Der Vorrang für zivile Konfliktaustragung in der deutschen Außenpolitik war nur eine Modeerscheinung. Jetzt trägt man wieder Soldatengrün. Diesen Eindruck hinterlässt jedenfalls ein soeben vom Bundeskabinett klammheimlich verabschiedeter Report mit dem Titel „3. Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“.
Der Hintergrund: Wenn Friedensaktivisten und Diplomaten, Entwicklungshelfer und Menschenrechtsschützer Krisen so bekämpfen, dass sie erst gar nicht gewaltsam ausgetragen werden, ist das erstens humaner und zweitens billiger. Von dieser Erkenntnis getragen, hatte 2004 die rot-grüne Bundesregierung besagten Aktionsplan samt Berichtspflicht verabschiedet. Wäre er umgesetzt worden, hätte Deutschland sich als Friedensmacht profilieren können. Die Projektleitung hätte im Kanzleramt angesiedelt und mit medialen Paukenschlägen begleitet werden können. Doch schon Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer rührten dafür keine Hand. Stattdessen wurde die Aufgabe einem zerstrittenen interministeriellen Ressortkreis plus machtlosem Beirat übertragen.
Die beiden Koalitionen seither machten nichts besser, so dass die zivile Krisenprävention in ihren Anfängen stecken blieb – jenseits der öffentlichen Wahrnehmung. Alle drei Umsetzungsberichte beklagen tränenreich das mangelnde mediale Interesse. Zum Vergleich: Für das Weißbuch von 2006 warb das Verteidigungsministerium mit einer langandauernden Kampagne und einem fetten „www.weissbuch.de“.
Auch hat die Existenz des Zivilen Aktionsplans nichts an der Übermacht des Militärs geändert, obwohl gerade höhere Offiziere verstärkt auf zivile Maßnahmen pochen. Wiewohl der Etat für zivile Konfliktaustragung erhöht wurde, gab die Bundesregierung laut einer Aufstellung des „Bundes für soziale Verteidigung“ (BSV) 2009 immer noch über 30-mal so viel für Bundeswehr und Rüstung aus: 32 Milliarden Euro versus knapp 900 Millionen fürs Zivile. Im Bericht indes werden keine klaren Zahlen genannt. Für 2010 schätzt die BSV-Vorsitzende Ute Finckh den Etat auf gut eine Milliarde Euro – aber nur dann, wenn man die Zivilausgaben für Afghanistan einberechnet, die weniger stark stiegen als die fürs dortige Militär.
40 Millionen Euro gestrichen
Und selbst dieses Verhältnis dürfte sich noch stark verschieben. Denn nach den Zahlen, die diese Woche aus dem Auswärtigen Amt sickerten, wird in dessen Haushalt 2011 ausgerechnet bei der zivilen Krisenprävention am heftigsten gekürzt: Im Bereich Krisenprävention wird Guido Westerwelles Amt die Ausgaben offenbar um fast 40 Millionen Euro auf 90,3 Millionen Euro senken.
Seit Übernahme des Außenministeriums durch Guido Westerwelle (FDP) ist dort der Betriebswirt Georg Birgelen für den Aktionsplan sowie für humanitäre Hilfe, Menschenrechte und Terrorismusbekämpfung zuständig. Zuvor verwaltete er jahrelang die Immobilien des Auswärtigen Amtes, was sich in Fachwissen wie Auftrittswesen spiegelt. „Ich als Auswärtiges Amt“, formulierte er jüngst vor Friedensaktivisten aus Afrika, Balkan und Nahost. Obwohl der Bericht den „Auftrag“ betont, Frauen als Friedensakteure zu stärken, fand er keine Zeit, ihren dramatischen Schilderungen zuzuhören.
Was unter Birgelens Aufsicht im neuen Bericht zusammengetragen wurde, zeigt die strategische Herunterwirtschaftung eines hoffnungsvollen Ansatzes. Nicht etwa die Zivilgesellschaft taucht als maßgeblicher Akteur auf. Der Report zählt als angebliche Krisenlöser auf: G8, Nato, Bundeswehr, Blauhelmtruppen, Grenzpolizei, Militärhilfe, Terrorismusbekämpfung.
Die „vernetzte Sicherheit“, ein Synonym für die militärzivile Kooperation unter Dominanz des Militärs, wird als „ganzheitlich“ gepriesen, namentlich „das Modell“ der Provincial Reconstruction Teams in Afghanistan. Dass deren Einsätze längst gescheitert sind, verschweigt der Bericht ebenso wie die massive Kritik deutscher Zivilorganisationen daran. „Die Vermischung von ziviler Hilfe und militärischen Einsätzen macht unsere Projektpartner verstärkt zur Zielscheibe“, flucht etwa der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Medico International Thomas Gebauer. „Die Folge sind tödliche Angriffe mit Opfern vor allem unter den lokalen Mitarbeitern der Hilfswerke.“ Ute Finckh moniert: „Es gab und gibt keine zivile Strategie für einen Friedensprozess in Afghanistan. Stattdessen stimmte die Bundesregierung auf der Afghanistan-Konferenz in London einer militärischen Strategie der Aufstandsbekämpfung zu, die ziviles Engagement nur als Mittel zum Zweck ansieht.“
Auch Weltbank und Privatwirtschaft geraten im Bericht zu Problemlösern. „Viele Unternehmen begreifen Konfliktbewältigung und -prävention als ein Eigeninteresse“, heißt es dort. Der quasi-religiöse Glaube, dass „good governance“ plus Unternehmertum Konflikte aus der Welt schaffen, zieht sich durch den Report. In Wirklichkeit verschärft es oftmals Konflikte, etwa bei der Ruinierung westafrikanischer Fischer durch EU-Fangflotten oder via Rüstungsexport. „Die Behauptung, die Entwicklung der Privatwirtschaft in Afghanistan leiste indirekt einen Beitrag zum Konfliktabbau, hat Orwellsche Qualität“, findet BSV-Vorstandsfrau Finckh.
Aber eine gute Nachricht bleibt am Ende: Die schwarz-gelbe Koalition hätte den Aktionsplan ganz killen können. So wird er den Schlaf des Gerechten schlafen – bis ihn vielleicht eine andere Regierung wachküsst.
Ute Scheub ist freie Journalistin und Publizistin. Ihr jüngstes Buch heißt "Heldendämmerung. Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist"
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