Der sechsstündige Flug von Moskau nach Ulaanbaatar hält eine ungewöhnliche Seherfahrung bereit: Im Airbus von Aeroflot gibt es keine Bildschirme, nicht mal einen großen für alle, auf dem sich die Passagiere an Filmen ihre Augen müde sehen könnten. Den ersten Screen in der Hauptstadt der Mongolei sehen wir beim Mittagessen im schummrigen Kellerrestaurant neben dem Kulturpalast in sozialistisch-visionärer Architektur Galore, auf Höhe der zehnten Etage des Turmanbaus ragt eine spaceshipartig zugespitzte Steuerzentrale heraus. Bunte mongolische Gangstermusikvideos flimmern über den öffentlichen Schirm. Es gibt knapp drei Millionen Mongolen, aber mehr als 30 Fernsehstationen.
Schon Anastasia Filatowa, die russische Ehefrau des langjährigen Premierministers (1952 – 1974) und Staatspräsidenten (1974 – 1985) der mongolischen Volksrepublik, Jumdschaagiin Tsedenbal, soll das Fernsehen gemocht haben. Heute gilt es als wichtigstes Nachrichtenmedium im Land, einen Internetzugang hat nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, 2012 gerade einmal 16 Prozent. Entsprechend spärlich sind Smartphones verbreitet. Als im Handyladen die Mitarbeiterin versucht, das iPhone einer Kollegin zu öffnen, um die SIM-Karte zu wechseln, erklärt die begleitende Übersetzerin kurz: „Apple ist bei uns nicht so häufig.“
Weil die Mongolei sich auf einer riesigen Fläche samtgrüner Hügel und Berge ausbreitet und der kleinere Teil der Bevölkerung verstreut in einzelnen Gers lebt, den traditionellen Filzjurten, hat sich ein Handyanbieter auf diese ländlichen Gebiete spezialisiert. Dessen Prepaidkarte allein nützt wenig, mit meinem Smartphone habe ich auch auf einem Hügel keinen Empfang. Die dort lebenden Nomaden nutzen Telefone, die so große Antennen haben wie die ersten schnurlosen Telefone in US-amerikanischen Fernsehserien.
Warum gibt es nun so viele TV-Stationen in der Mongolei? Das Programm wird durch Piraterie gemacht, ist also relativ günstig. Hollywoodfilme werden auf DVDs gekauft, übersetzt und dann ausgestrahlt. Die Kopien, die man auch auf dem zentralen (Schwarz-)Markt findet, kommen zumeist aus Russland.
Genormte Stadtbilder
Der Künstler Batbileg Chimedtseren ist aus anderen Gründen mit dem TV-Programm nicht zufrieden. In zwei Videoarbeiten beklagt er zum einen, dass die Sender zu sehr das Leben der Städter bestimmten, das nur mehr in medialisierter Form ablaufe. Sein Video-Update des berühmten mongolischen Bilds Ein Tag in der Mongolei von Baldugiin „Marsan“ Scharaw fällt fragmentarisch aus. Der Zurag-Stil wurde in der Folge der Revolution von 1921 praktiziert, Kunstpionier Scharaw malte die Alltagsszenen schon in den 1910er Jahren. Auf diesem Wimmelbild sind zeitgenössische Kolchose und traditionelle Hirtennomaden zu sehen, von Geburt bis Tod. Chimedtseren Details lassen sich nicht zu einem Puzzle zusammensetzen. Zum anderen kritisiert er die Sender, weil sie ihre Zuschauer im Dunkeln lassen genauso wie die Abgeordneten die Öffentlichkeit – eine Parlamentsdiskussion gibt er daher mit Schwarzbild wieder.
Düster wird es, wenn man das zentrale Stadtgebiet und die Großbaustellen durchstreift. Auf dem mehretagigen Screen an einem Bürohochhaus läuft Bloomberg TV Mongolia, das 2012 gegründet wurde, um den Wirtschaftsboom zu begleiten. Zwischendurch wird Werbung für Heinz-Tomatenketchup gezeigt. Auch die modernen Nomaden können in ihren Gers mit Satellitenschüsseln diese Programme empfangen. Im Jahr 2000 hat die Regierung das nationale 100.000 Solar Ger Electrification Program gestartet, eine Kampagne, um nomadische Hirtenfamilien mit tragbaren Solarpanelen auszustatten. Es sollte über zehn Jahre dauern, bis die Solarzellen tatsächlich in der Stückzahl zu den neuen Besitzern fanden.
Die Baustellen von Immobilienprojekten in der Hauptstadt stehen den internationalen Entwicklungen derweil in nichts nach. Auch hier bringt der Hardcore-Neoliberalismus Apartmenthäuser mit Idylliknamen wie Rivergarden oder The Village hervor. Auf dem Screen im Hotelfoyer läuft stumm ein Nachrichtensender, während typische Muzak auf die internationalen Gäste dudelt, darunter dickbäuchige UNESCO-Mitarbeiter aus Ägypten und australische Reiseleiter. In der Druckerei gestaltet ein junger Mitarbeiter die Visitenkarten für Weltbank-Gesandte.
Auf dem großen Sukhbaatar-Platz vor dem Regierungsgebäude, der eigentlich Chinggis-Platz heißt (was nur keiner sagt), sendet von einem riesigen Fassadenscreen ein TV-Programm in die Leere. Während der Präsentationen unseres Projekts Land Art Mongolia in der Akademie der Wissenschaften, die im Kulturpalast eine Etage hat, lässt die Dolmetscherin nebenbei Propagandavideos einer Friedenspredigerin laufen. Ihren Laptop hat sie auf einem Stuhl neben sich stehen. Das Faszinierende an den Friedensbotschaften von Supreme Master TV ist, dass sie in wohl 15 Sprachen untertitelt werden und die Studios aussehen, als schaute man ins Paradies: „Be vegan, make peace.“
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