Sein erster Nachlass: Chaos

Talibanführer Verheißt der Tod des Taliban-Führers Mehsud in Pakistan eine Wende im amerikanischen Krieg am Hindukusch? Zunächst hat ein erbitterter Kampf um die Nachfolge begonnen

Kein Zweifel, Baitullah Mehsud ist tot. US-Satellitenbilder zeigen deutlich, wie eine amerikanische Drohne seinen Körper in Stücke reißt. Es ließ sich gerade auf dem Anwesen seines Schwiegervaters Ikramuddin im Dorf Zangara mit Infusionen gegen sein akutes Nierenleiden behandeln. Der charismatische Mittdreißiger, der ohne jegliche Schulbildung zum Meisterstrategen und mächtigen Führer einer wohl 25.000 Mann zählenden Kriegsmacht wurde, war eine Schlüsselfigur. Er verband pakistanische Militante unterschiedlicher Couleur, Taliban, al-Qaida und rivalisierende Stämme. Bedeutet sein Tod eine Wende im amerikanischen Krieg am Hindukusch?

Baitullah Mehsuds Lumpenarmee

Einen Nachfolger zu finden, könnte unter den Rebellen alte Konflikte aufbrechen lassen. Es soll bereits Tote gegeben haben, unter ihnen der junge Kommandeur Hakimullah Mehsud, Baitullas Sprecher und enger Vertrauter, den viele als natürlichen Erben betrachteten. Die Rivalitäten folgen dem Muster blutiger Stammesfehden, die man längst begraben glaubte. Das geschieht nicht von ungefähr, hat sich doch die pakistanische Armee der US-Strategie im Irak bemächtigt und Stammesmilizen in der Nordwest-Provinz und in Süd-Waziristan aufgerüstet, um Baitullahs Taliban den Garaus zu machen. Vieles deutet darauf hin, dass der Bhitni-Stamm unter Baitullas Erzrivalen Haji Turkestan Bhitni wahllos Angehörige des Mehsud-Clans angreift, der inzwischen hohe Armeeführer und Premier Gilani um Schutz bitten will. Sie dürften auf taube Ohren stoßen, denn Chaos und Bürgerkrieg in Waziristan haben eine durchaus erwünschte Funktion. Al Qaida und Taliban – als Baitullah noch lebte, Ehrengäste der Stämme in Süd-Waziristan – soll der sichere Hafen entzogen werden.

Washington wird die Gelegenheit der Kämpfe um die Nachfolge nutzen, um die pakistanische Armee in eine weitere große Bodenoffensive zu pressen und für Entlastung in Afghanistan zu sorgen. Wird General Pervez Kayani, der Generalstabschef in Islamabad, sich fügen? Falls ja, dürften verlustreiche Gefechte bevorstehen. Und die Militanten der islamischen Guerilla – wie zerstritten sie auch sein mögen – schweißt nichts zuverlässiger zusammen als der gemeinsame Feind. Das war das Geheimnis von Baitullah Mehsuds Lumpenarmee. Es spricht nichts dagegen, dass sie sich unter großem Druck von außen wieder zusammenschließt, selbst nach dem Tod ihres Anführers.

Baitullah Mehsud hatte dem legendären einäugigen Talibanführer Mullah Omar Treue geschworen. Nun ist davon auszugehen, dass sein Tod vorübergehend Waziristan aufwühlt, aber die Pläne von Taliban und al Qaida in Afghanistan kaum beeinträchtigen wird. Im Gegenteil: als Märtyrer amerikanischen Höllenfeuers und pakistanischen Verrats könnte Baitullah im Tode stärker als zu Lebzeiten auf die Kampfmoral der Taliban in Afghanistan wirken. Es stehen Racheakte bevor.

Ganz oben auf der Agenda

Schon oft hatte der CIA Drohnen gegen Baitullah Mehsud fliegen lassen. Erst im Juni wurde dabei ein Trauerzug mit 45 Menschen getroffen – Mehsud entkam. Er konnte fliehen, weil er Schutzengel im pakistanischen Militär hatte. Islamabad versuchte in den vergangenen Jahren immer wieder, unter der Hand Friedensabkommen mit dem "Staatsfeind" zu schließen. Im August 2008 war es Mehsud, der einen Deal bekannt gab, auch wenn Islamabad hektisch dementierte.

Wenn der Taliban-Chef jetzt quasi unter dem Druck der USA zum Abschuss freigegeben wurde, ist das mehr als nur ein Indiz für eine neue, großartige Zusammenarbeit zwischen dem CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI. Diese Liaison begann im April mit einem geheimen Besuch des neuen ISI-Chefs, General Ahmed Shuja Pasha Qureshi, bei CIA-Chef Leon E. Panetta in Washington. Die beiden Herren setzten damals eine Ausschaltung Mehsuds ganz oben auf ihre Agenda. Qureshi ist ein Mann nach Washingtons Geschmack, seine Nominierung als ISI-Chef durch General Kayani wurde als signifikante Wende in den amerikanisch-pakistanischen Beziehungen gewertet. Kayanis pro-talibanische Vergangenheit, die – behaupten böse Zungen – noch nicht ganz zu Ende ist, kennt man in Washington sehr wohl. Admiral Mike Mullen, Chef der „joint chiefs of staff“, hat es sich jedoch zur Aufgabe gemacht, Kayani öffentlich zu rechtfertigen und zu decken, wo immer es geht.

Man zeigt in Washington durchaus Verständnis für die pakistanische Strategie, gute Beziehungen mit den Taliban in Afghanistan zu pflegen. Diese Kontakte sollen garantieren, dass bei einem Abzug der US- und NATO-Truppen kein Vakuum entsteht, in dem sich Erzfeind Indien breitmachen könnte. Der oft überspielte, jedoch tiefgreifende Interessenkonflikt zwischen Washington und Islamabad, der sich hier auftut, wird geflissentlich übersehen, geht es doch ganz offenbar um mehr als den Krieg in Afghanistan: um die Verankerung einer amerikanischen Machtbasis in Südostasien.

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