Ilisu und Maheshwar

50 JAHRE HERMES-BÜRGSCHAFTEN Sicheres Geld für die Exporteure -Umweltschäden, Umsiedlungen, Aufrüstung und fragwürdige Prestigeprojekte in Empfängerländern

Noch ist ungewiß, ob nach dem Leopard 2 demnächst Ilisu, nach dem Panzer der Staudamm zum Türkei-Streit in der rot-grünen Regierung führen wird. Auf jeden Fall liegt ihr der Antrag einer deutschen Tochter des schweizerischen Sulzer-Konzerns vor, für das türkische Staudamm-Projekt eine Hermes-Bürgschaft zu gewähren - trotz verbreiteter, heftiger Kritik. Ilisu ist einer der zahlreichen Dämme im Kurdengebiet Südostanatoliens, mit denen die Türkei das Wasser von Euphrat und Tigris zur Bewässerung und Energiegewinnung nutzen will. Viele Dörfer würden überflutet werden, die Entschädigung der Menschen ist ungeklärt, zudem birgt das Projekt regionalen Zündstoff: die Türkei kann damit Irak und Syrien das Wasser abstellen. Daher meint die Entwicklungsorganisation WEED, dass die Regierung eine Bürgschaft ablehnen muß, "wenn es ihr ernst ist mit einer neuen Politik der Krisenprävention und der nachhaltigen Entwicklung". Gefordert sind damit nicht nur Umwelt- und Entwicklungsministerium, sondern auch der Außenminister.

Das Instrument der Hermes-Bürgschaften, das nicht nur im Fall Ilisu zum Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der rot-grünen Koalition wird, wurde bereits 1949 geschaffen, um der westdeutschen Industrie den Weg auf den internationalen Markt zu ebnen. Längst ist aus dem ehemaligen Provisorium eines der wichtigsten Mittel des Staates geworden, Exporte im Namen von Arbeitsplätzen zu fördern - mit nur dürftig verdecktem Subventionscharakter. Mit Hermes springt der Staat dort ein, wo privaten Versicherungen das Risiko zu groß ist - bei hochverschuldeten Ländern oder in politisch unsicheren Regionen, also beispielsweise in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion oder in Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas.

Gegen eine vergleichsweise geringe Gebühr bürgt der Staat dafür, dass Exporteure ihr Geld bekommen. Das Geschäftsrisiko verlagert sich so auf den Staatshaushalt, der fast jedes Jahr Geld zuschießen muss. Doch nicht nur deswegen steht Hermes seit Jahren in der Kritik. Die Kette von Projekten, bei denen sich die Frage nach der "Förderungswürdigkeit" aufdrängt, ist lang: Atomkraftwerke für Brasilien, U-Boote für Indonesien, Militärlastwagen für die Türkei, Industrieprojekte im Amazonasgebiet, der Drei-Schluchten-Staudamm in China, ein Großflughafen für Kameruns Hauptstadt Yaounde, der wirtschaftlich völlig unsinnig ist. Und ein weiterer aktueller Prüfstein für die Koalition: Maheshwar, der Großstaudamm im indischen Narmada-Tal, gegen den Bevölkerung, Umweltschützer und Entwicklungsorganisationen Sturm laufen und gegen dessen Bau nach den Worten von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul "entwicklungspolitische Argumente sprechen". Auch hier muß die Regierung entscheiden, ob sie trotz dieser Bedenken bürgen will.

Was für Exporteure und Arbeitsplätze gut sein mag, bringt für die Empfängerländer oft Umweltschäden, Umsiedlungen und Verelendung, belohnt Menschenrechtsverstöße und fördert fragwürdige Groß- oder Prestigeprojekte, die ohne das Auffangnetz Hermes kaum zustande gekommen wären. Außerdem treibt Hermes die Verschuldungsspirale an. Denn bei Zahlungsausfall begleicht zunächst der bundesdeutsche Staat die Forderungen der Exporteure und bemüht sich dann, von der jeweiligen Regierung des Empfängerlandes die Außenstände einzutreiben. Insgesamt summierten sich bis Ende 1998 die Hermes-Forderungen auf 35 Milliarden Mark.

Auch wenn 50 Jahre eigentlich genug wären für ein Relikt aus den Kindertagen des heutigen Exportweltmeisters, fordern die meisten Umwelt- und Entwicklungsorganisationen (NGOs) dennoch nicht die ersatzlose Streichung der Hermes-Bürgschaften. Aber sie wollen Reformen. Gemeinsam initiierten die beiden NGOs WEED und Urgewald 1997 die Kampagne zur Hermes-Reform, die inzwischen von etwa 130 Organisationen und Gruppen unterstützt wird. Wenn der Staat schon zahlt, so meinen die NGOs, so muß er auch das Recht und die Pflicht haben, gestaltend einzugreifen. Die Regierung dürfe betriebswirtschaftlichen Erwägungen nicht ihre Grundsätze opfern. Die NGOs fordern daher klare, überprüfbare Kriterien, die sich an sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Zielen orientieren. Atomkraftwerke und Rüstungsgüter sollten dementsprechend von vornherein ausgeschlossen sein.

Notwendig sind zudem mehr Transparenz und parlamentarische Kontrolle. Denn gegenwärtig entscheidet der interministerielle Ausschuß (IMA), in dem das Auswärtige Amt, das federführende Wirtschaftsministerium sowie Finanz- und Entwicklungsministerium vertreten sind, hinter verschlossenen Türen - nach selbstgestrickten Kriterien und beraten von Vertretern der Industrie, des Handels und der Banken.

Hoffnungen weckte der rot-grüne Koalitonsvertrag, in dem eine umfassende Reform der Außenwirtschaftsförderung, einschließlich Hermes, vereinbart wurde. Doch ein Jahr später stellt Barbara Unmüßig von WEED "nur kosmetische Verbesserungen" fest. Insbesondere das Wirtschaftsministerium und die Industrie blockieren. Sie halten die bestehenden Verfahren für ausreichend, lehnen strengere Kriterien und größere Öffentlichkeit als "Bürokratie" und Schlag gegen das "Geschäftsgeheimnis" ab, - und zeigen ansonsten mit dem Finger auf die ausländische Konkurrenz, die ebenfalls staatliche Rückenstärkung erhält - freier Welthandel hin oder her. Eine Harmonisierung der Vergabestandards im Rahmen der OECD ist zwar vereinbart, kommt aber nur schleppend voran. Dass es auch anders gehen kann, zeigen ausgerechnet die USA: Sie stellen die Informationen über Geschäfte, die von der staatlichen Exportversicherung bedacht werden, ins Internet und legen bei der Vergabe strenge Umweltkriterien an.

Beim Festakt zum 50. Jubiläum am 14. Dezember in Berlin wollen nun Bundesregierung, Exportwirtschaft und Banken Seit' an Seit' die "Existenzberechtigung" von Hermes unterstreichen. Dabei steht der nächste Prüfstein schon bereit: die Finanzierung der Atomreaktoren K2 und R4 in der Ukraine. Das Umweltministerium hat sich zwar kategorisch gegen eine Unterstützung ausgesprochen, doch man darf gespannt sein, wer sich durchsetzen wird, wenn die maßgeblich an dem Projekt beteiligte Siemens AG einen entsprechenden Hermes-Antrag stellt. Immerhin geht es um 3,4 Milliarden DM.

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