Nicht die Zukunft ist es, die wir hier sehen, es handelt sich eigentlich um die Gegenwart. Freunde, die begeistert von ihren neuen iPads erzählen, deren Retina-Displays Skype-Gegenüber so real aussehen lassen, während vom neuen Apartmenthaus über die Straße das elektrische Licht durch die Glasfassaden herüber strahlt. Der neue Film von Spike Jonze läuft im Kopf einfach weiter.
Schon die Architektur sieht heute so generisch aus, dass Jonze dafür keine teuren Renderings in Auftrag geben musste. Die Hauptfigur von Her, gespielt von Joaquín Phoenix, wohnt in so einem Haus. Und diese anwesenden Abwesenden in den Städten, also Leute, die ortsvergessen mit ihren Smartphones kommunizieren, gibt es nicht nur in dem Film. Wir sind nicht weit entfernt von dem künftigen Los Angeles, das Spike Jonze in seinem farblich perfekt durchkomponierten Film vorstellt.
Es ist eine flache Welt. Gedreht wurde das Film-Los Angeles größtenteils in Shanghai. Die Hauptfigur arbeitet für die Firma BeautifulHandwrittenLetters.com und formuliert persönliche Briefe im Namen anderer. Im Büro stehen Briefumschläge nach Farben sortiert. Alles ist in rosarotes Plexiglaslicht getaucht. Die hüfthohen Herrenhosen, die nicht nur der Hauptdarsteller trägt, der in der Geschichte auf den altmodisch-drolligen Namen Theodore Twombly hört, hat die Stylistin einem Herrenschnitt aus dem 18. Jahrhundert nachempfunden. Jonze hat in einem Interview erzählt, man fühle sich darin wie umarmt.
Und Kostümdesignerin Casey Storm erklärt: „Als wir die Regeln für die Welt aufstellten, die wir geschaffen haben, entschieden wir, dass es besser wäre, Dinge wegzunehmen als welche hinzuzufügen. Wenn du Dinge hinzufügst, die nicht in die Zeit gehören, fallen sie dir immer auf und lenken dich ab. Also waren unsere Regeln eher: Es werden keine Jeans im Film getragen, keine Basecaps, keine Krawatten und keine Gürtel.“ So sieht der Retro-Futurismus zeitlos aus. Selbst wenn Twombly ein interaktives Computerspiel spielt – Jonze leiht übrigens dem schimpfenden Alien-Toddler seine Stimme –, wirkt die Welt nicht fern. Eine warme, materielle Welt voller gut gebügelter Stoffe und gepflegter Oberflächen. Alles sitzt, nichts spiegelt.
Twombly lebt getrennt von seiner Frau und verliebt sich in sein „OS“, das Operating System. Dieses Betriebssystem ist nicht nur ein Betriebssystem, sondern Personal Assistant (wie es sie im Internet zu buchen gibt), Apples Siri, text to speech-App, Liebhaberin und aufmunternde Freundin in einem. „Es ist ein Bewusstsein“, beschwört der Werbeslogan.
Die neue Freundin ist nicht an einen Ort gebunden, Twombly trägt sie auf seinem Mobiltelefon in der Brusttasche mit sich herum, mit der Kamera nach vorn. So sieht die Begleiterin einäugig mit ihm in die Welt. Jonzes Trick besteht darin, mit Scarlett Johansson dem System eine menschliche Stimme gegeben zu haben. „Ich werde viel mehr, als sie programmiert haben“: „Sie“ komponiert, zeichnet, lacht; all die Aktivitäten, die in den Werbespots der IT-Industrie fantasiert werden. Als Abschiedsgeschenk wird sie Twombly mit der Zusage eines Verlages überraschen, alle seine Briefe als Buch herauszugeben. Auch in Her scheitern Beziehungen.
Traurig macht das nicht, dafür bleibt die Beziehung zwischen Twombly und „ihr“ zu generisch, zu abstrakt. Stimmen erzeugen keine Affekte. Vor allem nicht, wenn sie wie Standards klingen. Jonzes Film spricht nicht aus einem Bewusstsein für Big Data heraus. Trotz Edward Snowden und NSA wird aus einer Frage wie „Stört es dich, wenn ich deine Festplatte durchschaue?“ keine politische. Jonze konzentriert sich auf die sozialen Projektionen und Erfahrungen und befragt den Status von companionship und digitaler Co-Presence. Genial und radikal zugleich daran ist, dass er nie ein Bild zeigt von „Samantha“, dem Betriebssystem. Auf dem Smartphone erscheint als Bildschirmfoto ein Passepartout-Platzhalter, wie man ihn aus Porträt-Bilderrahmen kennt, die in Drogeriemärkten verkauft werden. Während die Allgegenwart von Bildern und das Sehvermögen von Computern diskutiert wird, verweigert Her das Bild.
In den Rückblicken, die Twomblys gescheiterte Beziehung vor dem Scheitern zeigen, sieht das Paar aus wie Leute in einem Werbespot für digitale tools, ob am Strand, auf dem Jahrmarkt, im Aufzug oder auf dem Weg zwischen U-Bahn und Büro. Aber nicht nur die Bilder, auch die Briefe und Dialoge wiederholen bekannte, wenn nicht stereotype Aussagen und Fragen.
Die Leute in Her sind alle fixiert in Raum und Zeit, vor ihren Computern, wenn sie Kopfhörer tragen oder auf ihre Smartphone-Displays starren. Diese Kontrollgesellschaft braucht keine räumlichen Arrangements. Das Subjekt ist schon das „Superpanoptikum“, wie es der Medienwissenschaftler Mark Poster einst prophezeite.
Irgendwann hält die Fassade der Humanisierung nicht mehr, wenn Samantha mit 641 Kontakten parallel kommuniziert. Aber der alte Styler Spike Jonze führt nicht in die Hölle der Kontrollgesellschaft: Am Ende hat er einen Science-Fiction-Moment, der ohne Bilder und Special Effects auskommt.
Her Spike Jonze USA 2013, 126 Min.
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