Die Schutzengel der Taliban

Pakistan Die USA wollen ­Afghanistan durch Machtarrangements und viel Geld neutralisieren. Dafür ist ­Pakistan unverzichtbar

Darf man dem bekannten Journalisten und Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh glauben, dann könnten die USA in diesen Tagen endgültig die Gefahr beseitigt haben, dass pakistanische Kernwaffen im Fall des Falls durch die Taliban oder al Qaida übernommen werden. Am 16. November schreibt Hersh im Magazin New Yorker, Washington und Islamabad hätten seit Monaten über eine Entfernung aller atomaren Sprengköpfe aus Pakistan verhandelt. Am gleichen Tag enthüllt er in Pakistans GEO TV, ein hochkarätiges Crack-Team mit Spezialisten von Pentagon, FBI, CIA und der US-Atomsicherheit sei heimlich in Pakistan eingetroffen. Natürlich wird das offiziell dementiert – doch Generalstabschef Ashfaq Parvez Kayani schweigt eisern. Das Abkommen soll eine Frucht seiner engen Freundschaft zu Admiral Michael Mullen sein, dem Vorsitzenden der Vereinten US-Stabschefs.

Dergestalt auf den äußersten Härtefall vorbereitet und vollständig in Washingtons Hand, geht Pakistan ins Endspiel um Afghanistan. Die erwartete massive Aufstockung der US-Truppen dort verpflichtet die pakistanische Armee auf ihre Mission. Sie muss den Amerikanern auf der anderen Seite der Grenze Rückendeckung geben. Sollte ihr das nicht gelingen, steht ein verlustreiches Desaster bevor.

Kurz vor seiner Asien-Reise schrieb Präsident Obama einen Brief an Präsident Zardari, den er in Islamabad immerhin durch US-Sicherheitsberater General James Jones übergeben ließ. Darin ermahnt er den pakistanischen Staatschef energisch, sein gesamtes politisches und militärisches Potenzial zu bündeln, um die islamistischen Aufständischen in den Grenzgebieten zu eliminieren. Es gehe nicht nur um pakistanische Taliban-Gruppen, die Pakistans Sicherheit bedrohen, sondern vorrangig um die afghanischen Taliban, die in Pakistan sichere Häfen finden, in denen sie ihre Angriffe auf die alliierten Truppen im Nachbarland vorbereiten. General Jones lobte die im Oktober in Süd-Waziristan erzielten Erfolge, bestand aber darauf, dass auch die nach Nord-Waziristan – in die Hochburg von al Qaida – geflohenen Militanten verfolgt und zur Strecke gebracht werden.

Präsident im freien Fall

Tatsächlich scheint die dramatische Schlacht um Süd-Waziristan teilweise eine Schattenjagd gewesen zu sein, bei der zahlreiche Mudschaheddin-Führer in den Berge verschwanden, um sich in Nord-Waziristan oder jenseits der Grenze in der von Taliban gehaltenen afghanischen Provinz Nuristan neu zu konstituieren. Am 20. November meldete sich der aus dem Swat-Tal entkommene Taliban-Führer Mullah Fazlullah aus Nuristan im Programm von BBC zu Wort, um die Rückkehr seiner Gefolgschaft in die „befreite“ Swat-Region und „Angriffe der Rache“ auf die Armee anzukündigen.

Doch ist Präsident Zardari derzeit ein denkbar ungeeigneter Adressat für Obamas Anliegen. Von der Armee geschnitten und von Premier Gilani gemeinsam mit Oppositionsführer Nawaz Sharif zur Aufgabe seiner diktatorischen Verfassungsrechte gepresst, harrt er hilflos der Dinge, die da kommen werden. Und die sind wirklich schlecht für ihn. Ende November läuft die heiß umstrittene Amnestie-Verordnung aus, mit der Ex-Präsident Musharraf vor zwei Jahren auf Wunsch Washingtons Benazir Butto, ihren Ehemann und heutighen Präsidenten Asif Ali Zardari und etwa 400 Parteifreunde vor anhängigen Korruptionsverfahren rettete. Jetzt aber drohen die Kleptokraten von der Vergangenheit eingeholt zu werden.

Schon bereitet sich die regierende Volkspartei (PPP) darauf vor, einige Minister an staatliche Arrestzellen abgeben zu müssen. Der Präsident – die unumstrittene Nr. 1 der seinerzeit von der Amnestieverordnung Begünstigten – ist zwar während seiner Amtszeit immun, doch könnte die bald zu einem jähen Ende finden. Nawaz Sharif plant Massenproteste vom Ausmaß der Aufmärsche im März, mit denen die Rückkehr der noch von Militärdiktator Musharraf entlassenen Richter erzwungen wurde. Damals hing die Regierung am seidenen Faden, die Zeit eines weiteren Militärputsches schien gekommen. Doch General Kayani erhielt die demokratische Ordnung aufrecht und ließ die Gelegenheit ungenutzt verstreichen.

Das könnte diesmal anders sein, denn erzwungene Neuwahlen und ein möglicher Sieg des allzu eigenwilligen und ehrgeizigen Nawaz Sharif, wollen weder General Kayani noch seine Meister in Washington zulassen.

Rettung per Helikopter

Nachdem Zardaris Stern ungebremst zu sinken droht, ist General Kayani der Mann, auf den sich Washington im AfPak-Krieg und bei einer neuen AfPak-Strategie verlassen will und muss. Doch trotz heroischer Militäreinsätze in den Grenzgebieten und enger Kooperation zwischen dem pakistanischen Geheimdienst ISI und der CIA bei der Drohnen-Jagd auf Taliban-Führer hat die Armee unter seiner Führung das alte Spiel nicht aufgegeben: Sie will sich die einst von ihr kreierten afghanischen Taliban um jeden Preis als strategisches Instrument erhalten. Anstatt seine Koordinaten an ein Höllenfeuer-Kommando der CIA weiterzugeben, hat der ISI vergangene Woche – sicherlich nicht ohne Kayanis Wissen und Willen – den afghanischen Taliban-Chef Mullah Omar in Quetta aus dem Fadenkreuz gerettet und in die turbulente Hafenstadt Karatschi eskortiert, wo er in einer Gebetsschule untergetaucht ist.

Es gibt sogar Vermutungen, Mullah Omar sei im Auftrag der US-Regierung Washingtons evakuiert worden. In Afghanistan halten sich ohnehin hartnäckig Gerüchte, wonach gewisse Taliban-Führer aus verzweifelten Kampfsituationen von Schutzengeln in US-Militärhelikoptern herausgeholt werden. Aus welchem Grund? Washington will Afghanistan, in dem es derzeit laut US-General Petraeus in 33 von 34 Provinzen von Taliban dominierte Schattenregierungen gibt, mit Machtarrangements und sehr viel Geld neutralisieren. Wer das vermitteln soll, zeichnet sich auch schon ab, seit Außenministerin Clinton bei ihrem jüngsten Besuch in Islamabad die pakistanische Armee – sprich deren Generalität – als geeigneten Vermittler entdeckt haben soll.

Ursula Dunckern lebt und arbeitet als freie Autorin in Delhi

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