Der feine Schnitt von Armeechef Kayani

Pakistan Nach dem Abgang von Präsident Musharraf wissen die Amerikaner noch nicht, auf wen sich nun verlassen sollen

Nachdem der Vorhang über die Ära Musharraf gefallen ist, findet sich die US-Regierung in einem Dilemma wieder. Wer soll ihr neuer Mann in Islamabad sein? Die drei Politiker, die derzeit die Regierung repräsentieren - Asif Ali Zardari von der Volkspartei (PPP), Nawaz Sharif von der Muslim-Liga und der blasse Premier­minister Raza Gilani - sie sind alles andere als ideal. Keiner von ihnen hat das Ruder in der Hand, während der Aufstand der Taliban immer mehr an Auftrieb gewinnt. Es gibt zudem Zweifel am Willen zur Kooperation, den der neue Armeechef, General Ashfaq Parvez Kayany, aufzubringen gedenkt. Ein ehemaliger Geheimdienstchef, der sein Amt im November 2007 von Musharraf übernahm.

Der Abgang des Autokraten, lange hinausgezögert, dann über Nacht vollzogen, war zwingend. Der ehemals unersetzliche Alliierte der Amerikaner war als Gewährsmann verbrannt und so nutzlos wie gefährlich, trug er doch noch zwei scharfe Waffen mit sich herum: die verfassungsmäßig garantierte Macht des Staatschefs, Regierung und Parlament zu entlassen, und seinen Einfluss auf den Apparat der Armee. Er schien mit dem Gedanken zu spielen, von beiden Gebrauch zu machen, da einigte sich die Koalition der Uneinigen hastig auf ein Amtsenthebungsverfahren. Was Musharraf schließlich kapitulieren ließ, war der feine Schnitt, mit dem Armeechef Kayani seine politische Lebensader durchtrennte. Der General bestand auf der Neutralität der Armee und verweigerte sich dem Chef bei einem eventuellen Machtakt. Musharraf muss sich an die explodierende Mango-Kiste erinnert haben, die den todbringenden Flugzeugabsturz des widerspenstigen Diktators Zia-ul-Haq verursachte, und ging.

Bereits Stunden nach diesem Abtritt wieder uneinig wie eh und je, jagte die Regierungskoalition eine Woche lang wild entschlossen dem finalen Zerwürfnis entgegen. Nachdem es Navaz Sharif nicht gelang, die sofortige Wiedereinsetzung des von Musharraf entlassenen Obersten Richters Iftikhar Chaudhary zu erzwingen, brach er zu Wochenbeginn die Koalition mit "Betrüger" Zardari. Nun will er Chaudhary - wenn schon nicht zum Richter-Amt - dann zum Präsidentensessel verhelfen.

Sharifs Kalkül

Zardari hatte die peinliche Frage der Richter-Rehabilitation unter Bruch gegebener Zusagen immer wieder auf die lange parlamentarische Bank geschoben, denn die Erfüllung von Sharifs Verlangen wäre einem politischem Selbstmord gleichgekommen. Es besteht guter Grund zu der Annahme, dass Richter Chaudhary, sollte er wieder im Amt sein, die von Musharraf erlassene "Nationale Versöhnungs-Konkordanz" für nichtig erklärt und gegen den Volkspartei-Politiker Zardari ein Verfahren wegen schwerer Korruption eröffnet. Genau das war Sharifs Kalkül. Aber auch als Gegenkandidat in einer Präsidentenwahl kann der Richter Zardari noch in Schwierigkeiten bringen. Zwar hat die Volkspartei im Parlament eine knappe Mehrheit, doch weiß man nicht erst seit dem soeben abgehaltenen Misstrauensvotum im Unterhaus von Delhi, dass Bestechung kleine Wunder bewirkt und manchen Parlamentarier anders abstimmen lässt als erwartet.

Ganz sicher verfügt Nawaz Sharif über keinen sonderlich guten Draht nach Washington, er weiß, dass die US-Regierung allen Grund hat, Zardari zu favorisieren. Der lässt sich leicht am Nasenring seiner Vergangenheit führen. Schon Benazir Bhutto wurde in ihren letzten Jahren mit der ernüchternden Information gefügig gemacht, dass die CIA dank Telefonüberwachung sämtliche Daten ihre Auslandskonten kenne, wie Ron Suskind in seinem Buch The Way of the World enthüllt. Ob Zardari am 6. September zum Präsidenten gewählt wird oder ein anderer, vielleicht noch in letzter Minute auftauchender Kandidat? Sicher scheint, Washington wird dafür Sorge tragen, dass die junge pakistanische Demokratie ihren amerikanischen Mastern eine handliche politische Führung beschert. Das Beispiel Indien zeigt, dass sich die amerikanische Diplomatie so verfeinert hat, dass sie nicht nur Diktatoren, sondern auch die korrupten Eliten an der Spitze einer Demokratie leicht in den Griff bekommt.

Wieder ein Stellvertreter-Krieg

Wie gehorsam Zardari und seine PPP-Clique auch immer sein mögen, sie scheinen weder ein stringentes Konzept gegen Terrorismus, noch nennenswerten Einfluss auf die Sicherheitspolitik der Armee zu haben. Der ISI, der militärische Geheimdienst, der einer militanten Guerilla an der Grenze zu Afghanistan immer offener in die Hände spielt, scheint sich über die Zivilregierung lustig zu machen. Als Premier Gilani, der von Zardari aus dem Nichts gepflückte politische Novize, dem die US-Presse einen "kläglichen öffentlichen Eindruck" bescheinigt, während seines Washington-Besuches im Juli mit der kühnen Erklärung auftrumpfte, seine Regierung werde den ISI jetzt unter Kontrolle des Innenministeriums stellen, war er zum peinlichen Widerruf gezwungen. Die Armee war nicht bereit, derartige Anmaßungen hinzunehmen und machte Druck. "Die Regierung hat gelernt, sich nicht mit dem ISI anzulegen", kommentierte der ehemalige ISI-Chef General Hamid Gul. "Kindisch und unüberlegt, wie sie sind, stürmten sie vor, mussten ihre Ankündigung jedoch schon nach Stunden zurückziehen. Dumm standen sie da ..."

Der Widerspruch, den Pervez Musharraf so erstaunlich lange zu kompensieren wusste - hier der kooperative Partner Washingtons gegen die Taliban und al-Qaida, dort die an dieser Front so kampfunwillige Armee - ist aufgebrochen. Die Regierung Gilani/Zardari Partner mag sich recht gut in das Wunschkonzept einer US-dirigierten südasiatischen Dreiecksbeziehung zwischen Pakistan, Afghanistan und Indien einfügen, doch ohne volle Kooperation der pakistanischen Armee könnte Afghanistan den USA und ihren Alliierten militärisch immer mehr aus der Hand gleiten. US-Medien berichten, dass die schwache zivile Regierung in Islamabad die Position der Hardliner im Pentagon gestärkt hat, die einen offenen US-Vernichtungskrieg im nordpakistanischen Grenzgebiet führen wollen.

Derweil wirbt George Bush mit einem besonderen Geschenk um die Gunst dieser unberechenbaren Streitkräfte. Er stellt in diesem Jahr zwei Drittel seines 300 Millionen Dollar schweren Militärhilfspakets für die Modernisierung von F-16-Jets bereit. Angeblich für den Kampf gegen Terroristen im Gebirge - doch wie man in Indien mit Erstaunen und Sorge feststellt, ist die F-16 hierfür völlig ungeeignet. Sie ist vielmehr ganz eindeutig für den Luft-zu-Luft-Kampf entwickelt. Die Taliban-Führung verfügt bisher über keine Air Force, aber Indien. Man erinnert sich, dass die USA Pakistan in den achtziger Jahren für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan gewannen, indem sie Islamabads Militärmuskel für den konventionellen Krieg gegen Indien mit 40 F-16 stärkten - und damit das große nachbarliche Wettrüsten ankurbelten. Ist dies ein ähnliches Geschäft?

"Wieder ein Stellvertreterkrieg für Amerika", sagt Ex-ISI-General Gul. "Früher war es der gegen die Sowjets, jetzt wollen die Amerikaner, dass der ISI ihren Krieg in Afghanistan für sie gewinnt. Sie begreifen nicht, dass diesmal alles ganz anders ist."

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