Bomben im Sufi-Schrein

Pakistan Präsident Hamid Karzai und Generalstabschef Kayani feilen an einem Deal zur Machtteilung mit den ­Taliban. Sie unterlaufen damit ­bewusst die US-Strategie

Ein Land kocht. Diesen Freitag hat schon wieder ein grauenhafter Anschlag Pakistan erschüttert: Vermutlich zwei Attentäter rissen über 50 Menschen in der Region Mohmand im Grenzgebiet zu Afghanistan mit in den Tod. Dieses Wochenende wollen Tausende und Abertausende aus allen Bevölkerungsschichten in den Straßen von Lahore, Karatschi, Rawalpindi und anderen Städten ihrer Wut über das Blutbad in Lahores berühmten Sufi-Schrein Luft machen, das erst vor einer Woche 45 Todesopfer gefordert hat. Das Maß ist voll. Die aufgebrachten Massen verlangen, es solle endlich eine wirksame Militäroffensive gegen die Taliban im eigenen Land geben. Wird diese Empörung Pakistans Armeeführung jetzt zur lange vertagten „Operation Nord-Waziristan“ zwingen?

Der Anschlag in der Hauptstadt der reichsten und bevölkerungsstärksten Provinz Punjab wird einer neuen und besonders militanten Splittergruppe zugeschrieben, den al-Qaida-nahen Punjabi Taliban. Die „entfremdeten“ Produkte des nationalen Geheimdienstes ISI destabilisieren Pakistans politisches und militärisches Kernland mit immer dreisteren Gewalttaten. Erst im Juni ermordeten sie fast hundert Mitglieder der muslimischen Minderheit der Ahamadiya. Punjabi Taliban sollen auch die Drahtzieher des spektakulären Attentats auf das Armee-Hauptquartier Ende 2009 gewesen sein und hinter dem gescheiterten Time-Square-Anschlag von New York stecken. Dennoch hat es der pakistanische Generalstabschef, General Ashfaq Kayani, bislang vermieden, die Basen und Rekrutierungsräume der Gotteskrieger in Nord-Waziristan anzugreifen. Trotz des vehementen Drucks der Administration in Washington blieb die Taliban- und Al-Qaida-Hochburg an der afghanischen Grenze tabu für Counterinsurgency, will die Generalität in Islamabad doch ihre immer noch intakten Beziehungen zu Teilen der Taliban für die Zeit nach dem angekündigten US-Abzug konservieren.

Rot-Phase für einige Monate

So trägt Armeechef Kayani – bei aller sonstigen Kooperation mit dem Pentagon – nicht unwesentlich zum bisherigen Scheitern der US-Afghanistan-Strategie bei und hat seinen Anteil an Obamas dramatischem Wechsel der Oberkommandierenden für Afghanistan. Entschlossen, die Schwäche der US-Regierung zu nutzen, um im Nachbarland ein ihm genehmes Szenario zu erreichen, versucht General Kayani seit geraumer Zeit, in direkter Partnerschaft mit Präsident Hamid Karzai einen Deal zur Machtteilung auszuhandeln, der Taliban-Führer und besonders das al Qaida verbundene Haqqani-Netzwerk zu Partnern der Regierung in Kabul erhebt. Das ist so ganz und gar nicht im Interesse Washingtons und noch weniger im Interesse Indiens. Nun könnte sich alles ändern, sollte der Anschlag von Lahore zum Funken werden, der im brodelnden Pakistan einen Aufstand entzündet. General Kayani wäre dann womöglich gezwungen, vor seinen wütenden Landsleuten zu kapitulieren und doch gegen Nord-Waziristan zu marschieren.

Das hätte weitreichende Folgen. Pakistans Armeechef ist inzwischen so mächtig, dass er großen Einfluss darauf hat, ob die US-Kriegsstrategie erfolgreich ist oder scheitert. Entschlösse sich Kayani zur Offensive in Nord-Waziristan, gäbe er damit auch grünes Licht für die von den Amerikanern bislang verschobene Offensive gegen die Taliban in der Provinz Kandahar – gleichzeitig würde er aber die Chancen auf erfolgreiche Gespräche mit den Gotteskriegern verspielen. Bleibt er hingegen hartnäckig bei seiner Weigerung, könnte sich die Tür zum Verhandlungsraum zwar öffnen, doch die Ampel für die Kandahar-Operation würde weiter auf Rot stehen. Sollte diese Rot-Phase noch einige Monate anhalten, dürfte es definitiv zu spät für die erhoffte Befriedung im Süden Afghanistans sein. Die Taliban gewinnen rasch an Stärke, nicht nur in Kandahar, auch in Helmand, Kabul, Uruzgan und den afghanischen Nachbarprovinzen von Waziristan.

Im Augenblick jedoch könnte die Wut der Pakistani auf die eigene Militärführung, die mit anschwellendem Amerika-Hass einhergeht, absurderweise Washingtons Kriegs- und Abzugspläne retten. Temporär zumindest.

Wink mit dem Laternenpfahl

Wenige Tage vor dem Anschlag von Lahore ging eine merkwürdige Meldung durch die pakistanischen Medien. Mehr als 50 Spezialagenten privater US-Sicherheitsfirmen seien in Pakistan eingetroffen, hieß es, um trotz scharfer Ablehnung des pakistanischen Militär-Establishments in Punjab eine geheime Operation durchzuführen. Es gehe um das Aufspüren und mögliche Unterwandern militanter Strukturen. Die Herrschaften, unter denen man Angestellte der Firma Xe Services alias Blackwater vermutet, seien ohne Visa und ohne vorgeschriebenen behördlichen Sicherheitscheck ins Land geraten, schreibt der pakistanische Bürochef der Asia Times. In einigen Fällen seien zuvor sogar Visa-Anträge von den Botschaften Pakistans in Washington, London und Delhi abgelehnt worden. Die Geschichte gibt – wieder einmal – Anlass zu vermuten, dass sich Teile der militanten Szene Pakistans bewusst oder unbewusst von ausländischen Interessenten instrumentalisieren lassen.

Wie auch immer – unübersehbar und zielstrebig bereitet sich Präsident Karzai auf eine Zukunft nach den USA vor. Er muss sich mit seinen alten Gegenspielern aus dem pakistanischen Establishment in Rawalpindi arrangieren. Er braucht sie, um Gespräche mit den Taliban zu vermitteln, seit sich sein bis dato gutes Blatt im Vorjahr plötzlich gewendet hat. Bis dahin pflegte er viel versprechende Beziehungen mit einem der Führer der Quetta-Shura um Taliban-Oberhaupt Mullah Omar. Doch kurz bevor diese Liaison politische Früchte tragen konnte, ließen ISI und CIA seinen Verhandlungspartner Abdul Ghani Baradar plötzlich verhaften. Nun muss sich Präsident Karzai nach der pakistanisch-talibanischen Decke strecken, eine wenig komfortable, aber nicht aussichtslose Übung. „Er wird natürlich versuchen zu vermeiden, eines schönen Tages an einem Laternenpfahl zu hängen“, sagte ein westlicher Diplomat in Islamabad in Anspielung auf das Schicksal des Präsidenten Mohammed Najibullah, den die Taliban lynchten, als sie im September 1996 Kabul eingenommen hatten.

Aus dem Kabinett gefeuert

Tatsächlich hat Hamid Karzai bereits damit begonnen, prominente Anti-Pakistan-Figuren aus seiner Regierung zu werfen: Amrullah Saleh etwa, Chef des Nationalen Sicherheitsdirektorats, der eine Rolle in der Nordallianz spielte, sowie Innenminister Hanif Atmar, der in der kommunistischen Phase Afghanistans zwischen 1978 und 1989 als Geheimdienstchef diente und die islamischen Guerilla-Kämpfer attackieren ließ. Hamid Karzais persönlicher Sicherheit im belagerten Kabul ist dieses Revirement nicht eben zuträglich, bringt es doch Machtstrukturen aus der Balance, die er einst selbst etabliert hat. Wenn sich Pakistan mit seinem ganzen strategischen Gewicht hinter die Taliban wirft, sind tiefe Konflikte mit anderen afghanischen Akteuren programmiert. Tadschiken, Usbeken, Hazara und andere ethnische Fraktionen vorzugsweise im Norden, die zusammen fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, fürchten die Rückkehr der blutigen Bürgerkriege aus den neunziger Jahren.

Ein von Pakistan und den Taliban kontrolliertes Afghanistan jedenfalls wird näher an das sunnitische Saudi-Arabien heranrücken und zur Isolation des schiitischen Iran in der Region beitragen, mit dem Hamid Karzai gleichfalls so beunruhigend gute Beziehungen aufzubauen verstand.

Ursula Dunckern ist seit 1996 Süd-Asien-Korrespondentin des Freitag

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