Die graue Eminenz

Afghanistan Der Bruder des afghanischen Präsidenten zieht in Südafghanistan und darüber hinaus die Fäden. Wenn nötig, beschafft er den Amerikanern sogar verhandlungswillige Taliban

Im Auge des Sturmes, der sich erhoben hat, ihn aus Kandahar hinauszufegen, gibt Ahmad Wali Karsai ein großes Fest. In seinem Hause feiert er am 8. November mit etwa tausend Freunden und Unterstützern den Wahlsieg seines Bruders in Kabul. Er hat dazu entscheidend beigetragen, und das keineswegs nur als Wahlfälscher. Der mächtigste Mann von Kandahar, dem Kernland der afghanischen Paschtunen, ist der wichtigste Anker für die Macht von Hamid Karsai. Wer ist dieser Potentat, auf dessen Entfernung westliche Diplomaten und Medien plötzlich mit solcher Dringlichkeit hinarbeiten? Man darf ihn – ohne zu übertreiben – einen authentischen Führer des paschtunischen Popolzai-Stammes der Durrani nennen, die jahrhundertelang die afghanischen Könige stellten.

Hamids große Stunde

Geboren im südafghanischen Karz flieht er im Alter von 20 Jahren nach Chicago, als sich Sowjets und Mudschaheddin in den frühen achtziger Jahren immer erbitterter attackieren. Dort lebt er zehn Jahre, führt ein florierendes Restaurant und gibt seiner Begeisterung für Fußball nach. Erst 1992, nach der Ermordung des einst von Moskau gestützten Präsidenten Najibullah, kehrt Wali nach Kandahar zurück. Sein Bruder Hamid hat sich da schon als Verbindungsmann zwischen Mudschaheddin und CIA etabliert und wird bald Vize-Außenminister der Regierung des Präsidenten Rabbani (von 1992–1996 im Amt).

Die Brüder Karsai sympathisieren mit den paschtunischen Taliban, die von Kandahar aus operieren, und distanzieren sich 1996 nur deshalb, weil es einem Wink aus Washington zu folgen gilt. Als die Taliban-Regierung Ende 2001 vor den US-Truppen flieht, schlägt Hamids große Stunde – er wird zum Bonner Petersberg gebracht und Chef einer Interimsregierung.

Bruder Ahmad Wali geht wieder in den Süden und versteht es, sich durch Allianzen und Deals als unumstrittener Führer der Region Kanadahar zu etablieren. Das provoziert Widerstand – Teile der rivalisierenden Ghilzai-Stämme treten zu den Taliban über. Wali macht sich Feinde und überlebt mehrere Attentate gerade so. Im April 2009 stürmt ein Selbstmordkommando das Büro des Provinzrates von Kandahar und tötet 17 Menschen – Wali ist nicht da. Einen Monat später entkommt er knapp einem Anschlag auf seine Autoflotte, seither lässt er sich und sein Anwesen von 300 Wächtern schützen.

Er habe, sagt Wali Karsai, seit 2001 den Amerikanern viel geholfen, was oft heimlich geschah. So wird die Kandahar Force, eine der von ihm ausgehobenen paramilitärischen Stammesmilizen, von US-Agenten trainiert und für Razzien in Dienst genommen. Es kommt zum Skandal, als eine dieser Prätorianer-Garden den Polizeichef von Kandahar erschießt.

Wenn es sein muss, gibt Wali den zuverlässigen Unterhändler, der amerikanische Freunde mit verhandlungswilligen Taliban versorgt. 2008 fliegt er mit afghanischen Diplomaten nach Saudi-Arabien, um unter dem Schirm des Königshauses mit Taliban-Führern zu sprechen. Im August 2009 überredet er andere Taliban-Führer in Südafghanistan, die Präsidentenwahl zu tolerieren.

Was die New York Times in diesen Tagen gegen Wali Karsai abfeuert, bietet verblüffend wenig Neues. Wali bestreitet, dass seine US-Kontakte mit dem CIA zu tun hatten oder gut bezahlt wurden. Der Vorwurf, er stecke ganz tief im milliardenschweren Opium-und Heroin­markt Südafghanistans, wird seit Jahren lanciert, ohne dass es je den schlüssigen Beweis gab. Auch US-Senator John Kerry, der zu Walis Verteidigung antritt, kann in Kandahar keine „rauchenden Colts“ entdecken. Es sei nicht ratsam, warnt er, Wali Karsai über Artikel und Gerüchte zu beschuldigen und die schwierigen afghanisch-amerikanischen Beziehungen weiter zu belasten.

Dienste von Warlords

Die Frage, ob der Bruder des Präsidenten das unschuldige Opfer politisch motivierter Kampagnen ist, die eigentlich Hamid Karsai gelten, ist müßig. Zu guter Letzt werden ihn gut positionierte Schutzengel schon retten. Im Moment allerdings dröhnen die Pressetrommeln dumpf und bedrohlich. Der Fall Wali Karsai lenkt die allgemeine Aufmerksamkeit nämlich auf die Tatsache, dass sich die CIA und ihre britischen, kanadischen (auch deutschen) Partner in Afghanistan heimlich und auf Kosten des Steuerzahlers der Dienste von Warlords und Drogenbaronen bedienen, mit denen man sich bei Tage nicht sehen lassen darf. Es fließen Dollar, Euro sowie westliche Waffen – ausnahmslos dazu geeignet, die Sicherheitsrisiken für eine friedliche und demokratische Zukunft Afghanistans zu erhöhen. Details über das erschreckende Ausmaß der unzüchtigen Beziehungen von Feind zu Feind förderte im September eine Studie an der New York University zutage. Selbst General Stanley McChrystals geheimer Bericht zur Lage am Hindukusch widmet sich diesem brisanten Netzwerk.

Während Präsident Obama eine neue AfPak-Strategie sucht, zeigt der Fall Wali Karsai die Kluft, die sich in Washington zwischen den Idealisten und den Hardlinern auftut. Die einen wollen die Herzen der Afghanen gewinnen, während die anderen ganz auf den Anti-Terrorkampf setzen. „Wenn ihr Mutter Teresa sucht, die lebt nicht in Afghanistan“, sagt ein hoher US-Militär, der zur letzten Kategorie gehört, über den Präsidentenbruder.

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