Der Mann mit der langen Zunge

Israel Einst legte Frankreich den Grundstein des Atomprogramms, danach gab es Mordechai Vanunu und natürlich jede Menge "Missverständnisse"

Darf ich vorstellen: Shimon Peres, der sich stolz als Vater der israelischen Atombombe - Verzeihung - der Atomoption - ausgibt.

Das war so: Mitte der fünfziger Jahre kam es zu einem Aufstand in Algerien. Wie alle Kolonialherren, leugneten die Franzosen, dass dies ein Freiheitskampf sei. Algerien war doch ein Teil Frankreichs, folglich musste die Unruhe von außen kommen. Doch woher? Man entschließt sich, dem geächteten ägyptischen Diktator Gamal Abd-al-Nasser die Schuld zu geben und fragt sich, was geschehen könne, um dessen Treiben ein Ende zu setzen.

Sehr einfach. Man bittet Israel, in Ägypten einzufallen, und marschiert selbst dort ein, um den Suezkanal zu "beschützen". Nasser wird sich wehren. Wir schlagen ihn zusammen. Die Ägypter werden ihn hinauswerfen. Algerien bleibt französisch. Happy End.

Es kam anders. Die Israelis fielen zwar in Ägypten ein, französische und britische Truppen landeten in Port Said, und die Ägypter wehrten sich. Dann aber drohte die Sowjetunion mit Atomwaffen - als sich die USA dem Ultimatum anschlossen, trat Israel den Rückzug an. Nasser wurde zum Helden der arabischen Welt. Ein paar Jahre später war Algerien frei und unabhängig.

Der Mann, der das israelisch-französische Komplott vermittelt hatte, war Direktor des Verteidigungsministeriums in Tel Aviv und hieß Shimon Peres. Als Gegenleistung versprachen ihm die Franzosen den Bau eines Kernkraftwerkes, das seine Betreiber auch in die Lage versetzen sollte, Atomwaffen zu bauen.

Anfangs lief das Unternehmen unter dem Code "Textilfabrik", aber die US-Geheimdienste wussten, was es war. Peres versprach Präsident Kennedy: "Der Staat Israel wird nicht der Erste sein, der Atomwaffen im Nahen Osten einführt." Ein Einfall des Augenblicks, aber diese Formel blieb bis heute offizielle israelische Propaganda. Die nuklearen Angelegenheiten blieben "unklare", "zweideutige" Angelegenheiten. Die Amerikaner waren damit zufrieden und schwiegen, sie waren die alleinigen Schirmherren der Israelis, nachdem die sich im Sechs-Tage-Krieg von 1967 endgültig mit Charles de Gaulle überworfen hatten.

Die Rache war hart

Darf ich vorstellen: Mordechai Vanunu - "Atomverräter". Er arbeitete im Kernkraftwerk in Dimona. Keiner interessierte sich für ihn, er war nur ein kleiner Techniker, außerdem stammte er aus Marokko, und auf Marokkaner sieht man in Israel herab. Besonders in einem Werk, in dem es nur so von Wissenschaftlern europäischer Herkunft wimmelt.

So merkte keiner, dass im allergeheimsten Ort Israels dieser unbefugte Angestellte herumspazierte und nach Belieben fotografierte. Erst als Vanunus Fotos in Großbritannien veröffentlicht wurden, merkte man, dass etwas völlig Unglaubliches passiert war.

Die Rache war hart: Vanunu wurde von einer blonden Dame nach Rom gelockt und von dort nach Israel entführt. Er saß mehr als zwölf Jahre in totaler Isolierung und behielt seinen Verstand nur, weil er sich sein einziges Buch - eine englische Ausgabe des Neuen Testaments - jahrelang laut vorlas. So lernte er auch Englisch. Schon vorher war dieser Sohn orthodoxer jüdischer Eltern erst Buddhist, dann evangelischer Christ geworden. Nach 18 Jahren ließ man ihn frei - aber Vanunu darf Israel bis heute nicht verlassen. Dank seiner Enthüllungen zogen Experten den Schluss, dass Israel schon in den achtziger Jahren 200 Atombomben besaß - inzwischen müssten es 400 sein.

Vanunus große Frage war: Warum so viele? Hätten eine oder zwei nicht genügt?

Ein Statussymbol

Darf ich vorstellen: Mahmud Achmadinedschad, Präsident und Großtuer. Er könnte Vanunus Frage beantworten.

Iran will Atombomben haben und ist auf dem Wege, sie auch zu bekommen. Es sieht nicht so aus, als ob das verhindert werden könnte. Westliche Diplomaten, auch deutsche, reden viel über Sanktionen, aber es steckt, wie die jüngsten Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat zeigen, nicht viel dahinter.

Wenn jemand heimlich Atomwaffen haben will und Jahre braucht, sie zu produzieren, sollte er schweigen. Wie seinerzeit Israel. Achmadinedschad kann alles - nur nicht schweigen. Er muss Reden halten. Israel muss vom Erdboden verschwinden. Den Holocaust und die Millionen Toten (darunter all meine Verwandten) habe es so nie gegeben.

Es sieht auch ganz logisch aus: Um Israel zu vernichten, braucht man Kernwaffen. Israel ist klein, ein paar Atombomben würden genügen. Achmadinedschad gibt Israel den allerbesten Vorwand, seine Kernwaffen zu behalten. Doch was denken die Iraner wirklich? Robert Gates, der neue amerikanische Verteidigungsminister, erklärte öffentlich: Iran ist von Ländern mit Kernwaffen umgeben - Pakistan im Osten, Russland im Norden, Israel im Westen, die US-Flotte im Süden. Man kann hinzufügen: der Iran möchte eine regionale Großmacht im Nahen und Mittleren Osten sein. Atomwaffen sind ein Statussymbol.

Das stimmt wahrscheinlich. Achmadinedschad ist Präsident, doch nicht er bestimmt die Politik. Es sind die schweigenden schiitischen Geistlichen im Hintergrund, denen die wirkliche Macht im Iran übertragen ist. Sie sind vorsichtig, haben mit Israel auch schon Geschäfte gemacht und könnten kalkulieren: Wird Iran eine Atommacht, bedeutet das gegenseitige Abschreckung, die wiederum für Frieden zwischen Iran und Israel sorgt.

Nur das beruhigt die Israelis nicht. Sie glauben, die Kernwaffen seien die einzige Versicherung für ihren Staat. Außer einem winzigen Kreis, spricht keiner von atomarer Abrüstung. In einer israelischen Karikatur steht Achmadinedschad auf der Bombe und erklärt: "Es gab keinen Holocaust - bis jetzt!"

Um den Iranern nicht zu helfen, ihre atomare Aufrüstung zu rechtfertigen, will die israelische Regierung die "Unklarheit" beibehalten. Darum hat sich Ehud Olmert auch entschuldigt. Es handelte sich bei seiner Bemerkung über die israelischen Kernwaffen jüngst nur um ein Missverständnis. Olmert ist ein Mann mit der langen Zunge. Die Zunge ist sein stärkstes Organ. Er redet gern und oft. So oft, dass er - wie es scheint - nicht genügend Zeit hat, um nachzudenken.


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