Afghanistan In der Krisenregion am Hindukusch wird Indien immer einflussreicher. Das passt dem Nachbarn Pakistan nicht. Das Land sieht seine Interessen in Afghansitan gefährdet
Noch lassen sich die Folgen des Anschlages auf das Hauptquartier der pakistanischen Armee in Rwalapindi nicht vollends absehen. Fest steht nur eines: General Kayani hat eine schallende Ohrfeige erhalten. Da sie nicht tödlich war, bleibt ihm die Chance der Reaktion. Die könnte darin bestehen, unverzüglich zum großen Anti-Taliban-Einsatz in Waziristan auszuholen, wie das die USA seit Wochen verlangen. Ein überzeugender Erfolg gegen die islamistischen Extremisten kann jetzt das Vertrauen in die Armee wieder herstellen. Für Kayani gibt es einen solchen Sprung nach vorn. Alle von ihm lancierten Dispute über eine „amerikanische Besetzung“ Pakistans geraten in den Hintergrund. Das gilt auch für die brisante Frage, ob der General demnächst P
t Präsident Zardari absetzt oder selbst fällt.Längst hat eine Untergruppe der Tehrek-e-Taliban offiziell die Verantwortung für die Attacke in Rawalpindi übernommen – sie habe den getöteten Führer Baithulla Mehsud rächen wollen. Im pakistanischen Militärestablishment argwöhnen jedoch viele, es könnten noch andere Kräfte im Spiel sein. Indien zum Beispiel. In jüngster Zeit leuchtet dieses Menetekel allenthalben von der Wand.Auf die Bedingungen, an die der US-Kongress seine enormen Hilfszusagen für Pakistan knüpft, soll Delhi Einfluss genommen haben, heißt es in Islamabad. Aus diesem Grund wies die Armeespitze, das Paket als Beleidigung zurück. War das schiere Paranoia in einer bis zum Äußersten angespannten Situation? Der verzweifelte Versuch, sich Vorteile aus einer bewährten Feindschaft zu verschaffen?In der dichten Folge dramatischer Anschläge, die es zuletzt in Afghanistan und Pakistan gab, kommt dem Attentat auf die Botschaft Indiens in Kabul besondere Bedeutung zu, rückt es doch den indischen Part bei diesem Krieg ins Blickfeld. Der sprengstoffbeladene Lieferwagen konnte am Morgen des 8. Oktober die Mauer der Mission in Kabul nicht durchbrechen. Nach einem ähnlichen Angriff im August 2008 hatte man die Sicherheitsstandards verbessert. So detonierte die Bombe auf der Straße, nicht weit entfernt vom Präsidentenpalast, und riss 17 Afghanen und zwei Wachmänner der Indotibetischen Grenzpolizei in den Tod. Es war einmal mehr ein Beweise dafür, dass die Taliban immer und überall zuschlagen können. Das Signal war eindeutig: Indien solle bei seiner Präsenz in Afghanistan Maß halten. Man erinnerte sich eines Hinweises, der jüngst aus dem „geheimen” Bericht des US-Oberkommandierenden, General McChrystal, in die Washington Post sickerte: Indien verschlimmere durch sein Handeln in Afghanistan regionale Spannungen – Pakistan könnte „Gegenmaßnahmen” treffen.Gehört der Anschlag vom 8. Oktober dazu? Bei einem Treffen während der UN-Vollversammlung forderte Außenminister Shah Mahmood Qureshi seinen indischen Kollege Krishna auf, im „Back-Channel-Dialog“ die indischen Interessen in Afghanistan, „fair auszuhandeln“. Doch der winkte ab, man wolle offizielle Gespräche, die – moderiert von den USA – demnächst stattfinden sollen. Soviel steht bereits fest, Delhi denkt nicht daran, seine „hyperaktive” Rolle in Afghanistan aufzugeben.Bollywood und StromIndien ist mit 1.2 Milliarden Dollar einer der größten „Aktionäre“ Afghanistans. Das Geld fließt in Schulen und Hospitäler, in Energietrassen und Straßen, an denen mehrere tausend Inder arbeiten. Ein neues Elektrizitätsnetz garantiert seit Mai die Rund-um-die-Uhr-Versorgung von Kabul. Im Januar übergab Indien im Südwesten Afghanistans eine 218 Kilometer lange Autobahn und will Anfang 2010 Gleiches mit dem neuen Parlamentsgebäude tun. Dazu gibt es viel Softpower: Seit Jahren bildet Indien den Großteil afghanischer Polizisten und Diplomaten aus. Delhi hat den Kampf um „Hearts and Minds“ aufgenommen, während westliche Strategen noch überlegen, wie und ob sie ihn führen sollen.Wehalb dieses Engagement? Offiziell wird gern von historischen Freundschaftsbanden mit den Afghanen gesprochen. Die gemeinsamen Wurzeln reichen in der Tat Jahrhunderte zurück. Teile Afghanistans gehörten einst zum indischen Großreich mit Kandahar als Hauptstadt. Jahrhundertelang lebten Inder, vorrangig Sikhs, in Afghanistan und sorgten für regen Handel. Noch heute prägt die afghanische Küche die nordindische Esskultur. Alle Afghanen lieben Filme aus Bollywood. Als Pakistans Nordwestfrontier-Provinz noch indisch war, spielten die Paschtunen eine Rolle im Unabhängigkeitskampf von Gandhi und Nehru.Als 1947 auf dem Subkontinent mit Indien und Pakistan zwei konkurrierende Staaten entstanden, wurde Afghanistan auch strategisch wertvoll. Wer mit diesem Land paktierte, konnte den Vorteil der „strategischen Tiefe” gegen den Rivalen nutzen. So hielt Delhi den Regierungen in Kabul auch dann die Treue, als dort in den achtziger Jahren die Präsidenten Karmal und Nadjibullah eine von der Sowjetunion protegierte Republik führten. Ein Jahrzehnt später versuchte Delhi, die von Pakistan kreierten Taliban zu entmachten, und pflegte enge Kontakte zu den Warlords der Nordallianz, mit deren Hilfe die US-Invasoren Ende 2001 die Gotteskrieger des Mullah Omar stürzen konnten. Danach sicherte sich Indien wertvolle Pfründe, öffnete die Konsulate in Kandahar und Jalalabad wieder und errichtete neue in Herat und Mazhar-e-Sharif. Seither beschuldigt Pakistan den Nebenbuhler, die Konsulate in Kandahar und Jalalabad seien nichts als Spionagezentralen, dazu gedacht, auf der anderen Seite der Grenze, in Belutschistan, separatistische Unruhen zu schüren und im rechten Moment die Hand nach fremden Atomwaffen auszustrecken.Auf der HitlisteQuetta, die Hauptstadt des schwer zugänglichen Belutschistan, gilt derzeit als Kommandozentrale der afghanischen Taliban-Shura unter Mullah Omar. Pakistan bestreitet das vehement, doch stach Anne Petterson, US-Botschafterin in Kabul, mit ihrer forschen Ankündigung, „Quetta steht auf unserer Hitliste” letzte Woche einmal mehr ins Wespennest. Dass die US-Armee in Belutschistan die afghanischen Taliban ins Visier nimmt, lässt die pakistanische Armee um einen Außenposten fürchten, dessen Zerstörung das Ende ihres Einflusses in Afghanistan bedeuten würde. Indien wäre das nur recht. Obwohl General Kayani zuletzt für sein Vorgehen gegen Taliban im eigenen Land von Washington hofiert wurde, blieben die afghanischen Taliban weithin verschont. Noch im August kursierte das Angebot, die pakistanischen Streitkräfte könnten ihre Beziehungen zu Mullah Omar nutzen, um ihn an den Verhandlungstisch zu bringen – was nicht gelang. Wenn Quetta auf der „Hitliste“ der USA steht, haben dann vielleicht auch hier indische Dienste die Hand im Spiel?Die Vorstellung, dass Washington auf der Suche nach einer neuen Strategie für die Region auf Indiens Infrastruktur in Afghanistan und dessen Beziehungen zur Nordallianz zurückgreift, muss größte Besorgnis in Islamabad auslösen. Vieles spricht dafür, dass die USA die Karzai-Regierung bald akzeptieren und künftig die Warlords zur Taliban-Jagd einsetzen. Ein Interview der Los Angeles Times mit Nordallianz-Führer Mohammed Fahim, der bald Vizepräsident sein könnte, zeigt, dass er die ihm zugedachte Mission annehmen will – eine neue Spielart der Afghanistanisierung des Krieges. Schließlich hat sich die Nordallianz schon 2001 als Partner der USA gegen die Taliban empfohlen. Indien übernahm damals die geheimdienstliche Flankierung und könnte Gleiches wieder tun.
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