Film Herr der Ringe die Produkte während der Dreharbeiten in Neuseeland für sich entdeckten. Da Hema eine gute Freundin von Stadtführerin Looman ist, besuchen wir sie kurz in ihrem nahe gelegenen Studio. Die Aromatherapeutin macht gerade Mittagspause. So plaudern wir über ihren Arbeitsalltag, der ihr so prominente Kundschaft eingebracht hat.

Heimwehkranke Weltstars

Widerstrebend lässt sich Hema eine Anekdote über die Stars Elijah Wood und Liv Tyler aus der Nase ziehen. Die zierliche Dame wahrt allerdings Diskretion, viel mehr, als dass die beiden heimwehkrank waren, gibt sie nicht preis. Bald verlassen wir ihren gemütlich eingerichteten Salon, denn Haute Couture aus Samt und Seide steht als Nächstes auf unserem dreistündigen Programm.

Wir betreten ein Boudoir-ähnliches Etablissement mit roten Wänden und Sesseln, großen Spiegeln und schmeichelnder Beleuchtung. „Hier gehen die echten Fashionistas hin“, erklärt Looman. Viviana Pannell, die das Label Basquesse führt, hat ursprünglich Wirtschaft studiert und später ihre Berufung zur Modeschöpferin entdeckt. Sie erzählt voller Tatendrang, dass ihre Boutique bald Ableger in Sydney und Melbourne bekommen soll. Viele Designer versuchen, den australischen und asiatischen Markt zu erobern, denn die Wachstumsmöglichkeiten in Neuseeland sind angesichts von vier Millionen Einwohnern doch begrenzt. Aber das ist ein abstraktes Zahlenspiel. Greifbar sind die Stoffe der neuen Sommerkollektion von Basquesse – auf der Südhalbkugel beginnt jetzt gerade der Frühling.

Viviana ließ sich von dem katalanischen Architekten Gaudí inspirieren und spielt mit vibrierenden Tönen auf leichter Textur von Seidencrepe und -leinen. Erschwinglich ist das alles für Frauen mit gepolstertem Bankkonto und Mut zur Extravaganz. Gerade an Letzterem, sagt Jennifer, fehle es nur leider oft in ihrer Heimatstadt. Die Designerinnen greifen trotzdem unverdrossen geschmacksverstärkend in den Farbtopf. Frauen wie Stadtführerin Looman danken es ihnen. Sie ist begeistert von den Kreationen, fährt immer wieder mit der Hand über die Stoffe, eine treue Kundin.

Ein paar Häuser weiter, in dem klar strukturierten Verkaufsraum der Designerin Robyn Mathieson, finden sich auf der Farbpalette Tomate, Kirsche und Blaubeere, aber auch die bewährten gedeckten Töne. Mathieson experimentiert mit Raffung und Knoten: Ihre Kleider lassen sich unterschiedlich drapieren. Dadurch entsteht ein neuer, speziell auf die Trägerin abgestimmter Look.

„Jeder ist besonders“, das ist auch Loomans Philosophie. Ihre Kundinnen sollen beim Flanieren durch die Geschäfte das Gefühl bekommen, mit einer Freundin unterwegs zu sein. Mit einer, die sich besonders gut auskennt. „I’m the local buddy“, umreißt Jennifer ihre Rolle. Think local, mag sich auch Laurie Foon gedacht haben, als sie nach einem Aufenthalt in Europa enttäuscht vom elitären Modezirkus in ihre Heimat Wellington zurückkehrte. Anfang der Neunziger eröffnete sie ihren ersten Shop. Einige Zeit später folgte die Gründung ihres Labels Starfish. Streetstyle hängt auf den Kleiderbügeln in den sparsam dekorierten Geschäft, das wir zum Schluss betreten. Die Kapuzenjacken, bedruckten Shirts und weißen Sneakers – allesamt fair trade und organic produziert – würden den Geschmack des französischen Botschafters, der über das burschikose Auftreten neuseeländischer Frauen lästerte, vermutlich nicht treffen. Aber über einen Mangel an fantasievoller Mode aus diesen Breitengraden könnte er nicht klagen. Jetzt müssen die Frauen sich nur trauen, diese auch so elegant wie Modebeaufragte Looman in aller Öffentlichkeit zu präsentieren.

Klamotten für Kiwis

Die Mode- und Textilindustrie spielt im Vergleich zu Land- und Forstwirtschaft sowie Tourismus in der neuseeländischen Handelsbilanz eine marginale Rolle. In den vergangenen drei Jahren sind die Exporte in diesem Bereich aber um jeweils zehn Millionen NZ-Dollar gestiegen. 70 Prozent der Ausfuhren gehen nach Australien.

Starfish, 1993 von Laurie Foon gegründet, benutzt recycelte Materialien, z.B. Knöpfe und Schnallen, favorisiert umweltfreund-liche Verfahren bei der Verarbeitung und lässt größtenteils bei regionalen Firmen produzieren.

City of Style-Tour, 125 NZD, ca. 60 Euro.

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