Die Unfreiheit des Wortes

Informationstabus Zwei russische Journalisten über die Pressefreiheit à la Putin

Natürlich herrscht Meinungsfreiheit in Russland. Problematisch wird die Freiheit nur, wenn man seine Meinung gesagt hat. Über diese in bitteren Galgenhumor verpackte russische Einsicht könnte man schmunzeln. Doch die Erfahrungen russischer Journalisten zeigen, dass die Lage ernst ist.

In der alljährlich von der Organisation Reporter ohne Grenzen vorgelegten Rangliste der Pressefreiheit belegt Russland den 138. Platz von insgesamt 167 Staaten. Russlands noch bis 2008 amtierender Staatschef Wladimir Putin findet sich auf der Liste der "Feinde der Pressefreiheit" und ist dort in der schlechten Gesellschaft von Alexander Lukaschenko, Fidel Castro, Mahmud Ahmadinedschad und Kim Jong-Il. Die Aufnahme in diesen wenig illustren Kreis schaffte Putin durch die konsequente Unterwerfung der für die politische Meinungsbildung relevanten Medien unter die Kontrolle der Staatsmacht. Was im Jahr 2000 mit der Übernahme des Fernsehsenders NTW durch das staatliche Unternehmen Gazprom begann, endete damit, dass heute alle überregionalen Fernsehsender in Putins Russland dem Staat oder Unternehmen, an denen der Staat die Aktienmehrheit besitzt, gehören. Bei den Printmedien sieht die Situation ähnlich aus.

Nachrichtensendungen erinnern an vergangen geglaubte Zeiten: "Dies waren die Neuigkeiten über den Generalsekretär. Und nun das Wetter." Bei dieser Lage von Nachrichtenvielfalt oder gar Pluralismus zu nennen, spräche der Realität Hohn. Die Pressefreiheit à la Putin ist geprägt von zahlreichen, entweder vom Staat direkt oder von den Medieneignern auferlegten Tabus. Die Zensur, und sei es nur die Selbstzensur der Journalisten, ist allgegenwärtig. Die Schere in den Köpfen der Meinungsmacher ist, vor allem angesichts der jüngst erlassenen Gesetzesänderungen, denen zufolge nun jegliche Kritik an Repräsentanten des Staates als Extremismus geahndet werden kann, reine Überlebensstrategie. Bereits 2004 konstatierte Reporter ohne Grenzen: "Russland gehört zu den wenigen Ländern in Europa, in denen kritische Journalisten um ihre Freiheit, ihre Gesundheit oder im Extremfall um ihr Leben kämpfen müssen."

Dass sich seitdem nichts zum Guten verändert hat, zeigen die jüngsten Fälle: so wurde die Onlinezeitung www.cursiv.ru Ende Mai für einige Zeit aus dem Netz genommen, da die Staatsanwaltschaft aufgrund eines satirischen Artikels unter der Überschrift "Putin, Russlands Phallussymbol" gegen den Herausgeber Vladimir Rachmankov ermittelte. Die Glosse wurde von den Strafverfolgungsbehörden als "Beleidigung eines Staatsrepräsentanten" aufgefasst, nach Paragraf 319 des Strafgesetzbuches drohen Rachmankov deshalb bis zu zwölf Monate Zwangsarbeit. Damit ist er im Vergleich zu seinem Kollegen Jewgeni Gerasimenko noch gut bedient, der für seine Zeitung über Korruption der lokalen Behörden in Saratow recherchierte. Ende Juli wurde Gerasimenko in seiner Wohnung mit Folterspuren am Körper und einer Plastiktüte über dem Kopf tot aufgefunden. Sein Computer war verschwunden. Auf Aufklärung dieses Mordes besteht wenig Hoffnung: Für keinen der mindestens 13 Journalistenmorde seit dem Jahr 2000 wurden bisher die Täter ermittelt.

Zwei Bücher bieten nun Einblicke in das russische Journalistenleben in Zeiten der gelenkten Demokratie. Beide Autoren haben für ihre in Russland offenbar nicht tragbare Berufsauffassung bitter bezahlt: Elena Tregubova entging nach der Veröffentlichung ihres Buches Geschichten eines Kreml-Diggers nur knapp einem Bombenanschlag vor ihrer Wohnung. Der Militärjournalist Pasko war aufgrund des absurden Vorwurfs der Spionage insgesamt fast sechs Jahre inhaftiert.

"Das heutige Russland ist für mich ein Land, in dem Putin mir Berufsverbot erteilt hat", schreibt Elena Tregubova im Vorwort zur deutschen Ausgabe ihres Buches. "Das heutige Russland ist ein Land, in dem zur Jagd auf alle unabhängigen Journalisten geblasen wird, die nicht das Loblied auf Putin singen wollen und ihn für den Völkermord in Tschetschenien kritisieren."

Elena Tregubova ist eine junge, gut aussehende Journalistin, die für sich in Anspruch nimmt, sie habe Putin entdeckt. Ihre ersten Schritte ins Journalistenleben machte sie in jener aufregenden Zeit, als die Demokratie in Russland noch möglich schien, als "Großvater Jelzin" auf Panzer kletterte und der Bevölkerung gewisse Freiheiten schenkte. In jener Zeit hatte es der ehrgeizige Geheimdienstmitarbeiter Wladimir Wladimirowitsch Putin auf den Posten eines Abteilungsleiters im Kremlstab geschafft. Ihr Interview, das Tregubova für den Kommersant, einer seinerzeit noch durchaus unabhängigen Zeitung, mit dem unscheinbaren Kremlbeamten Putin führte, schlug "in Politikerkreisen ein wie ein kleine Bombe". Der Chef der Hauptkontrollverwaltung des Präsidenten Jelzin tat sich durch markige Sprüche zur Korruptionsbekämpfung hervor und brachte gleich zu Beginn des Gesprächs den "Lieblingsmythos der Tschekisten" zur Sprache: Nur der Geheimdienst sei in der Lage, das Land zu reformieren. Bereits zwei Jahre später, im August 1999, bekam Wladimir Putin, nunmehr Chef des russischen Geheimdienstes FSB, durch die unerwartete Ernennung zum Premierminister durch Jelzin die Chance, seine "Vision" von der Reformierung Russlands Wirklichkeit werden zu lassen.

Tregubovas Buch ist keine politische Analyse, sondern ein boulevardesk gehaltener Kommentar zur Entwicklung der russischen Gesellschaft. Die in besseren Zeiten im Kreml-Pool akkreditierte Journalistin beschreibt, wie das Land unter der Herrschaft des einstigen Tschekisten zu einer Scheindemokratie verkommen ist, in der die Angst vor Ahndung von Verstößen gegen unausgesprochene Informationstabus (oberste Regel: "Es ist verboten, Putin zu kritisieren") Journalisten zu willfährigen Mitgliedern der Propagandamaschinerie des Kremls mutieren lässt. Mit seiner Pressestelle nicht abgesprochene Fragen an den Präsidenten sind den Journalisten ebenso verboten wie Berichte über Vorkommnisse, die den Staatschef in unvorteilhaftem Licht zeigen. Wer kooperiert, wird mit Grillpartys und Wasserski am Schwarzen Meer belohnt, wer sich, wie Tregubova, dem Propagandaministerium nicht fügen will, mit Entzug der Akkreditierung, Verlust des Arbeitsplatzes, der persönlichen Freiheit oder gar des Lebens bestraft.

Elena Tregubovas Geschichten eines Kreml-Diggers (die deutsche Ausgabe Mutanten des Kreml ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung ihrer beiden russischen Bücher Geschichten eines Kreml-Diggers und Abschied eines Kreml-Diggers) wurden in Russland zum Sensationserfolg. Als das Buch kurz vor den Präsidentenwahlen 2003 erscheinen sollte (dies war, so die Autorin, nicht Kalkül, sondern Ergebnis einer schwierigen und langwierigen Verlagssuche), geriet der Kreml in Panik. Auf mysteriöse Weise verzögerte sich die Auslieferung der druckfrischen Exemplare. Bald jedoch kursierten in ganz Moskau Fotokopien eines vorab gedruckten Autorenexemplars, das die Journalistin einem befreundeten Politiker überlassen hatte, und Tregubovas Bericht wurde so zur ersten dissidentischen Samisdat-Veröffentlichung der Ära Putin. Die Gesetze des Marktes indes waren stärker als der Arm des Kremls. Ganz Russland riss sich um das Buch, die zweite Auflage war ausverkauft, bevor sie gedruckt war. Bis jetzt arbeiten die Störsender Putins zur Unterdrückung der "feindlichen Stimmen" also nicht mit jener Präzision der alten Sowjetunion. Wenn nicht durch den Erfolg ihres Buches, so wurde Tregubova spätestens nach dem Bombenanschlag in ihrem Haus im Februar 2004 (der, wie die Autorin überzeugend darlegt, nur ihr gegolten haben kann) zur international bekannten Kämpferin für die Pressefreiheit in Russland. Und man wünscht ihr, dass dies ihr Schutzschild vor weiteren Übergriffen sein möge.

Dass internationale Bekanntheit indes nicht unbedingt vor Verfolgung schützen muss, zeigt der Fall des Militärjournalisten Grigori Pasko, der bereits Ende 1997 Opfer der damals in Russland einsetzenden Manie wurde, überall Spione zu vermuten. Nach einer Dienstreise wurde der Marineoffizier bei seiner Rückkehr nach Russland direkt am Flughafen festgenommen. Der Vorwurf: Landesverrat. Pasko hatte den japanischen Medien Informationen über die Entsorgung atomarer Abfälle ins Pazifische Meer durch die russische Flotte zugespielt. Nicht etwa die dafür Verantwortlichen zu bestrafen, sah sich der russische Staat in der Pflicht, sondern den, der dieses Umweltvergehen öffentlich machte. Nach fast zweijähriger Untersuchungshaft wurde Grigori Pasko 2001 trotz der Proteste zahlreicher internationaler Organisationen und Medien zu vier Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt, aus der er schließlich 2003 überraschend frei kam.

Nach dem Essay Honigkuchen. Anleitung zum Überleben hinter Gittern, der bereits im Frühjahr erschien, legt Grigori Pasko nun sein Gefängnistagebuch Die rote Zone vor, das er während der Haftzeit führte, um unter den Bedingungen des russischen Strafvollzugs nicht wahnsinnig zu werden. Diese Bedingungen menschenunwürdig zu nennen, wäre euphemistisch. Mit großer literarischer Kraft schildert Pasko sein Leben zwischen Hundehütte (einer mit fünf bis sechs Mann belegten Kleinzelle), Schlachtschiff (einer überbelegten größeren Zelle, in der die Insassen in Schichten schlafen) und Einzelhaft. Gefängnisfraß. Psychoterror. Hoffnungslosigkeit. Paskos Tagebuch ist der Gedankenfluss eines Ausgelieferten. Es ist kaum gegliedert - selbst die Datumsangaben sind spärlich - und vermittelt so den qualvoll sich hinziehenden Gefängnisalltag. Man glaubt es kaum, dass jemand so etwas überleben kann.

Elena Tregubova und Grigori Pasko sind Beispiele dafür, was einem kritischen Journalisten in Russland blühen kann. Auch wenn die ständigen dramatischen Vergleiche beider Autoren mit dem Jahr 1937 (dem Höhepunkt der stalinistischen Repressionen) und dem Faschismus übertrieben sind (dies ist denn doch eine Verharmlosung der Geschichte), sind ihre Erfahrungen zugleich Beispiele für die Strategie des Kremls, Kritiker mundtot zu machen. Einer Strategie, die aufzugehen scheint. Auch, weil die Politiker des Westens Putins Demokratie-Spiel allzu gern mitspielen und sich mit Kritik bescheiden zurückhalten. Möglicherweise liegt dies auch daran, dass sie selbst im Moment mit der Abschaffung zivilgesellschaftlicher Errungenschaften im eigenen Lande vollauf beschäftigt sind.

Elena Tregubova: Die Mutanten des Kreml. Mein Leben in Putins Reich. Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja und Franziska Zwerg. Tropen, Berlin 2006, 377 S., 19,80 EUR

Grigori Pasko: Die Rote Zone. Ein Gefängnistagebuch. Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit. Wallstein, Göttingen, 368 S., 24,90 EUR

Grigori Pasko: Honigkuchen. Anleitung zum Überleben hinter Gittern. Mit einem Nachwort von Thomas Roth. Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit. Wallstein, Göttingen, 64 S., 10 EUR


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