Die Regierung in Hanoi muss eine Hoffnung begraben. Bis Anfang 2005 schon sollte das Verfahren für einen Beitritt Vietnams zur Welthandelsorganisation abgeschlossen sein, vorerst aber bleibt der Zeitpunkt weiter offen. Ohnehin gibt es mit einer "Dumping"-Klage der EU eine neue Hürde: Europas Schuhhersteller sind alarmiert, weil die vietnamesischen Exporteure immer bessere Qualität zu immer niedrigeren Preisen liefern.
"Die europäische Schuhindustrie hat einfach den technologischen Anschluss verschlafen", wehrt sich Phan Thi Thanh Xuan gegen den Dumping-Vorwurf. Das Büro von LEFASO, dem Nationalen Verband der Schuh- und Lederindustrie, besteht aus zwei kleinen Räumen unweit vom Lenin-Park in Hanoi. Vom WTO-Beitritt erhofft sich die Vize-Generalsekretärin, "dass unsere Schuhe noch weiter laufen". Schon jetzt werden in Vietnam die meisten Markenschuhe produziert. Ein Streitschlichtungsverfahren, wie es für WTO-Mitglieder möglich ist, würde einen gewissen Schutz gegen willkürliche Handelsbeschränkungen bieten, doch eine "nicht-marktwirtschaftliche Ökonomie" steht unter Generalverdacht, "wettbewerbsverzerrende" staatliche Exporthilfen zu gewähren.
Wie mit Vietnam führt die WTO augenblicklich mit mehr als 30 Ländern Aufnahmegespräche - von Afghanistan über Russland bis Jemen. Dabei muss jeder Aspirant gegenüber einer Working Party, der im Fall Vietnams 40 WTO-Mitglieder angehören, überzeugend darlegen, wie er das bestehende WTO-Reglement zu respektieren gedenkt - bei Zöllen, Quoten, Tarifen, Lizenzen und Subventionen, bei der Anpassung des Patentrechts an das Abkommen über Geistige Eigentumsrechte (TRIPS) oder bei ausländischen Investoren, für deren Teilhabe an vietnamesischen Firmen bislang Grenzen gelten. Die Nationalversammlung in Hanoi ließ es zuletzt nicht an Goodwill fehlen und änderte im Eilverfahren Dutzende von Gesetzen.
Nach dem Vorbild der südostasiatischen "Tigerstaaten" wurde in Vietnam vor 15 Jahren begonnen, durch eine wirtschaftliche Liberalisierung und den Schutz gegen Importe Industrie und Landwirtschaft zu modernisieren und im internationalen Wettbewerb zu platzieren - mit einigem Erfolg: seit 2001 ist das Bruttosozialprodukt um über 30 Prozent gestiegen, der Export von Erdöl und Kohle, Tee und Kaffee, Reis und Fisch, Textilien und Lederwaren expandiert - vorzugsweise in die USA, nach Japan und in die EU. Dennoch gehört das Land mit einem Bruttosozialprodukt von 435 Dollar je Einwohner noch immer zu den ärmeren Entwicklungsländern, auch wenn die Armutsrate in den neunziger Jahren auf 29 Prozent der Bevölkerung halbiert werden konnte.
Die erwähnte Working Party bietet den dort vertretene WTO-Mitgliedern eine vorzügliche Gelegenheit, sich im eigenen Interesse schadlos zu halten. Jeder kann die Vietnamesen auffordern, Handels- oder Investitionsbarrieren zu beseitigen, die als besonders störend gelten. Insofern gedenkt Australien, den vietnamesischen Binnenmarkt mit seinen Überschüssen an Rindfleisch zu beglücken - Neuseeland will eben dort Milchprodukte, die EU ihre herunter subventionierten Mais- und Zuckerüberschüsse loswerden. Dementsprechend wird Hanoi gedrängt, Einfuhrquoten und Zölle drastisch zu verringern. Da Vietnams Ausfuhren zum Verfall der Weltmarktpreise für Kaffee beigetragen haben, verdächtigen andere Produzenten das Land der Exportsubventionierung und verlangen, mit dem WTO-Beitritt jede staatliche Hilfe für vietnamesische Kaffeebauern zu stoppen.
Hinter den Türen der Working Party, die inzwischen zehnmal am WTO-Sitz in Genf getagt hat, wird gefeilscht, gedroht, erpresst - wenig davon dringt nach außen. Vietnam wird vermutlich geringere Vergünstigungen und höhere Verpflichtungen ("WTO-Plus") hinnehmen müssen, als sie für die 148 Altmitglieder - reiche Industrieländer ebenso wie wenig entwickelte, verschuldete Länder des Südens - gelten. Es dürften niedrigere Zölle, kürzere Anpassungsfristen, weniger Schutz- und Subventionierungsmöglichkeiten für die einheimische Ökonomie verordnet werden als anderswo.
Eine Flut billiger Importe nach Vietnam ist daher absehbar und geeignet, dessen Landwirtschaft und Industrie nicht eben zu fördern. Selbst ein zeitlich begrenzter Schutz gegen einen solchen "Import-Schock", wie ihn bisher etliche WTO-Mitglieder in Anspruch nehmen konnten, soll Vietnam nur begrenzt zugestanden werden.
Inzwischen scheint für Hanoi eine Schmerzgrenze erreicht, jedenfalls wandte sich der WTO-Verhandlungsführer, Vize-Handelsminister Luong Van Tu, bei der Gesprächsrunde im September geradezu flehentlich an "einige WTO-Mitglieder", "größere Flexibilität" zu zeigen und "Vietnam nicht zu zwingen, WTO-Plus-Verpflichtungen und Doppelstandards zu akzeptieren".
Das sei nicht nur Verhandlungstaktik, meint Oxfam-Mitarbeiterin Le Kim Dung, die in Hanoi die langwierigen Verhandlungen beobachtet. Sie glaubt, dass in den bisherigen Gesprächen bereits Konzessionen gemacht wurden, die beträchtlich seien. Niedrigere Einfuhrhürden gefährdeten eine vorwiegend kleinbäuerlich geprägte Agrarwirtschaft, die jetzt schon unter der Konkurrenz aus China leide. Was werde erst geschehen, sollten staatliche Agrarsubventionen für die ärmeren Regionen entfallen? Die Beitrittskonditionen, so Le Kim Dung, könnten die positiven Beitrittsfolgen beim Export und bei Auslandsinvestitionen relativieren und viele Regionen wieder verarmen lassen - die einen würden gewinnen, doch viele würden verlieren. Schöpferische Zerstörung sei nicht zu vermeiden, nur habe Vietnam keine Alternative zum WTO-Beitritt. "Es gibt nun einmal keine absolute Gerechtigkeit, die Großen haben immer mehr gewonnen".
Vietnams Ökonomie
Quelle: Auswärtiges Amt/Länderinfo
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