In der Bedürftigkeitsfalle

Rente Sozialministerin von der Leyen verspricht eine bessere Alterssicherung für Geringverdiener. Aber ihr umstrittenes Konzept ist eine Mogelpackung
Wer kann sich in Zeiten von Altersarmut den sonntäglichen Kirschkuchen mit Heißer Schokolade plus Sahne noch leisten?
Wer kann sich in Zeiten von Altersarmut den sonntäglichen Kirschkuchen mit Heißer Schokolade plus Sahne noch leisten?

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Nach monatelangem politischen Gezerre hat Sozialministerin Ursula von der Leyen jetzt einen überarbeiteten Gesetzentwurf für die überfällige Rentenreform vorgelegt, der am 29. August vom Bundeskabinett beschlossen werden soll. Doch schon jetzt ist neuer Streit programmiert. Denn das Konzept gegen Altersarmut hält nicht, was es verspricht.

Angetreten war von der Leyen in ihrem Rentendialog bereits im vergangenen Jahr damit, Lebensleistung gerecht zu belohnen und künftige massenhafte Armut im Alter zu verhindern. Dazu hatte die CDU-Politikerin monatelang öffentlichkeitswirksame Debatten mit Politik und Verbänden inszeniert. Ihr ursprünglicher Reformvorschlag hatte es im Frühjahr allerdings nicht einmal bis zum Bundeskabinett geschafft.

Der Staat stockt auf

Auch in dem neuen Gesetzentwurf bleibt das Herzstück eine staatlich aufgestockte sogenannte Zuschussrente von maximal 850 Euro für Geringverdiener mit langjähriger Erwerbstätigkeit. Dies klingt verlockend, ist aber für viele betroffene Menschen unerreichbar. Daran ändert auch nichts, dass jetzt für Kindererziehung und Pflege – mithin vor allem für Frauen – höhere Zusatzleistungen gezahlt werden sollen. Denn diese Frauen können die Voraussetzungen für die zusätzlichen Rentenleistungen oft nicht erfüllen.

Darüber hinaus soll die Zuschussrente quasi „verharzt“ werden: Nachzuweisen ist die eigene Bedürftigkeit, und dabei sollen auch Einkommen und Vermögen aller weiteren Personen in der Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden. Die Zuschussrente wird damit an Stelle der progagierten Anerkennung der Lebensleistung für die betroffenen Menschen endgültig zur Bedürftigkeitsfalle.

Geschäft der Finanzbranche

Andererseits kommen auf die Beitragszahler zur gesetzlichen Rentenversicherung mit der Zuschussrente Mehrkosten zu, die bis zum Jahr 2030 auf 3,2 Milliarden Euro ansteigen. Die Finanzbranche darf dagegen auf gute Geschäfte zählen, da die Gewährung der Zuschussrente von dem Nachweis einer privaten Altersversorgung abhängig ist.

Die Hürden für die Zuschussrente, die im Jahr der Bundestagswahlen 2013 eingeführt werden soll, sind hoch. Wer sie beantragen will, muss Versicherungszeiten von insgesamt 40 Jahren nachweisen. Das gilt bis 2023. Danach sind sogar 45 Jahre gefordert. Derartige durchgängige Erwerbsbiografien wird es aber angesichts von Langzeitarbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung künftig immer seltener geben.

Jenseits der Lebensrealität

Auch hilft es wenig, dass von der Leyen Zeiten von Schulbildung, Ausbildung und Arbeitslosigkeit anrechnen lassen will. Denn noch höher sind die Hürden bei der Beschäftigung mit Sozialversicherungspflicht: Nachgewiesen werden müssen 30 Jahre (bis 2023) beziehungsweise 35 Jahre. Immerhin will die Sozialministerin dabei zehn Jahre pro Kind sowie die Pflege von Angehörigen anrechnen.

Dennoch werden nach der Lebensrealität nur wenige geringverdienende Frauen mit lückenhaften Erwerbsbiografien – und sie müssen Altersarmut ja am meisten fürchten – diese Barriere überwinden. Gerade wenn sie für mehrere Kinder und zu pflegende Angehörige Verantwortung tragen, können sie kaum noch zusätzlich eine kontinuierliche Erwerbsarbeit leisten und davon ihre Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Nicht für Minijobber

Das gravierendste Problem ist jedoch der weitgehende Ausschluss geringfügiger Beschäftigung bei der Gewährung der Zuschussrente. Mit 7,4 Millionen sind die 400 Euro Jobs ohne eigene Sozialversicherung für die Beschäftigten schon längst keine Ausnahme mehr, sondern werden immer mehr zur Arbeitsrealität vor allem für Frauen, die ihre Kinder alleine erziehen oder nach der Familienphase wieder arbeiten. Etwa zwei Drittel dieser Minijobber sind Frauen.

Für die große Mehrheit von ihnen ist dies die einzige Erwerbstätigkeit. Für sie ist nicht nur Armut bei Arbeit, sondern auch im Alter programmiert. Nur etwa sieben Prozent der Minijobber leisten freiwillig Beiträge zur Rentenversicherung. Dies ist durchaus verständlich: Ein Jahr Beitragszahlung in einem 400 Euro Job ergibt gerade einmal eine monatliche Rente von etwas mehr als vier Euro; nach 45 Beitragsjahren wären dies dann etwa 183 Euro, mithin weit unter der Armutsgrenze der Grundsicherung. Außerdem werden die Betroffenen infolge der vielfältigen sonstigen – vor allem familiären Verpflichtungen – kaum die für die Zuschussrente erforderlichen Beschäftigungsjahre erreichen.

Falsche Erwartungen

Eine Zuschussrente, die Minijobs ausschließt, unterläuft das Ziel, Altersarmut zu bekämpfen. Viele dieser Frauen haben in ihrem Leben für die Familie, die Kinder, zu pflegende Angehörige und in Minijobs mit Hungerlöhnen für unsere Gesellschaft viel geleistet. Bei ihnen mit Public Relations-Manövern falsche Erwartungen zu wecken, lässt Verantwortung und Anstand vermissen.

Dies gilt noch mehr für die weitere Zugangsvoraussetzung, den Nachweis einer privaten Zusatzrente. Die Bundesarbeitsministerin rechtfertigt dies damit, Eigenvorsorge solle belohnt werden. Dabei sind gerade Geringverdiener trotz der großzügigen steuerlichen Förderung häufig nicht in der Lage, die zusätzlichen Beiträge aufzubringen und vor allem bei den privaten Alterssicherungsprodukten die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Bindung des Zugangs zur Zuschussrenten an die private Altersvorsorge bedeutet, dass die betroffenen Menschen zum Abschluss privater Zusatzrenten gedrängt werden ohne ausreichende Prüfung der Bonität – und dies auch noch in Zeiten unabsehbarer nationaler und europäischer Finanzkrisen.

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