Solistin auf dünnem Eis

Ursula von der Leyen ist zuletzt nur noch wenig geglückt – nun hat sie sich ganz ins Abseits manövriert
Immer wieder hat Ursula von der Leyen getestet, wie viel Modernisierung die Union verträgt. Nun war das selbst der Kanzlerin zu viel
Immer wieder hat Ursula von der Leyen getestet, wie viel Modernisierung die Union verträgt. Nun war das selbst der Kanzlerin zu viel

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die Frisur ist flotter geworden, das Lächeln einprogrammierter. Und dann ist da noch diese Falte – scharfkantig, senkrecht, direkt über der Nasenwurzel. Wer beobachtet, was Politik mit Menschen macht, sieht viele Arten, wie sich Anstrengung, Verbitterung oder Resignation in Gesichter eingraben: Hängende Mundwinkel, horizontale Furchen quer über der Stirn. Bei Ursula von der Leyen jedoch weist selbst dieser physiognomische Tribut an die Macht nach oben. So wie alles an ihr: der kerzengerade Rücken, die mit Hackenschuhen gestreckte Größe, die schlanken Hosenanzüge, die steile Karriere. Alles drängt nach oben. In diesen Tagen könnte Ursula von der Leyen jedoch eine neue Erfahrung machen: Dort oben ist die Luft verdammt dünn geworden. Und unten gerät der politische Boden ins Wanken.

Denn mit ihrem Vorstoß für eine Zuschussrente hat sich die Bundesarbeitsministerin nicht nur geballte Kritik von Rentenexperten und Opposition eingefangen. Sie hat vor allem die eigenen christdemokratischen Reihen gegen sich aufgebracht. Das allein wäre für sie eher Herausforderung. Damit hat sie Erfahrung. Sie gefällt sich in der Rolle der ungeduldigen Reformerin, die mit ihrer Umtriebigkeit anderen den Spiegel eigener Tatenlosigkeit oder Rückständigkeit vorhält. Ihre Parteichefin und Kanzlerin, Angela Merkel, hat sie schließlich als experimentierende Solistin ermuntert. Doch mit ihrem Alarm gegen drohende Altersarmut ist die 53-Jährige offenbar auf zu dünnes Eis vorgeprescht. Demonstrativ verärgert hat die Kanzlerin der Ministerin den Rückhalt entzogen, die ihr bisher nützliche Vorkosterin dafür war, wie viel Modernisierung die CDU/CSU schluckt.

Neuer konservativer Zeitgeist

Wie sie da leuchtete 2005, ein Juwel in Merkels Schattenkabinett! Die Gesundheitsministerin aus Hannover, zerbrechlich klein zwischen breitschultrigen Kerlen, klug, eloquent, mit einem strahlenden Lächeln. Lange bevor ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg zum Aushängeschild für eine weltgewandte, moderne Union werden sollte, war da mit der christdemokratischen Bundesfamilienministerin ein Politikermodell für einen neuen konservativen Zeitgeist geschaffen: charmante Supernanny, die Politik und Großfamilie unter einen Hut bringt. Kosmopolitin, die schon mal bekennt, sie wäre bei den Grünen gelandet, wenn der eigene Vater, Niedersachsens CDU-Grande Ernst Albrecht, sie nicht zu den Schwarzen gelockt hätte. Politische Späteinsteigerin, die erfolgsgewöhnt so an sich selbst glaubt, dass sie nie eine Hausmacht aufbaut. Ehrgeizige Klassenbeste, bis in die Haarspitzen kontrolliert, die zum Schummeln keine Verbündeten will. Überzeugungspolitikerin, die nicht ohne Selbstinszenierung ihren eigenen Plan verfolgt. So eine ist in den eigenen Reihen nicht beliebt. So eine bleibt suspekt bis heute.

Dabei ging die Strategie zunächst auf. Sie hat Deutschland sogar nachhaltig verändert. Mit dem Elterngeld und vor allem mit dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz hat von der Leyen 2007 ein Stück bundesrepublikanische Reformgeschichte geschrieben. Die Idee dazu hatten zwar ihre sozialdemokratischen Vorgängerinnen. Aber sie war es, die als CDU-Familienministerin die Gunst der Stunde und politischen Konstellation nutzte, um beide Projekte mit Vehemenz umzusetzen.

Erst Allesschafferin, dann Abwärtsspirale

Vielleicht lag es am Glanz des Erfolgs, dass sich die vermeintliche Allesschafferin danach in eine Abwärtsspirale von politischen Flops manövrierte. Als Familienministerin und seit 2009 als Arbeitsministerin wirbelte sie immer neue Projekte durch die Luft, immer wieder nach dem gleichen System: instinktsicher ein drängendes Problem erkennen, mit einer medialen Großoffensive einen persönlichen Lösungsvorschlag lancieren, und dann den Dingen ihren Lauf lassen.

Nur: was zweimal gelang, ging mehrfach schief. Ihre Idee, mit jugendlichen Lockvögeln illegalen Alkoholverkauf zu stoppen – klammheimlich beerdigt. Ihr Gesetz zur Sperrung von Kinderpornoseiten – nach Proteststürmen zurückgepfiffen.

Die Solistin ficht das nicht an. Stur, kritik-resistent, redet sie ihre Fehlschläge schön. Die Bilanz ihrer letzten drei Jahre als Arbeitsministerin offenbart da nüchterne Realitäten. Wenig medientaugliche Vorhaben hat sie auf die lange Bank geschoben. Andere scheiterten an einem Wust handwerklicher Fehler. Kein zukunftweisendes Projekt, kein mit ihrem Namen verbundenes Reformvorhaben. Stattdessen ein Thema, das alle bewegt, aber in einem „Rentendialog“ vor sich hindümpelt: Wie arm lebt es sich im Alter?

Von der Leyen, das muss man ihr lassen, hat das Problem immerhin auf den Tisch gepackt. So wie es ihre Art ist: im Alleingang, über die Medien, mit angreifbaren Zahlen. Ob sie für ihre Zuschussrente zumindest anfangs die Rückendeckung der Kanzlerin hatte? Das ist so unerheblich wie das FDP-Blaffen, sie greife damit einer Koalition mit der SPD vor. Denn von der Leyen hat sich mit ihrem Vorstoß nachhaltig isoliert. Sie hat ein richtiges Thema gesetzt, ist sogar der Opposition zuvorgekommen. Aber sie hat damit auch deutlich gemacht, was Schwarz-Gelb verschludert hat. Dabei müsste sie als Rentenministerin wissen, dass das Problem der Niedrigstrenten bis 2013 nicht zu lösen ist. Ihrer Partei hat sie damit ein hochexplosives Wahlkampfthema aufgenötigt. Womöglich ist sie darauf sogar stolz: Die Erste, mal wieder. Ganz oben im Medieninteresse. Wieder nach Plan. Doch ob er diesmal aufgeht? Im Streben nach oben könnte es erstmals einen heftigen Knick geben.

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