In dieser letzen Woche des Jahres erlebte ich eine Stunde der Entspannung. Ich war auf dem Nachhauseweg, nachdem ich William Polks neues Buch über den Iran abgeholt hatte. Ich bewundere die Weisheit dieses früheren Mitarbeiters des US-Außenministeriums. Auf der Seepromenade von Tel Aviv hatte ich auf einmal den Wunsch, an den Strand hinunter zu gehen. Ich setzte mich auf einen Stuhl im Sand, trank eine Tasse Kaffee und rauchte eine arabische Wasserpfeife, den einzigen Rauch, den ich mir noch ab und zu gönne. Ein Strahl der milden Wintersonne malte eine goldene Spur auf dem Wasser, und ein einsamer Surfer glitt über den weißen Schaum der Wellen. Der Strand war fast leer. Ein Fremder winkte mir von weitem. Von Zeit zu Zeit wanderte mein Blick zum entfernten Jaffa, das aus dem Meer ragt – ein wunderbarer Anblick.
Für einen Augenblick war ich in einer Welt, die in Ordnung schien, weit entfernt von den deprimierenden Nachrichten aus den Morgenzeitungen. Und dann erinnerte ich mich, dies schon einmal vor vielen, vielen Jahren so empfunden zu haben. Es war Ende 1941 genau an der gleichen Stelle. Es gab gleichfalls einen angenehmen Wintertag und vor mir eine stürmische See. Ich war nach einem Typhusanfall auf Krankenurlaub, lag auf einem Liegestuhl und ließ mich von einer milden Wintersonne wärmen. Ich fühlte, dass nach der schweren Krankheit, die mich sehr mitgenommen hatte, meine Kräfte wieder zurückkamen. Ich vergaß den weit entfernten Weltkrieg. Ich war 18 Jahre alt und die Welt in Ordnung.
Ich erinnere mich noch an das Buch, das mich damals beschäftigte. Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, ein kolossales Werk, das ein völlig neues Bild der Weltgeschichte malte. Statt der damals akzeptierten Landschaft, in der eine gerade Linie des Fortschritts aus der Antike ins Mittelalter und von dort in die Moderne führt, malte Spengler eine Landschaft mit Bergketten, in der eine Zivilisation der anderen folgte. Jede wurde geboren, wuchs, wurde alt und starb wie ein menschliches Wesen. Auch damals sah ich nach Jaffa hinüber – zu jener Zeit noch eine arabische Stadt.
Spengler behauptete, eine Zivilisation lebe etwa tausend Jahre und gründe am Ende ein Weltreich, das danach einer neuen Zivilisation weichen müsse. Seiner Ansicht nach stand man damals an der Schwelle zu einem deutschen Weltreich, während die kommende Zivilisation eine russische sei. Spengler hatte Recht und Unrecht. Das im Entstehen begriffene Weltreich war amerikanisch – die darauf folgende nächste Zivilisation wird wahrscheinlich eine chinesische sein. Vorerst regiert Amerika noch die Welt, und das führt uns zu Barack Obama.
Grausam und überflüssig
Ich hörte seine Rede, die der US-Präsident beim Empfang des Friedensnobelpreises hielt, und empfand sie fast als unverschämt: Zu einer Friedensfeier kommen und einen Krieg rechtfertigen. Als ich die Rede danach noch einmal las, fand ich freilich einige unleugbare Wahrheiten. Auch ich bin davon überzeugt, dass es Grenzen der Gewaltlosigkeit gibt. Gewaltlosigkeit hätte Hitler nicht gestoppt. Die Schwierigkeit ist, dass diese Einsicht sehr oft als Vorwand für Aggressionen dient. Jeder, der einen Krieg mit schändlichem Ziel beginnt, gibt vor, es gäbe keine Alternative. Und Obama versucht gerade, dem Afghanistan-Krieg das „Keine-Alternative“-Zeichen anzuheften, dabei handelt es sich um einen derart grausamen, überflüssigen und dummen Krieg wie kaum je zuvor.
Der Planet ist eine einzige Entität geworden – vom politischen, ökonomischen, militärischen, ökologischen wie kommunikativen Standpunkt aus. Ein politischer Führer, der gleichzeitig ein Philosoph ist, sollte Wege für eine verbindliche Weltordnung aufzeigen. Eine Ordnung, die Kriege als Problemlöser der Vergangenheit überantwortet, tyrannische Regimes in jedem Land verhindert und den Weg in eine Welt ohne Hunger und Epidemien vorbereitet. Nicht morgen, sicher auch nicht für unsere Generation, aber als ein Ziel, für das zu kämpfen lohnt.
Für eine Weltmacht wie die USA ist es normal, gegen eine Weltordnung zu sein, die ihre Macht einschränkt und sie an Weltinstitutionen weitergibt. Deshalb sind die USA gegen den Internationalen Gerichtshof und die Abschaffung aller Atomwaffen. Deshalb sind sie gegen eine reale Weltregierung anstelle der Vereinten Nationen, die inzwischen fast ein Instrument der US-Politik geworden sind. Deshalb lobt Obama die NATO als militärischen Arm der USA.
Als Obama zum Präsidenten gewählt wurde, rechneten wir mit einigen Enttäuschungen. Wir wussten, kein Politiker kann so perfekt wie der Kandidat Obama aussehen und reden. Aber die Enttäuschung ist viel größer und viel schmerzlicher, als wir erwarteten.
Es betrifft praktisch alle Gebiete. Den Irak hat Obama noch nicht verlassen und steckt doch mit beiden Beinen tief im afghanischen Sumpf – ein Krieg, der länger und stupider zu werden droht als der Vietnamkrieg. Jeder, der nach einem Sinn dieses Krieges sucht, tut das vergeblich. Er kann nicht gewonnen werden. Wie sollte ein Sieg in diesem Land aussehen? Der Krieg wird gegen den falschen Feind geführt, gegen das afghanische Volk anstatt gegen al-Qaida. Es sieht so aus, als würde man ein Haus verbrennen, um die Mäuse darin loszuwerden. Mit Obama hat sich in der Afghanistan-Politik zwar die Rhetorik verändert – die salbungsvolle Arroganz der Bush-Zeit wurde durch einen versöhnlicheren Ton ersetzt. Dies sollte anerkannt werden, aber nicht zu sehr.
Absurdes Theater
Als Israeli bin ich natürlich an Obamas Einstellung zum Nahost-Konflikt interessiert. Als er gewählt war, weckte er übertriebene Hoffnungen. Aluf Ben, Kolumnist der Zeitung Haaretz, hat es soeben so ausgedrückt: „Er wurde für eine Kreuzung zwischen dem Propheten Jesaja, Mutter Theresa und Uri Avnery gehalten.“ Ich fühle mich geschmeichelt, in solch erhabene Gesellschaft zu geraten und muss ihm zustimmen: die Enttäuschung ist so groß wie die Hoffnungen. In seiner Nobelpreisrede-Rede widmete uns Obama ganze 16 Wörter: „Wir sehen im Nahen Osten, wie sich der Konflikt zwischen Arabern und Juden zu verschärfen scheint.“ Dies klingt nach der Bemerkung eines Theaterkritikers, der eine Vorstellung ansieht. Sollte ein Präsident der USA den Konflikt wirklich in dieser Weise betrachten?
Wenn sich die Konfrontation zwischen Israelis und Palästinensern derzeit tatsächlich verschärft, müssen auch die USA und Obama persönlich angeklagt werden. Sein Einknicken bei Netanjahus Siedlungsbau und sein totales Nachgeben gegenüber der Pro-Israel-Lobby in den USA haben unsere Regierung ermutigt, daran zu glauben, sie könne alles tun, was sie will. Anfangs war Premier Netanjahu über den neuen US-Präsidenten beunruhigt. Aber die Furcht hat sich aufgelöst, und jetzt behandelt er Obama und dessen Leute mit einer Herablassung, die an Verachtung grenzt. Die mit der vorangegangenen US-Regierung geschlossenen Abkommen werden offen gebrochen. Präsident Bush war bereit, die „Siedlungsblocks“ anzuerkennen, wenn im Gegenzug alle anderen Siedlungsprojekte auf Dauer eingefroren und die ab März 2001 errichteten "Außenposten" aufgelöst würden. Doch es wurde kein einziger davon abgebaut. In der vorletzten Dezemberwoche hat die Regierung Netanjahu Dutzenden Siedlungen außerhalb der „Blocks“ den Status „bevorzugter Gebieten“ gewährt.
Das „Einfrieren“ ist ein Witz. In diesem absurden Theater übernehmen die Siedler die Rolle der gewalttätigen Opposition, die von der Regierung eingeladen und bezahlt wird. Die Polizei verwendet gegen sie kein Pfeffer- oder Tränengas, kein Gummigeschoss und keinen Gummiknüppel, wie sie das jede Woche gegen israelische und palästinensische Demonstranten tut, die gegen die Besatzung protestieren.
Auch in Jerusalem bleiben die Siedlungsaktivitäten nichts schuldig. Palästinensische Familien werden – während die Siedler jubeln – aus ihren Häusern geworfen und die wenigen israelischen Demonstranten, die dagegen protestieren, ins Gefängnis geschickt. Aggressive Siedlergruppen erhalten aus den USA Geldgeschenke, die von den Steuern abgezogen werden können. Mit anderen Worten, auf diese Weise zahlt Obama indirekt genau für die Handlungen, die er verurteilt.
Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs/Christoph Glanz
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