Kanal zehn, eines von Israels drei Fernsehprogrammen, strahlte vor Tagen einen Bericht aus, der gewiss viele in Schrecken versetzt hat. Sein Titel: "Wer organisiert den Hass gegen Israel?" Gezeigt wurden Dutzende von Gruppen aus verschiedenen Ländern, die eine rigorose Propagandakampagne für die Palästinenser und gegen Israel betreiben.
Die Aktivisten – viele von ihnen Juden – demonstrieren in Supermärkten gegen die Produkte israelischer Siedlungen in der Westbank oder aus Israel selbst, sie mobilisieren Gewerkschaften und erheben Klage gegen israelische Politiker und Generäle. Laut Reportagetext ist dafür gar kein weltweites Netzwerk nötig, es würden überall pro-palästinensische und anti-israelische Gefühle auftauchen, erst recht nach dem Kapern der Gaza-Hilfsschiffe. An vielen Orten gebe es Allianzen zwischen linken Menschenrechtsorganisationen und Gruppen muslimischer Immigranten. Dies bringe großen Gefahren für Israel, man müsse etwas dagegen tun, bevor es zu spät sei.
David oder Goliath
Welchen Einfluss hatte dieser Bericht auf den durchschnittlichen Israeli? Ich wünschte, sicher sein zu können, dass er dazu veranlasst, noch einmal über die Rentabilität der Besatzung nachzudenken. Wie einer der interviewten Aktivisten in der Reportage sagte: die Israelis müssen verstehen, dass die Besatzung ihren Preis hat.
Ich fürchte, die Wirkung dieser Sendung fällt ganz anders aus und bedient die Überzeugung, „die ganze Welt ist gegen uns“. Dies wurzelt tief in unserer nationalen Psyche und versetzt uns in die Lage, die Reaktionen auf unser Verhalten zu ignorieren, was sehr praktisch ist. Wenn uns die Welt hasst, spielt die Art unserer Taten, ob sie gut oder schlecht sind, keine Rolle. Man wird Israel hassen, selbst wenn die Israelis Engel wären. Die Gojim (Nicht-Juden – die Red.) sind eben Antisemiten.
Es ist leicht zu zeigen: auch dies stimmt nicht. Die Welt liebte uns, als wir den Staat Israel gründeten und ihn mit unserem Blut verteidigten. Sie applaudierte uns unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg, sie schätzte uns, als wir David waren – sie hasst uns, wenn wir Goliath sind. Dies überzeugt die Leute von Die Welt ist gegen uns freilich nicht. Sie fragen, warum gibt es keine globale Bewegung gegen die Brutalitäten Russlands in Tschetschenien? Warum verdienen die Palästinenser mehr Sympathie als die Kurden in der Türkei? Man könnte antworten, da Israel in allem einen besonderen Status verlange, werden wir nach besonderen Standards gemessen, wenn es um Besatzung und Siedlungen geht. Es ist der nationale Mythos, der zählt. Die drittgrößte Tageszeitung Ma’ariv veröffentlichte gerade eine Geschichte über unsere Botschafterin bei der UNO unter der enthüllenden Überschrift: Hinter der Feindlinie.
Ich erinnere mich an einen Zusammenstoß mit Golda Meir in der Knesset. So wie jetzt gaben die Leute unserer „fehlerhaften Aufklärung“ alle Schuld. Ein Parlamentarier nach dem anderen beschwor das übliche Klischee: die arabische Propaganda ist brillant, unsere unter aller Kritik. Als ich an der Reihe war, sagte ich: Die beste Aufklärung der Welt kann Besatzung und Siedlungen nicht retuschieren. Wenn wir um die Sympathie der Welt werben wollen, sind es nicht unsere Worte, die sich ändern müssen, sondern unsere Taten.
Während der Debatte stand Golda Meir, wie es ihre Gewohnheit war, an der Tür des Plenums und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Am Ende antwortete sie jedem Redner, ignorierte aber meinen Auftritt, bis sie sich nach einer dramatischen Pause an mich wandte: „Der Abgeordnete Avnery denkt, sie hassen uns wegen der Dinge, die wir tun. Er kennt die Gojim nicht. Die lieben die Juden, wenn sie geschlagen werden und es ihnen schlecht geht. Sie hassen die Juden, wenn sie siegen und erfolgreich sind.“ Wenn Klatschen in der Knesset erlaubt wäre, hätte es donnernden Applaus gegeben. Es besteht die Gefahr, dass der augenblicklich weltweite Protest genau die gleiche Reaktion auslöst: dass sich Israel gegen die bösen Gojim statt gegen die Siedler vereint.
Einigen der Protestgruppen dürfte das völlig gleichgültig sein. Ihre Aktionen sind nicht an unsere Öffentlichkeit gerichtet, sondern an die internationale. Ich meine nicht die Antisemiten, die auf dieser Welle schwimmen. Ich meine auch nicht jene, die glauben, Israel zu gründen, sei ein historischer Fehler gewesen. Mir geht es um all die Idealisten, die ein Ende des Landraubes durch die Siedler herbeiführen und den Palästinensern helfen wollen, ihren Staat Palästina auszurufen.
Dies kann nur durch Frieden zwischen Palästina und Israel erreicht werden. Den aber wird es nur geben, wenn ihn die Mehrheit der Palästinenser und Israelis unterstützt – Druck von außen genügt nicht. Jeder, der dies versteht, muss an einem Protest interessiert sein, der die israelische Öffentlichkeit nicht in die Arme der Siedler treibt, sondern dieselben isoliert.
Nur wie? Zunächst einmal wäre klar zwischen dem Boykott der Siedlungen und einem allgemeinen Boykott gegen Israel zu unterscheiden. Der erwähnte Fernsehreport macht klar, dass viele der Protestierenden diese Grenze nicht kennen. Man sah eine Britin mittleren Alters in einem Supermarkt, die einige Früchte über ihrem Kopf schwenkte und rief: „Dies kommt aus einer Siedlung!“ Es folgt der Aufruf zum Boykott aller israelischen Produkte. Vielleicht waren sich die Macher dieses Films des Unterschieds nicht bewusst.
Komplott des Schweigens
Wenn der Weltprotest klar gegen die Siedlungen gerichtet ist, wird er vielen Israelis deutlich machen, dass es eine Trennlinie gibt zwischen dem legitimen Staat Israel und der illegitimen Besatzung. Sie sagen in ihrer Mehrheit, sie wollten den Frieden und seien bereit, einen Preis dafür zu zahlen – leider wollten die Araber keinen Frieden. Das große Friedenslager, das einmal Hunderttausende auf die Straßen schickte, kann nicht widersprechen. Es verfiel der Depression und Isolation, auch ist seine Verbindung mit den Palästinensern sehr locker geworden.
Aber wenn man das Ende der Besatzung beschleunigen will, muss man den Friedensaktivisten in Israel helfen und das Komplott des Schweigens ihnen gegenüber aufgeben. Es wäre schön, wenn auf je zehn Milliardäre, die Israels extreme Rechte finanzieren, wenigstens ein Millionär käme, der Friedensaktionen unterstützt. All dies ist nicht möglich, wenn man zum Boykott aller Israelis aufruft. So wird ihr Staat zum Monster erklärt. Dieses Bild ist nicht nur falsch – es schadet auch sehr.
Uri Avnery ist Schriftsteller und war von 1965 bis 1969 und 1977 bis 1981 Knesset-Abgeordneter
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.