Am 15. Oktober geht Internationale Frauenuniversität (ifu) in Hannover zu Ende. Rund 900 Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen und 230 Dozentinnen haben drei Monate lang in verschiedenen Projektbereichen zusammengearbeitet: Information, Körper, Migration, Stadt, Arbeit und Wasser.
Die Teilnehmerinnen kamen aus insgesamt 115 Ländern, knapp zwei Drittel davon aus der sogenannten Dritten Welt und Osteuropa. Im ifu-Jargon wurden sie »students« genannt, ein etwas irreführender Begriff, denn die Zulassungsbedingung war neben Englischkenntnissen ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Den ifu-Initiatorinnen rund um die Kasseler Hochschulforscherin Ayla Neusel ging es nicht um Studienanfängerinnen, sondern um die Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses. Die ifu war ein organisatorisches Gesamtkunstwerk von sechs kooperierenden Hochschulen: Der Projektbereich »Information« war an der Uni Hamburg angesiedelt, der Bereich »Stadt« fand an der Gesamthochschule Kassel statt, »Wasser« gab es in der Fachhochschule Suderburg, »Körper« an den Universitäten von Hannover und Bremen, »Arbeit« an der Uni Hannover und der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld. Der Vormittag startete mit einer geballten Ladung Theorie: Vorlesungen, Vorträge, Diskussionen. Nachmittags stand praxisnahes Arbeiten auf dem Programm. Außerdem wurden Kunstaktionen, Performances, Exkursionen, Ausstellungsbesuche und öffentliche Diskussionsrunden (»Open Space«) abgehalten.
In dreierlei Hinsicht versuchte sich die ifu als »Universität von morgen«. Die Internationalität ermögliche es, so ifu-Präsidentin Ayla Neusel, »mit den Köpfen anderer zu denken«. Die Interdisziplinarität in den Projektbereichen mache es möglich, sich brennenden Menschheitsfragen wie Wassermangel oder Stadtverslumung adäquat zu nähern. Und die Integration von Wissenschaft und Kunst erweitere die Interdisziplinarität noch zusätzlich, der Dialog zwischen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen schaffe einen neuen Experimentalraum.
Die ifu war geprägt von vier Themen: Liebe, Leben, Schweigen, Furcht. Wir haben Liebe auf so viele Art erfahren können. Die besondere Gemeinschaft der Frauen war voller Leben, Kreativität und Energie. Das Ende der ifu ist unser Anfang. Schweigen ist Negation. Unsere Träume und Hoffnungen können nicht länger zum Schweigen gebracht werden. Während der IWF-Tagung haben wir die Furcht überwunden: In den Straßen Prags marschierten wütende ifu-Frauen, die bereit waren zu kämpfen. Die ifu möchte die internationale Solidarität leben. Ich danke allen für das Privileg, eine solche außergewöhnliche Erfahrung gemacht haben zu dürfen. Ee Hong Khoo, Projektbereich Migration, Taiwan
Jubelnder Beifall unter den rund tausend Zuhörerinnen in der Universität Hannover. Das, was Ee Hong »Agnes« Khoo bei der Abschlusszeremonie der Internationalen Frauenuniversität (ifu) formulierte, sprach offenbar den meisten aus dem Herzen - politisch wie persönlich. Nun, nach genauso anstrengenden wie aufregenden drei Monaten, fahren die ifu-Studentinnen wieder in die 115 Länder zurück, aus denen sie gekommen waren. Dann wird es darum gehen, wie sie das Gelernte umsetzen - die einen als Wissenschaftlerinnen, die anderen als Basisaktivistinnen, NGO-Mitarbeiterinnen oder Künstlerinnen.
»Ich möchte der ifu-Präsidentin gratulieren zu dieser einzigartigen Initiative. 14 ältere Frauen in meinem Dorf wollten endlich eine Lösung für unser Trinkwasserproblem finden, nachdem die Nationale Wassergesellschaft fortgejagt wurde. Dafür habe ich hier sehr viel Wissen anhäufen können. Aber wir hatten auch viel Spaß, wir haben vieles selbst organisiert: gemeinsame Tanzstunden, Deutschunterricht, Bibelstunden. Wir haben alles miteinander geteilt.« Adeline Foto Nee Mbenkum, Projektbereich Wasser, Kamerun
Auch die Rede der Afrikanerin im leuchtend gelben Kleid wurde viel beklatscht. Adeline Mbenkum konnte stolz bekannt geben, dass in ihrem Projektbereich ein »Internationales Frauennetzwerk zur nachhaltigen Wasserbewirtschaftung« gegründet worden sei. Es solle in Deutschland und Österreich digital koordiniert und mit zwei Regionalbüros in Asien und Afrika ausgestattet werden. Jetzt schon seien elf konkrete Wasserprojekte geplant.
Wir haben ein weltweites Kontaktnetz geschaffen und Bildungsthemen neukonzeptualisiert. Wir sind weiter gekommen als irgendeine andere Hochschule in Deutschland. Ayla Neusel, ifu-Präsidentin
Die Präsidentin, Professorin und Hochschulforscherin an der Gesamthochschule Kassel, zeigte sich in ihrer Rede auf der dreistündigen Abschlussveranstaltung ebenfalls hochzufrieden. So vieles hätten sie gewollt und das meiste erreicht. In ihren Sprechstunden habe sie immer gehört, dass die internationalen Begegnungen »der beeindruckendste und zukunftsweisendste Aspekt« der ifu seien.
Wenn wir in meinem Wohnheim zusammen gegessen haben, waren alle Kontinente am Tisch vertreten. Eine einmalige Erfahrung. Schon allein deshalb hat sich die ifu gelohnt. Malgorzata Radkiewicz, Projektbereich Information, Polen
Wen man auch fragte unter den Teilnehmerinnen: Alle waren sich einig, dass die Internationalität der ifu ihr gelungenster Aspekt sei. Der »Clash der Kulturen« verlief überaus fruchtbar und friedlich, größere Konflikte blieben aus, kleinere waren meist lösbar.
Ich fand es spannend zu sehen, dass auch wir selbst Vorurteile abbauen und lernen müssen, keine voreiligen Schlüsse aus dem Äußeren von Menschen zu ziehen. Meine Kollegin hier sieht aus wie eine Inderin, aber sie ist aus Südafrika. Ich sehe aus wie eine Europäerin, aber ich bin aus Lateinamerika. Emma Ferreira, Projektbereich Migration, Kolumbien
Etwas holpriger hingegen gestaltete sich die programmatische Interdisziplinarität der ifu, also die angestrebte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Wissens-Disziplinen in den einzelnen Projektbereichen sowie zwischen Wissenschaft und Kunst. Hier müsse noch genauer überlegt und vorbereitet werden, bilanzierte Sabine Kunst, deutsche Dekanin des »Wasser«-Bereichs. Die verschiedenen Anliegen von Ingenieurinnen und Künstlerinnen seien nun mal nicht immer auf Anhieb vermittelbar.
Es war wunderbar, diese Energie mit euch allen zu teilen. Für mich war das größte Highlight die Exkursion ins Wendland und die Begegnung mit diesen wunderbaren Frauen, die dort seit Jahren gegen Atomkraft kämpfen. Das war ungeheuer wichtig für mich als Anti-Nuklear-Aktivistin. Bindu Panikkar, Projektbereich Körper, Indien und USA
Nur eines stieß bei vielen Teilnehmerinnen auf Kritik: das kompakte Veranstaltungsprogramm. Es sei zu wenig Raum geblieben fürs Atemschöpfen, für zwanglose Treffen, für die Neuorientierung in einem völlig fremden Land. Auch die Initiatorinnen räumten ein, dass sie hier vielleicht zu ehrgeizig gewesen seien. Sie hätten »ein ganz hohes Niveau« gewollt, gab Helga Schuchardt, Ex-Wissenschaftsministerin von Niedersachsen, zu.
Ich habe Erfahrungen in vielen Ländern gemacht, aber eine so internationale Zusammensetzung habe ich noch nie erlebt. Es war viel Arbeit und auch Frustration, aber dennoch eins der interessantesten und faszinierendsten Erlebnisse in meiner akademischen Karriere. Mirjana Morokvasic-Müller, internationale Dekanin des Projektbereichs »Migration«, Frankreich
In einem Foyer der Universität, wo die Teilnehmerinnen eine Abschluss-Ausstellung organisiert hatten, war Morokvasic-Müllers Themenbereich Migration gleich mit zwölf verschiedenen Projekten vertreten. Die Ethnologin Heike Drotbohm zum Beispiel hatte gemeinsam mit anderen insgesamt zwölf Migrantinnen in Deutschland interviewt und das Ganze zu einer Videodokumentation zusammengeschnitten: »Being her own boss«. Ihr sei es um die Zerstörung des Klischees gegangen, meinte sie, dass Migrantinnen immer nur unsichtbar im Familienbetrieb hinter der Theke stünden. Andere »students« hatten mit einer Kamera festgehalten, wie Teilnehmerstaaten der Expo die Geschlechterrollen in ihren Ländern darstellten: glücklich lachende Männer, verschleierte Frauen hinterm Herd.
Die letzten drei Monate waren die herausforderndsten, stressigsten und aufregendsten in meinem ganzen Leben. Es gab durchaus auch Konflikte, aber die Geduld sich gegenseitig zuzuhören, machte die ifu erfolgreich. Resultate? Wir können sie nicht formulieren. Der weibliche Körper ist ein wesentlich konstituierendes Moment für die Gesellschaft, aber nicht eindeutig zu definieren. Wir wollten von Anfang an unser Subjekt nicht in wissenschaftlichen Kategorien verobjektivieren. Barbara Duden, deutsche Dekanin des Projektbereichs »Körper«
Kurzfilme, Video- und Tanz-Performances, Fotos, Gedichte. Nicht zufällig waren es vor allem künstlerische Projekte, die am Ende vom Projektbereich »Körper« präsentiert wurden. Ein subjektives Thema schreit nach einem subjektiven Zugang. In »Mensch! Expo?« machten sich zwei »students« über die Chemie-Ausstellung im Expo-Themenpark »Mensch« lustig. Und in »The first morning in exile« versuchte eine Frau aus Ex-Jugoslawien, ihre Fluchterfahrungen künstlerisch umzusetzen. Mit müden Augen stand sie vor dem Publikum: Sorry, sie habe die ganze Nacht am Fernseher die Machtenthebung MilosÂevic´s verfolgt. Und sie hoffe, dass es diesmal nun endlich klappe.
Ich wünsche der ifu ein langes Leben. Behaltet eure Energie, eure Radikalität und eure Militanz. Catherine David, ehemalige »documenta«-Leiterin
Alle Teilnehmerinnen, Dozentinnen, Initiatorinnen und Unterstützerinnen waren sich am Abschlussabend einig: Die Erfahrungen mit der ifu sind zu positiv, als dass man es bei einem einmaligen Experiment belassen könnte. Mindestens bis Ende dieses Jahres weiterbestehen wird auf jeden Fall die virtuelle ifu (www.vifu.de). Jede Teilnehmerin hat ein persönliches Passwort erhalten, mit dem sie auf die Plattform des ifu-Servers an der Berliner Humboldt-Universität gelangen und sich fachlich und menschlich mit anderen austauschen kann.
Was hat uns eigentlich geritten, die Zahl von tausend Studentinnen anzustreben? Wir wollten alles auf einmal. Tausend - das war ein Abenteuer. Das nächste Mal sollen es 120 bis 300 werden. Helga Schuchardt, ifu-Mitinitiatorin
Parallel zur »vifu« soll in den kommenden zwei Jahren die nächste Präsenzphase der ifu vorbereitet werden, berichteten die Initiatorinnen auf einer Pressekonferenz, die dann Ende 2002 oder spätestens Anfang 2003 startet. Diesmal nicht drei Monate lang mit 1.000 Teilnehmerinnen, sondern ein Jahr lang mit 120 bis 300 Postgraduierten, die am Ende einen international anerkannten »Master«-Abschluss erwerben können. Die Anträge dafür werden bereits geschrieben und die Gelder gesammelt.
Bildung ist ein Menschenrecht. Frauen sollten zu Akteuren des Wandels werden. Die ifu sollte weitergehen und zu einem herausragenden wissenschaftlichen Zentrum mit internationaler Anerkennung werden. Die Unesco wird alles tun, um sie zu unterstützen. Komlavi Seddoh, Unesco-Direktor für Höhere Bildung
ifu-Mitinitiatorin Helga Schuchardt favorisiert als Tagungsort erneut Hannover, andere sind davon nicht ganz so begeistert. Manfred Stassen vom Deutschen Akademischen Austauschdienst zeigte sich in seiner Abschlussrede nicht überzeugt, dass die nächste Phase wiederum in Deutschland stattfinden muss. Er könne sich auch einen Ort in Afrika oder Lateinamerika vorstellen.
Von der ifu geht ein weltweites Signal für die Gleichberechtigung von Frauen in Wissenschaft und Forschung aus. In Deutschland sind wir von gleichen Chancen für Frauen und Männer immer noch weit entfernt. Nur knapp zehn Prozent aller Professuren an Hochschulen besetzen Frauen. Mein Ziel für 2005 liegt bei mindestens 20 Prozent. Edelgard Bulmahn, Bundesbildungsministerin
Die niedersächsische SPD hat dem ifu-Kuratorium bereits signalisiert, die Vorbereitungen für die nächste ifu-Präsenzphase finanziell unterstützen zu wollen. Eine halbe Million Mark soll es werden. Auch das Bundesbildungsministerium wird der Frauenuniversität wohl erneut eine Summe zur Verfügung stellen. 18 Millionen Mark hat die jetzt zu Ende gehende gekostet.
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