Über den Simien-Bergen im Hochland von Tigray geht ein Platzregen nieder. Im Handumdrehen bilden sich große Lachen auf den Feldern, aufgestaut durch niedrige Steinmauern, die den Acker abgrenzen. Ansonsten ausgetrocknete Erosionsrinnen verwandeln sich in braune Sturzbäche - der tief eingeschnittene Fluss Tekeze unten im Tal, gerade noch ein harmloses Rinnsal, wird zu einem reißenden Ungetüm mit Stromschnellen und Wirbeln.
Jedes Jahr im Juni hofft Bauer Tadesse Desta auf den rechtzeitigen Beginn der Regenzeit, um Teff auszusäen. Wochen später bangt er, das Getreide könnte vertrocknen und die Ernte wieder einmal ausfallen. Dann wäre seine Familie wieder für sechs Monate auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, wie jeder vierte Einwohner in der Provinz Tigray.
Höher als der Drei-Schluchten-Staudamm
Vor einiger Zeit kam der Agrarberater der Provinzregierung und forderte Tadesse Desta und seine Nachbarn auf, den "Regen zu ernten". Um die Grube auszuheben, in der die Niederschläge gespeichert werden sollten, bekam er einige Tagesrationen Mais. Um sie mit einer blauen Plastikfolie auszukleiden, musste er sich Geld leihen. Der kleine Wasserspeicher soll helfen, die Ernte zu retten. Oder einen Gemüsegarten zu bewässern. Nachdem Äthiopiens Regierung die "Regenernte" zum Programm erklärt hat, sind die Abhänge im Hochland mit Tausenden dieser "Haushaltsteiche" übersät - wie eine Kraterlandschaft.
In den bis zu 4.500 Meter hohen, zerklüfteten Bergregionen fällt durchschnittlich doppelt so viel Niederschlag wie in Deutschland, doch die Wassermassen rauschen ungenutzt die steilen Abhänge hinab, reißen Vegetation, Geröll, Straßen und Brücken mit sich, graben immer tiefere Erosionsrinnen und sorgen im Tiefland für verheerende Überschwemmungen.
Im Namen der Armutsbekämpfung bietet die Weltbank der Regierung in Addis Abeba deshalb ihre Hilfe beim Bau von Staudämmen an. Wer sie errichtet, sei geradezu ein "Heiliger", meint John Briscoe, führender Wasserexperte der Bank. Man sei bereit, Äthiopien dafür Milliarden Dollar an Krediten zu geben. Die Idee ist nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert plante Kaiser Menelik II, den Blauen Nil aus seinem tief eingeschnittenen Canyon umzuleiten in die trockenen, dünn besiedelten Tieflandregionen im Westen. Immer wieder gab es seither in Addis Abeba Pläne für Dämme und Bewässerungsprojekte. Und immer wieder gelang es Sudan und Ägypten, mit diplomatischem Druck und militärischen Drohungen zu verhindern, dass sie wirklich gebaut wurden. Denn jeder Eingriff im Oberlauf des Nils würde ihren eigenen Bauern schaden und ihre Expansion von Plantagen und Städten in immer neue Wüstengebiete einschränken.
Dem Veto aus Khartum und Kairo will sich auch die Weltbank nicht entziehen. In der Nil-Initiative versucht sie seit einem Jahrzehnt, alle Anrainerstaaten für eine abgestimmte Planung zu gewinnen, bevor sie bereit ist, Wasserprojekte zu finanzieren - mit ersten, kleinen Erfolgen.
Das derzeit ehrgeizigste Projekt gehört nicht dazu. In einer abgelegenen, schwer zugänglichen Gegend unterhalb des 250 Kilometer langen Canyons, den der Fluss Tekeze bis zu 2.000 Meter tief in das vulkanische Basaltgestein des Hochlandes gewaschen hat, wird an einem Damm gebaut, der einmal zehn Meter höher sein soll als der gewaltige Dreischluchten-Damm, mit dem in China der Yangtze gestaut wird. Durch kilometerlange Tunnel im Fels wird dann das Wasser des Tekeze in einen riesigen Stausee umgeleitet. Mit dem Wasserkraftwerk würde Äthiopiens Stromerzeugung auf einen Schlag um fast ein Drittel (um 225 MW) steigen.
Weil der Regierung in Addis Abeba die Verhandlungen in der Nil-Initiative zu lange dauerten, entschloss sie sich vor vier Jahren zum Alleingang, ohne das Projekt mit den Nachbarn abzustimmen. Weder mit dem Sudan, erst recht nicht mit dem feindlichen Bruder Eritrea, der den Grenzfluss gleichfalls gern nutzen würde. Im fernen Beijing, das sein Engagement in Afrika stetig ausbaut, fand sich ein wohlwollender Finanzier (Baukosten von 224 Millionen Dollar) und mit der China Water Resources and Hydropower Engineering Corporation ein Partner, der nicht nur alle Konkurrenten unterbot, sondern dank seines Parts beim Dreischluchten-Damm auch wertvolle Erfahrung anzubieten hatte.
Tausende kleiner Dämme
Auch wenn der Weltbank der Alleingang politisch missfällt - ökonomisch denkt sie genauso: Der erzeugte Strom wird Äthiopiens Wirtschaft auf die Sprünge helfen, der Stausee Überschwemmungen bannen und Möglichkeiten für eine intensivere Agrarproduktion schaffen, meint Weltbank-Mitarbeiter David Grey. So überzeugend das klingen mag - es gibt einen fundamentalen Denkfehler. Der Strom wird vorwiegend in die Städte und Industrien fließen. Die Armen jedoch, die wie Tadesse Desta Jahr für Jahr auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, leben oberhalb von Staudämmen und -seen im Hochland. Die in Aussicht stehende Bewässerung nutzt vorzugsweise wohlhabenderen Bauern im Tiefland, für die sich weniger Getreide und Reis, sondern der Anbau von Blumen, Baumwolle und Zuckerrohr rechnet.
Kein Megaprojekt ist der Staudamm, den die Bewohner des Dorfes Adis Nifas unweit der Provinzhauptstadt Mekelle mit Hilfe der Relief Society for Tigray angelegt haben. Die Bewohner haben lediglich lokale Materialien wie Bruchsteine und Erde, um auf eine Höhe von 15 Metern zu kommen. Auch sechs Monate nach Ende der Regenzeit ist im Stausee noch ein flacher Rest Wasser übrig.
Tausende solcher Dämme wie der von Adi Nifas - das müsste die Priorität sein, meint Helmut Spohn, der im Auftrag von Brot für die Welt äthiopische Kleinbauern berät. Dazu Aufforstung, der Verbau von Erosionsrinnen und Terrassen. Das würde verhindern, dass bei jedem Regen Erde, Sand und Geröll in die Flüsse geschwemmt werden. Andernfalls könnten auch die schönen neuen, großen und teuren Staudämme in kürzester Zeit versanden, was bedeuten würde: weniger Strom, weniger Bewässerung, weniger Wirtschaftswachstum und Devisen. Die Bauunternehmen hätten dann zwar ihre Schäfchen im Trockenen, doch die Regierung bliebe auf ihren Schulden gegenüber der Weltbank und der Volksrepublik China sitzen - so wie Tadesse Desta auf seinen Schulden beim lokalen Geldverleiher.
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