Die unendliche Weisheit der Basis

Grüne Nach der Urwahl mit dem Siegerduo Trittin/Göring-Eckardt bleibt vor allem eine Frage: Kann Claudia Roth ihre Schlappe mit einem tollen Ergebnis beim Parteitag ausbügeln?
Überraschende Sieger: Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt
Überraschende Sieger: Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt

Foto: Adam Berry/Getty Images

Ein ergrauter Altlinker als Elder Statesman, eine sanftmütige Mittlerin als neue Wahlkampfikone und eine „herbe Klatsche“ für die Vorsitzende: Die Urwahl bei den Grünen ist anders ausgegangen als erwartet, und sie hat die Partei in Bewegung gebracht. Nun werden munter die verschiedenen Machtoptionen nach der Bundestagswahl 2013 diskutiert, und die bürgerliche Mitte ist als künftiger Tummelplatz der ehemaligen Ökopartei benannt. Deren Gründergeneration kann nun langsam die Dämmerung ihres Vorruhestands erahnen. Die Grünen sind im Umbruch. Da gibt es einige Fragen zu beantworten.

1 Wer ist eigentlich Katrin Göring-Eckardt?

Geografisch stammt Katrin Göring-Eckardt, die neben Ex-Umweltminister Jürgen Trittin die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen soll, aus Thüringen, politisch aus dem stark männlich dominierten Realo-Lager. Bundespolitisch kommt die frühere Bundestagsfraktionschefin eher aus dem Off. Denn während die Theologin in der evangelischen Kirche zur Präses der Synode aufstieg, hat sie in den grünen Reihen zuletzt mehr Schlappen als Erfolge eingefahren. An der Basis verfügte sie bisher über keine nennenswerte Hausmacht. Ihren Überraschungsaufstieg zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl verdankt die 46-Jährige mehreren Faktoren: dem Überdruss an ihren weiblichen Mitbewerberinnen Claudia Roth und Renate Künast, dem Wunsch nach Verjüngung in der grünen Führungsriege, dem Bedürfnis nach einem Ausgleichspart zum wortgewaltigen Parteilinken Trittin und vor allem den Wahlerfolgen ihrer Parteifreunde Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn. Göring-Eckardt, die bedächtige, wertkonservative Pastorale mit ihrem leisen, diskursiven Politikstil ist für die grüne Basis auch Projektionsfläche: Sie wurde gewählt in der Hoffnung, dass sich das erfolgreiche Eindringen der baden-württembergischen Grünen in ein ökologisch und sozial werte-orientiertes Bürgertum 2013 auf Bundesebene wiederholen lässt.

2 Hat sich die Urwahl gelohnt?

Finanziell sicher nicht. Politisch allemal. Rund 100.000 Euro und viele Arbeitsstunden hat das basisdemokratische Experiment die Grünen gekostet. Im Gegenzug lieferte die Berichterstattung über die Urwahl kostbare unbezahlte Sendezeit. So viel Grün war selten. Vor allem hat das anfangs ungewollte und medial verspottete Unterfangen den Grünen neue Mitglieder gebracht und die alte Anhängerschaft mobilisiert. Die Ökos stehen wieder als Pioniere da. Sie haben den Piraten das Zertifikat für demokratische Partizipation und Transparenz abspenstig gemacht. Und die grüne Basis fühlt sich zu Recht ernst genommen. Die Urwahl hat den Grünen nicht nur ein clever austariertes, nun viel gelobtes Spitzenduo beschert. Sie hat den Parteioberen auch eine Lektion über innerparteiliche Verjüngung und Ausgewogenheit erteilt. So könnte das Experiment Urwahl durchaus Schule machen – und wieder Spaß an Politik wecken.

3 Sollte Claudia Roth wieder kandidieren?

Nein. Die Vorsitzende begeht einen großen Fehler, nun, nachdem sie nur 26,18 Prozent der Urwahl-Stimmen bekommen hat, sich am Samstag auf dem Bundesparteitag erneut um dieses Amt zu bewerben. „Es geht jetzt in erster Linie nicht um mich und um meine Enttäuschung, sondern es geht um etwas Wichtigeres,“ begründete Roth ihre Entscheidung. Aber das Gegenteil wahr: Es geht um sie, um niemanden sonst. Schließlich hat nur ein Viertel der grünen Basis der 57-Jährigen zugetraut, die Partei erfolgreich im Wahlkampf zu vertreten, ein Aushängeschild zu sein. Ihr Ansehen ist damit schwer beschädigt. Nun wird sie stets beweisen wollen, doch eine starke Führungsfrau zu sein. Und ihr Ergebnis in der Urwahl dennoch nicht wettmachen können. Besonders bitter: Beinahe alle grünen Spitzenpolitiker rieten ihr öffentlich weiterzumachen. Sie werden dafür ihre Gründe haben. Ob Roths persönliches Wohl und ihre Integrität dabei im Zentrum standen, darf bezweifelt werden. Denn sollte sie tatsächlich gewählt werden: Der Vorsitz ist dann zu einer Art Trostpreis geworden. Und das kann man eigentlich keiner Partei wünschen.

4 Warum demütigen die Grünen ihre Vorsitzende?

Auch wenn die Grünen statt anarchisch inzwischen eher bürgerlich sind: Sie sind keine behäbigen Bürger, sondern welche, die nachdenken. Man kann es auf jedem ihrer Parteitage beobachten. Die Generaldebatte nach der Ansprache der Vorsitzenden ist dort nicht wie bei anderen Parteien nur ein Ventil, folgenlos Druck abzulassen. Die Grünen diskutieren immer spannend, und sie fordern dabei ihr Spitzenpersonal. Sie wollen gute Gründe, auch wenn es um die Auswahl dieser Spitzen geht. Und weil es gute Gründe gab, Göring-Eckardt zu nominieren, mussten andere eben den Kürzeren ziehen. Roth versteht es zu integrieren, die Partei erkennt sie als wichtig. Aber die Kandidatur einer Linken im Wahlkampf neben dem anderen Linken Trittin hätte keinen Sinn gehabt. Sehr viel sprach hingegen dafür, das Ansehen einer Präses der Synode der Evangelischen Kirche zu nutzen. Roth hätte das selbst erkennen müssen, sie als erste hätte Göring-Eckardt vorschlagen sollen. Dass sie es nicht tat, war ein Fehler, und darauf wurde sie nun hingewiesen. So ein Hinweis ist keine Demütigung, auch wenn er schmerzt und Roth selbst von einer „herben Klatsche“ sprach. Nun zeigt die Vorsitzende: Sie hat verstanden, und sie erträgt Kritik.

5 Wollen die Grünen nun mit Merkel regieren?

Ausgerechnet die Grünen, die notorisch betonen, die Bundeskanzlerin abwählen zu wollen? Auch das linke Wahlprogramm spricht dagegen. Selbst Göring-Eckardt nimmt für sich in Anspruch, nicht mehr die Verfechterin der Agenda 2010 von einst zu sein, sondern die engagierte Sozialpolitikerin. „Wir wollen die Wähler der CDU gewinnen, aber wir wollen keine Koalition mit der CDU“, sagt Parteichef Cem Özdemir. Wie in Baden-Württemberg: Der „Bürgerliche“ Winfried Kretschmann regiert dort mit der SPD. Mit der sind die Schnittmengen auch im Bund größer. Gemeinsame Ziele ließen sich, was nicht ganz unwichtig ist, im Bundesrat auch durchsetzen. Was aber passiert, wenn sich SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück weiter vor allem mit sich selbst beschäftigt und es am Wahlabend nicht für die Wunschkoalition reicht, wohl aber für Schwarz-Grün? Ausschließen kann man ein solches Bündnis nicht. Schon in Hamburg und Berlin haben sich die Grünen willig gezeigt. Mit dem Votum für Göring-Eckardt, die viel Sympathie von Konservativen erhält, hat die grüne Basis signalisiert, dass sie Vorfestlegungen nicht will. Pragmatismus heißt die Maxime: Wie setzt man Positionen am besten durch? Im Idealfall mit der SPD. Aber das heißt ja nicht, sich an sie zu ketten.

Katrin Göring-Eckardt

Ausgerechnet mit einem Motorradhelm zeigt sich Katrin Göring-Eckardt auf ihrem Twitter-Profil – irgendwie nicht ganz öko und auch etwas verwegener als erwartet. Doch im Image-Film auf ihrer Homepage macht die grüne Spitzenkandidatin dann alles richtig: Auf dem Fahrrad nähert sich die studierte Theologin der Kamera und spricht dann von ihrem Einsatz für Demokratie und Umwelt.

Göring-Eckardt, 1966 in Friedrichroda geboren, hatte in der bereits wankenden DDR im September 1989 die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ mit gegründet. Sie ging auf die Straße, „zuerst etwas ängstlich“, wie sie selbst sagt, dann zunehmend mutig angesichts der neuen Freiheiten, etwas zu verändern.

Nach 1990 war sie zunächst für Bündnis 90 in Thüringen aktiv, nach dem Zusammenschluss mit den Grünen ab 1998 im Bundestag. Dort sorgte sie ab 2002 als Fraktionschefin für rot-grüne Mehrheiten, auch für die Agenda-Gesetze von Kanzler Gerhard Schröder. Inzwischen hat Göring-Eckardt, seit 2005 Vizepräsidentin des Bundestags, ihre politische Linie neu justiert: Soziale Gerechtigkeit ist nun ihr Credo

Jürgen Trittin

Ausgerechnet mit einem ererbten Monstrum machte Jürgen Trittin als Bundesumweltminister Geschichte: Das Dosenpfand war ja nicht seine Erfindung, sondern die seiner CDU-Vorgänger Klaus Töpfer und Angela Merkel. Doch sagt die Unerbittlichkeit, mit der Trittin das halbgare Modell durchdrückte, einiges über den Grünen selbst. Durchsetzungsfähig, konfliktbereit, bisweilen schneidend, so kennen Partei und Wähler den Diplom-Sozialwirt aus Bremen seit seinem Einstieg in die Politik.

1980 vom Kommunistischen Bund zu den Grünen übergetreten, war er zunächst Abgeordneter und Fraktionschef im niedersächsischen Landtag, später Europa-Minister in der Landesregierung Gerhard Schröders. 1994 wurde er Grünen-Chef, 1998 dann Bundesminister unter Schröder.

Trotz heftiger Konflikte mit dem Kanzler blieb Trittin bis zur Abwahl von Rot-Grün 2005 im Amt. Danach wurde er zuerst Fraktionsvize und 2009 Fraktionschef im Bundestag. Einst der Vorzeigelinke der Grünen, gilt der 58-Jährige inzwischen als staatsmännischer Pragmatiker

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Mitautoren waren Jana Hensel, Michael Jäger und Benjamin von Brackel

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